TU intern - Erstsemester-Special 1997

Knallharter Empfang

Lange Zeit wurden universitäre Neulinge bei Aufnahmeriten gequält - Heute sieht's besser aus

Wer sich im Mittelalter an einer Universität einschrieb, mußte sich auf einige studentische Derbheiten gefaßt machen. Was im 14. Jahrhundert mit der notfalls unsanften Erpressung von Geldern für ein Festgelage begann, entwickelte sich im 15. Jahrhundert zu erniedrigenden Aufnahmeriten. Die älteren Studenten quälten den Neuling sowohl körperlich als auch psychisch. Diese Prozedur war den klösterlichen und besonders den zunftmäßigen Bräuchen wie etwa der Gesellentaufe nachempfunden.

Genannt wurden die Neulinge häufig "Beanus" nach dem französischen "béjaune" (bec jaune = Grünschnabel). Was ihnen widerfuhr, berichtet zum Beispiel Mitte des 15. Jahrhunderts Goswin Kempgyn von Neuß in seiner "Trivita studentium": Nachdem der Rektor der Universität den neuen Studenten in das Universitätsverzeichnis eingetragen und der Neuling den Immatrikulationseid geschworen hatte, mußte sich der Beanus der sogenannten Deposition unterziehen. Unter dem Begriff Deposition verstand man Abstoßung (gemeint sind die Hörner) oder Ablegung (seines unakademischen, unzivilisierten Wesens).

Zunächst bedachten die älteren Kommilitonen den Beanus mit Beschimpfungen und Schmähungen, um ihm seine Minderwertigkeit deutlich zu machen: Als ein ungebildetes Untier müsse der Neuling zivilisiert werden. Entsprechend als wildes Tier verkleidet wurde der Unglückliche anschließend mit verschiedensten Instrumenten bearbeitet. Der Bart wurde geschoren, die angesteckten Zähne gezogen und die aufgesetzten Hörner abgesägt. Zur "Stärkung" des Opfers wurde eine aus allerlei Bestandteilen zusammengemischte Salbe verwandt. Außerdem unterzogen sie den Neuling einer ausführlichen Reinigung. Den Abschluß bildete die Beichte und schließlich die Absolution durch den Dekan. Als Buße wurde dem Beanus die Bezahlung eines festlichen Schmauses auferlegt.

Da es dabei ziemlich grob zuging und nicht selten zu erheblichen Verletzungen des Neulings kam, versuchte die Obrigkeit diese Bräuche zu unterbinden. 1493 wurde per Edikt dem Pariser Bernhardskolleg verboten, das Amt eines "abbas bejaunorum", der die Deposition durchzuführen hatte, einzurichten. Ferner sollten alle Werkzeuge, Geräte und Gefäße, die der Aufnahmeprozedur dienten, binnen drei Tagen ausgeliefert werden. In einem zweiten Edikt wurde "die mittelbare oder unmittelbare Berührung der Neulinge mit Wasser, Stroh oder anderen Dingen" untersagt und nur ein einfaches Mahl auf ihre Kosten gestattet.

Doch in der Praxis konnten weder Edikte noch die mittelalterlichen Kollegienordnungen verhindern, daß die Jungen von den Älteren terrorisiert wurden. Diejenigen, die die Deposition einst selber über sich ergehen lassen mußten, wollten schließlich die Jüngeren davon nicht verschonen. Der Theologe und Humanist Philipp Melanchton (1497 bis 1560), enger Mitarbeiter des Reformators Martin Luther und nach dessen Tod Führer des deutschen Protestantismus, hielt die Deposition für ein "wichtiges charakterliches Prüfungsmittel der Studienanfänger".

Erstsemesterempfang im 16. Jahrhundert: Der "ungeschliffene"Neuling wird auf dem Schleifbock für das Studentenleben präpariert. (Anonymer Holzschnitt "Heldengesang auf die Depositionsarten", 1578)

Im Laufe des 17. Jahrhunderts mehrten sich die Verbote, ohne allerdings viel Erfolg zu haben. Die Deposition wurde in Deutschland sogar zu einem offiziellen Universitätsakt. Zwar nicht direkt durchgeführt durch universitäre Autoritäten, aber doch mit ihrer Billigung und Unterstützung. So war im 17. Jahrhundert ein vom Dekan der jeweiligen Fakultät auszustellender Depositionsschein Vorbedingung zur Immatrikulation. Die Deposition, die für den Neuling gebührenpflichtig war, wurde zusammen mit dem besonderen Eintritt in die Fakultät vor der Immatrikulation vollzogen. Aus Jena ist zum Beispiel überliefert, daß der Dekan der philosophischen Fakultät dem Maulesel, so nannten die Studenten nun den noch nicht an der Universität eingeschriebenen Schulabgänger, irreführende Fragen stellte, um ihn für seine Unkenntnis möglichst prügeln zu können. Unterstützt wurde der Dekan zumeist von einem besonderen Depositor. Noch der Ritter von Lang berichtet in seinen Memoiren, daß er 1782 unter bewaffneter Begleitung eines Depositors dem Rektor in Altdorf vorgeführt und immatrikuliert wurde.

Dabei nahmen die Aufnahmebräuche immer skurrilere Formen an. Marterwerkzeuge wie Axt, Beil, Hobel, Zange, Feile, Schere oder Ohrlöffel wurden zur Bearbeitung der Neulinge benutzt. Begleitend dazu wurden moralisch-symbolische Erläuterungen gehalten, damit der Beanus die pädagogische Bedeutung der Maßregel verinnerlichte. Zum Schluß erfolgte eine Art Taufe, wobei dem Beanus Salz und Wein gereicht wurden, seltener auch über den Kopf gegossen wurden.

Die Deposition konnte sich in Deutschland, wenn auch in abgemilderter Form, bis ins 18. Jahrhundert halten. Die Einschreibegebühr an den Universitäten hieß noch lange Zeit Depositionsgebühr. In Frankreich und den Niederlanden findet man bis ins 20. Jahrhundert noch solche rauhen Sitten. Eigentlich sind in Frankreich solche Aufnahmeriten per Gesetz untersagt, doch kaum jemand scheint sich trauen, gegen solche erniedrigenden Bräuche vorzugehen. Die "bizutage", nach dem Neuling (bizut) benannt, soll aber demnächst unter Strafe gestellt werden.

In Deutschland fand die Deposition einen gewissen Ausklang im sogenannten Pennalismus der studentischen Korporationen: Der Erstsemester, Fuchs oder auch Kraßfuchs genannt, mußte ein Jahr, sechs Monate und sechs Tage lang niedere Dienste wie Putzen in seiner Verbindung erledigen, die älteren bedienen und stets für die anderen bezahlen. Noch heute zeugen Redensarten "wie sich die Hörner abstoßen" von diesen Bräuchen.

Christian Hohlfeld


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