TU intern - Dezember 1997 - Aktuelles

Hauptstadt des Bildungsabbaus

Der Sparkurs der Politiker und Politikerinnen kennt nur noch eine Richtung: bergab. Anhalten oder gar Zurückgehen ist für sie nicht denkbar
Hunderttausende protestieren gegen die Hochschulmisere Politische Entscheidungsträger verlieren "Bodenhaftung"

Ein so starkes Aufbegehren gegen die herrschende Bildungspolitik gab es schon lange nicht mehr. Hunderttausende von Studierenden gingen auf die Straße und äußerten lautstark mit vielfältigen Aktionen ihren Unmut über die "Kahlschlagkürzungen an den Hochschulen". Sympathiebekundungen für ihr Anliegen erhielten sie aus allen politischen Ecken und Lagern. Doch sie fragen sich auch: Wer trägt für die Misere die Verantwortung? Präsidenten protestieren

Standen am Anfang der studentischen Proteste die finanziellen Einschnitte an den Hochschulen noch im Vordergrund, so geht es den Studierenden mittlerweile um mehr, nämlich um mehr Mitbestimmung und Entscheidungskompetenz, ebenso um die Zusage, daß es in Zukunft keine Studiengebühren geben wird. Unterstützung erhielten die Studierenden vor allem aus den Hochschulen selbst; die Unipräsidenten riefen am 10. Dezember in Berlin zu einer gemeinsamen bildungspolitischen Demonstration aller Lehrenden und Lernenden unter dem Slogan "Umdenken - Nicht aussitzen" auf. Auch Berliner Schulen haben sich nun dem Protest gegen die Bildungspolitik angeschlossen.

Läßt man die Protestaktionen der letzten Wochen Revue passieren, so stellt sich die Frage, was durch sie bisher erreicht wurde. Nüchtern betrachtet ist das recht wenig. Bis auf die vielfältigen Sympathie- und Solidaritätsbekundungen für die Anliegen der Studierenden hat sich nicht viel verändert. Zwar hat "Zukunftsminister" Rüttgers schnell reagiert und ein Sonderprogramm für die Ausstattung der Universitätsbibliotheken aufgelegt, doch ist das Programm - wenn es denn umgesetzt wird - für jede Hochschule nur ein kleines Tröpfchen auf den heißen Stein.

In Berlin würde dieses wohlgemeinte Programm sogar dazu führen, daß es weitere Einschnitte in die Etats der Hochschulen gibt, denn Wissenschaftssenator Radunski hat erklärt, daß er dafür keine zusätzlichen Mittel bereitstellen wird. Die Planungssicherheit der Verträge zwischen dem Land Berlin und den einzelnen Hochschulen wird hier zum Bumerang, denn in den Verträgen steht, daß bei der Auflage von Bund-Länder-Programmen die Hochschulen den Anteil des Landes tragen müßten.

Um die Proteste der Studierenden gegen den massiven Bildungsabbau zu unterstützen und den Druck auf die Politik zu verstärken, haben die drei Berliner Präsidenten am 10. Dezember die Mitglieder ihrer Universitäten zu einer bildungspolitischen Demonstration aufgerufen. Dabei gehe es nicht, wie die Präsidenten unterstreichen, um Einzelheiten, sondern um die Grundsatzfrage nach der öffentlichen Verantwortung für das gesamte Bildungssystem und seine Institutionen und damit um die Zukunft der jüngeren Generation, von den Schulen über die berufliche Ausbildung bis zu den Hochschulen und den Perspektiven des wissenschaftlichen Nachwuchses.

"Jetzt geht es alle an"

"Jetzt geht es alle an", betonen die Präsidenten, "nachdem die politisch Verantwortlichen diese Zukunftsinvestitionen seit Jahren nur bereden und Berlin geradezu 'Hauptstadt des Bildungsabbaus' geworden ist." Die große Sympathie in der Bevölkerung für die bisherigen studentischen Proteste zeige deutlich, daß die politischen Entscheidungsträger inzwischen die Bodenhaftung verloren haben, indem sie so tun, als gäbe es angesichts leerer Kassen und Globalisierung nur noch Zwänge und keine Entscheidungsmöglichkeiten mehr.

Zur Sicherung des Bildungssystems, so die Präsidenten in ihrem Aufruf weiter, gehören nicht nur eine angemessene Finanzierung, sondern auch Strukturreformen, die den einzelnen Institutionen, insbesondere den Hochschulen, mehr Autonomie überlassen müssen. Mit der bisherigen öberreglementierung des Bildungssystems nur fortzufahren und dazu einzusparen, führe in eine katastrophale Entwicklung, die jetzt beendet werden müsse.

Ernstzunehmende Reaktionen auf die studentischen Proteste von seiten der Berliner Politik gibt es bisher nicht. Wie glaubwürdig die Berliner Regierungskoalition jedoch ist, wenn sie immer wieder und wieder auf den hohen Stellenwert, den sie Wissenschaft und Forschung in der Hauptstadt einräumt, verweist, zeigen die folgenden Zahlen für die TU Berlin Allein in den Jahren von 1993 bis 1997 hat die TU Berlin rund 16% (ca. 90 Millionen DM) ihres Budgets dauerhaft kürzen müssen, oder anschaulicher ausgedrückt: 630 Personalstellen sind gestrichen worden. Nach dem Vertrag zwischen dem Land Berlin und der TU Berlin geht in der Zeit von 1998 bis 2000 das Budget der TU Berlin (= hier der Landeszuschuß) um weitere Millionen, nämlich von 543 Millionen DM auf 505 Millionen runter. Das ist eine Einsparsumme von 38 Millionen. Real muß die TU Berlin aber weit mehr einsparen, nämlich rund 68 Millionen DM, da sie allein für die Zahlungen der Pensionen für Beamte aufkommen muß. Dies ist einzigartig, denn in den anderen Bundesländern müssen dafür nicht die Hochschulen bluten, dort werden die Pensionen von den Ministerien aus den Landesmitteln finanziert. Als weitere Belastung für den Hochschulhaushalt kommen mögliche Tarifsteigerungen hinzu, die auch aus vorhandenen TU-Mitteln ausgeglichen werden müssen.

Berücksichtigt man die Einsparsummen, die die Freie Universität und die Humboldt-Universität haben hinnehmen müssen, so ist bis zum Jahr 2003 mit einer Milliarde DM Kürzungen im Hochschulbereich eine Universität abgewickelt worden, jedenfalls finanziell gesehen.

WORTE UND TATEN

Wie groß die Diskrepanz zwischen Worten und Taten auf seiten der Politik geworden ist, zeigt sich auch auf Bundesebene. Bildungs- und Forschungsminister Rüttgers, voller Sympathie für die Proteste der Studierenden, konnte nicht abwenden, daß der Haushaltszuwachs für den Haushalt der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und der Max-Planck-Gesellschaft (MPG) auch erheblich reduziert wurde. Für die MPG sind es 1998 allein 16 Millionen weniger.

Diese Beschlüsse des Haushaltsausschusses des Bundestags und die Beschlüsse des Abgeordnetenhauses von Berlin sind die besten Beweise dafür, welchen Stellenwert Bildung und Forschung tatsächlich in der Bundes- und Landespolitik haben.

Ins Schußfeld der Kritik sind bei den studentischen Aktionen in Berlin vor allem die Hochschulverträge geraten, die das Land Berlin mit jeder Hochschule abgeschlossen hat. Doch trotz aller Kritik an den Hochschulverträgen, die schon früher von den Präsidenten und Rektoren und den Hochschulgremien formuliert wurde, muß man festhalten, daß die Verträge das kleinere öbel sind und durch die fest zugesicherten Landeszuschüsse bis zum Jahr 2000 sicherstellen, daß die Hochschulen nicht ins Bodenlose fallen. Und diese Zusicherungen gelten, obwohl das Land Berlin noch immer nicht die Finanzkrise bewältigt hat, wie man täglich den Medien entnehmen kann.

Ohne die Hochschulverträge wäre die Gefahr zu groß gewesen, daß die TU Berlin für die Laufzeit der Verträge (bis zum Jahr 2000) noch weitere Kürzungen hätte hinnehmen muß. Wie realistisch diese Sorge ist, zeigt eine Entscheidung, die das Abgeordnetenhaus kürzlich traf. Restlos gestrichen wurde im Haushalt 1998 der Wissenschaftsverwaltung ein internationales Sonderprogramm für die TU Berlin, das als Sonderprogramm nicht Bestandteil des Hochschulvertrages ist (ca. DM 500 000 im Jahr). Es handelt sich dabei um das renommierte TU-Nachkontakteprogramm für ausländische Studierende. Das Programm, ein weltweites Kontaktnetz zu ausländischen TU-Absolventen, das in 14 Jahren aufgebaut wurde, wird so - falls sich kein anderer Geldgeber finden sollte - zunichte gemacht. Dies ist um so bedauerlicher, weil bundes- und berlinweit der Nutzen eines solchen Nachkontakteprogramms auch für den Wirtschaftsstandort Deutschland immer wieder betont wurde.

EWERS SOLL NACHVERHANDELN

Vor dem Hintergrund der bundesweiten und Berliner Proteste hat der Akademische Senat der TU Berlin auf seiner letzten Sitzung auch den Präsidenten Hans-Jürgen Ewers aufgefordert, gemeinsam mit den anderen Berliner Universitätspräsidenten bessere finanzielle Bedingungen und mehr Entscheidungskompetenzen für die Berliner Universitäten auszuhandeln. Noch vor Weihnachten werden die Präsidenten und Rektoren mit Wissenschaftssenator Radunski ins Gespräch kommen.

Kristina R. Zerges


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