TU intern - Dezember 1997 - Hochschulpolitik

Zuerst der Bildungsauftrag

Ein Diskussionsbeitrag zur TU-Strukturreform

Einen Beitrag zur Diskussion um die TU-Strukturreform leistet im folgenden Dr. Reimund Schwarze vom Institut für Volkswirtschaftslehre am Fachbereich 14 Wirtschaft und Management. Seine Ausgangsthese: Die Universität hat zuallererst einen Bildungsauftrag; die Forschung ist eine daraus abgeleitete Aufgabe. Deshalb müsse eine Unistruktur nach Gesichtspunkten der Lehre entwickelt werden.

Die gegenwärtige Strukturreformdiskussion ist fehlgeleitet! Sie beruht auf der im Präsidentenpapier dargelegten Annahme, die Forschung könne ein strukturbildendes Merkmal für die Universität sein. Dies ist ein grundlegender Irrtum und geht an unserer eigentlichen Aufgabe vorbei. Die Universität hat zuallererst einen Bildungsauftrag, sowohl vom Staat wie von den Studierenden. Die Forschung ist eine daraus abgeleitete Aufgabe. Sie soll die Aktualität und die Praxisrelevanz der Lehre sichern. Als Querschnittsaufgabe kann sie die Universitätsfinanzierung mittragen und die inneruniversitäre Zusammenarbeit fördern, aber sie ist nicht unsere vorrangige Aufgabe. Die Lehre muß deshalb unsere Universität strukturieren.

Forschung kann kein strukurbildendes Merkmal für eine Uni sein, argumentiert Reimund Schwarze. Strukturen müssen aus der Lehre entstehen

Vorschläge für eine Fachbereichsreform, die keinen erkennbaren Bezug zum zukünftigen Ausbildungsangebot haben, gehen an dieser Aufgabenbestimmung vorbei. Sie führen auch in die Irre, denn Forschung kann kein strukturbildendes Merkmal einer Universität sein. Forschung ist - zumal wenn sie praxisrelevant sein will - projektbezogen und interdisziplinär. Projekte können aber, auch wenn sie langfristig angelegt sind wie z. B. die Fluidsystemtechnik oder Mensch-Maschine-Systeme, keine systematische, projektübergreifende Ausbildungsstruktur hervorbringen.

Die Ausbildung muß aber systematisch sein, damit unsere Studierenden nach der Ausbildung in vielfältigen Projekten tätig werden können. Dies ist keine Frage der Grundausbildung, sondern setzt ein solides Breitenstudium voraus, welches durchaus nicht disziplinär im herkömmlichen Sinne sein muß, wie z. B. die erfolgreichen Studiengänge der Reglonal-, Stadt- und Landschaftsplanung zeigen. Deshalb muß das Studienangebot der TU im Mittelpunkt der Strukturreform stehen. Dies ist gegenwärtig nicht der Fall. Allenfalls implizit finden sich in den jetzigen Vorschlägen Studiengangskonzeptionen wieder.

Ein Beispiel ist der jetzt vorgeschlagene Fachbereich IV als Zusammenlegung der Fachbereiche Maschinenbau und Wirtschaftswissenschaften. Hier steht für den Wirtschaftsingenieur unausgesprochen das Konzept des Fertigungsmanagers im Hintergrund. Ist dies aber der Wirtschaftsingenieur der Zukunft? Brauchen wir in Zukunft nicht vielmehr (auch) den Netzmanager (z. B. in liberalisierten Verkehrs- und Energiemärkten oder in den weltumspannenden Informationsnetzen) oder den Umweltmanager? Solche Fragen müssen im Mittelpunkt der Fachbereichsbildung stehen! Es kann nicht der Einzelinitiative der Studierenden im Wahlbereich überantwortet werden, ob sie als Wirtschaftsingenieur abweichend vom Grundmuster des Fertigungsmanagers studieren wollen. Wir müssen vielmehr die nötige Universitätsinfrastruktur schaffen, damit ein aus meiner Sicht notwendiges breites Wirtschaftsingenieurstudium optimal möglich ist.

Damit einher geht die Frage der Sinnhaftigkeit der jetzigen Größenvorgaben. Wir müssen sparen, das steht fest. Aber sparen wir wirklich durch wenige große Fachbereiche? Bis vor kurzem galt die Devise "Größer ist billiger" als vorgestrig, jetzt sollen wir sie als Restriktion hinnehmen. Das kann nicht sein. Die Vorgabe von maximal acht Fachbereichen ist darlegungspflichtig. Außerdem ist sie in hohem Maße unbestimmt. Was ist denn die optimale Größe eines Fachbereichs? Wenn es sich um eine Bandbreite handelt, was sind die Ober- und die Untergrenze? Welches verwaltungstechnische Leistungsangebot liegt dieser Optimierung zugrunde? Müssen Skalenvorteile bei der Verwaltung überhaupt zu einer Zusammenlegung von Instituten und Fachbereichen führen? Vor allem aber muß der Bezug zum "Produkt" klar werden. Die optimale Organisation der Ausbildun g bestimmt die optimale Zusammensetzung und die optimale Größe der Fachbereiche. Darum noch einmal: Es darf keine Vorschläge zu einer Fachbereichsrefrom geben, die nicht klar zur Frage der Studienordnung Stellung nehmen. Ontologische Diskussionen um "fachliche Nähe" oder "fachliche Ferne" und um "Synergien" in der Forschung führen uns ins Abseits.

Die Ergebnisse der Gremien sind in dieser Hinsicht absolut nicht überzeugend. Manche hinterlassen sogar den Verdacht, daß hier nicht nur fehlgeleitet gestaltet, sondern ein Partikularinteresse (z. B. die Sicherung einer Fachbereichsmehrheit) verfolgt wurde. Wir brauchen deshalb eine neuerliche, öffentliche Diskussion innerhalb der Universität ohne die Vorgaben einer Mindestgröße und der Forschungspriorität. Der jetztige Streik und die (hoffentlich kommenden!) Aktionswochen können dazu dienen, diese dringend notwendige Diskussion zu führen.

Reimund Schwarze


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