TU intern - Dezember 1997 - Aktuelles

Was kommt nach dem Strommonopol?

"Strom ist ein Wirtschaftsgut wie jedes andere"


Georg Erdmann
Ab Januar kommenden Jahres wird voraussichtlich einer der letzten Monopolbereiche in der deutschen Wirtschaft fallen. Das ist jedenfalls das Ziel des neuen Energiewirtschaftsgesetzes, das Ende November im Bundestag beschlossen wurde. Noch unklar ist allerdings, ob das Gesetz Anfang '98 in Kraft treten wird, denn die SPD kündigte den Gang vor das Verfassungsgericht an, falls die Regierungskoalition an ihrem Vorhaben festhalten will, das Gesetz ohne Zustimmung des Bundesrates in Kraft treten zu lassen. Um die grundsätzlichen Neuregelungen des Gesetzes gibt es jedoch keinen Streit. Unabhängig vom Zeitplan wird sich also in der Stromwirtschaft zukünftig vieles ändern: Gebietsabsprachen zwischen Versorgungsunternehmen und geschlossene Versorgungsgebiete werden der Vergangenheit angehören; örtliche Stromversorger müssen auswärtigen Lieferanten die Nutzung der Leitungen vor Ort erlauben. Dadurch sollen alle Kunden, so das Ziel von Wirtschaftsminister Günter Rexrodt, ihre Lieferanten selbst auswählen können.

Damit könnte es in Deutschland bald ähnlich aussehen wie in Norwegen. Dort erfahren die Verbraucher die aktuellen Strompreise in den Tageszeitungen und können innerhalb kurzer Zeit den Lieferanten wechseln. Der Wettbewerb auf dem Strommarkt, der in Norwegen 1992 einsetzte, soll mit dem neuen Energiewirtschaftsgesetz auch in Deutschland möglich werden. TU intern sprach mit TU-Professor Georg Erdmann. Er beschäftigt sich am Institut für Energietechnik mit den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Aspekten von Energiesystemen.

Wenn das neue Gesetz durchkommt: Was wird sich für den einzelnen Stromkunden ändern?

Die Kunden werden zukünftig von den Stromversorgern umworben werden. Sie können unter mehreren Anbietern wählen, ähnlich wie dies bereits heute bei der Telekommunikation der Fall ist. Preisunterschiede werden dabei eine Rolle spielen, aber auch Serviceleistungen und die ôkologieverträglichkeit der Stromerzeugung.

Ab wann wird ein Berliner Stromkunde von der Bewag zu einem anderen Lieferanten wechseln können?

Im Prinzip ist das sofort nach Inkrafttreten des Gesetzes möglich. De facto wird es sicherlich noch eine ganze Zeit dauern, denn ein Markt für Kleinkunden existiert noch nicht. Die Stromversorger müssen erst entsprechende Angebote aufbauen und den Kunden nahebringen.

Kann man heute absehen, in welcher Größenordnung der Strompreis sinken wird?

Es gibt Zahlen von minus 20 bis minus 25 Prozent für die Preise im industriellen Strombereich. Das ist aber ziemlich vage und spekulativ. In Norwegen zeigt sich, daß sich der Strompreis auch nach oben bewegen kann, zum Beispiel bei einem Kraftwerksausfall oder nach einem regenarmen Sommer, der die Leistung der Wasserkraftwerke beeinträchtigt. Generell wird das Strompreisniveau aber niedriger liegen als heute.

Der Wettbewerb soll von einem Tag auf den anderen kommen. Aber es gibt auch Ausnahmeregelungen.

Ja. Für die Energieversorger in den neuen Ländern wird es eine öbergangsfrist bis zum Jahr 2003 geben. In dieser Zeit bleiben die Kunden an die VEAG gebunden. Außerdem dürfen die Stadtwerke für sich den Single-Buyer-Status beanspruchen, der ihnen erlaubt Verträge anderer Anbieter in ihrem Gebiet zu den gleichen Konditionen zu übernehmen. Dieses Vorrecht soll laut Gesetzentwurf bis 2005 befristet sein. Schließlich werden jene Energieversorger geschützt, deren Kraftwerke auch Fernwärme produzieren.

Warum ist diese Liberalisierung überhaupt notwendig?

Alle Länder um uns herum werden den Strommarkt liberalisieren. Da ist es dringend notwendig, daß man sich auch in Deutschland von den alten Vorstellungen verabschiedet. Die Zeit der Versorgungsmonopole ist vorbei. Strom ist heute keine öffentliche Versorgungsaufgabe mehr, sondern ein Wirtschaftsgut wie jedes andere.

Welche Probleme sehen Sie bei dem neuen Gesetz?

Das größte Problem entsteht dadurch, daß die Liberalisierung von einem Tag auf den anderen kommen soll, und nicht schrittweise. Dies führt zu sogenannten "stranded investments", also Investitionen, die unter den neuen Bedingungen nicht mehr wirtschaftlich sind. Dazu gehören z. B. Umweltschutzmaßnahmen für Braunkohlekraftwerke, die noch nicht abgeschrieben sind und entsprechend den Braunkohlestrom verteuern.

Wird die neue Situation Auswirkungen auf die TU Berlin haben?

Durch den Wettbewerb kommt ein ganz neuer Drive in die Branche. Vor fünf Jahren wäre die Perspektive für Hochschulabsolventen gewesen, alte Kraftwerke zu warten und instandzuhalten. Jetzt gibt es neue Aufgaben und Gestaltungsmöglichkeiten für junge Leute, die das technische und wirtschaftliche Wissen mitbringen. Die TU Berlin muß den neuen Qualifikationsanforderungen in der Ausbildung Rechnung tragen. Außerdem beraten wir schon heute die Wirtschaft und gestalten die Entwicklung mit. Zum Beispiel durch die internationale Fachkonferenz "Energy Markets - What's new?", die wir im nächsten September in Berlin organisieren.


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