MENSCHEN"Kontrollbesuche sind keine gute Idee"TU-intern-Umfrage: Wie kann man den Krankenstand im öffentlichen Dienst senken? Können Sie sich das vorstellen: Sie sind krank und bleiben zu Hause, weil der Arzt Sie krankgeschrieben hat und Sie sich zu Hause auskurieren sollen. Und dann klingelt es eines Morgens an der Tür, und ihr Vorgesetzter steht auf der Matte. Ohne Blumen, aber mit den Worten "Ich wollte nur mal nachschauen, ob Sie mit Ihrer Krankschreibung auch wirklich zu Hause sind." Bundesinnenminister Manfred Kanther kann sich solche Besuche in bestimmten Fällen vorstellen. Für ihn sind sie eine von mehreren Maßnahmen , um den Krankenstand in der öffentlichen Verwaltung zu senken. Der Hintergrund: In einer Erhebung seines Ministeriums hatte sich gezeigt, daß der Krankenstand im öffentlichen Dienst des Bundes über vergleichbare Zahlen aus der freien Wirtschaft liegt. Daraufhin legte Kanther im Januar ein Maßnahmenpaket zur Senkung des Krankenstandes vor. Einer der insgesamt acht Vorschläge wurde in ersten Reaktionen ganz besonders scharf kritisiert: "Bei Auffälligkeiten" sollen Vorgesetzte die Möglichkeit haben, bei ihren Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen zu Krankenbesuchen aufzukreuzen. TU intern fragte TU-Mitarbeiter und -Mitarbeiterinnen, was sie von Kanthers Idee der Hausbesuche halten. Und: Welche anderen Maßnahmen halten sie für geeignet, den Krankenstand zu senken?
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Eva Butzke, Referat für Angelegenheiten der Akademischen Selbstverwaltung |
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Kontrollbesuche halte ich für keine gute Idee. Die Privatsphäre
sollte gewahrt bleiben. Das Problem des Krankenstandes sollte
schon beachtet und ernst genommen werden. Dabei sind gute Vorbilder
wichtig. Wichtig ist natürlich auch ein guter Kontakt in
der Abteilung. Die zwischenmenschlichen Beziehungen sollten gepflegt
werden. Dabei müßten alle Kollegen gemeinsam an einem
Strang ziehen und sich gemeinsam für die Arbeit verantwortlich
fühlen. Dann wird es hoffentlich seltener zu Krankmeldungen
kommen.
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Udo Treide, Allgemeine Studienberatung
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Herr Kanther macht sich über die Schwächsten im öffentlichen
Dienst her: die untergebenen kranken Angestellten und Arbeiter.
Mein Vorschlag: Alle im öffentlichen Dienst Beschäftigten
sollten Beamte und Vorgesetzte werden, dann müßte der
Krankenstand schlagartig niedriger werden. Denn die Statistik
sagt, Beamte und Vorgesetzte sind weniger krank. Zum Thema "Hausbesuche":
Ein abwegiger Vorschlag! Wenn die Vorgesetzten für Hausbesuche
Zeit haben, scheinen sie nicht ausgelastet zu sein. Durch eine
solche Überwachungsmaßnahme wird das Arbeitsklima mit
Sicherheit nicht besser. Ein kranker Mitarbeiter wird gewiß
keine gute Arbeit leisten - oder kommt es nur auf die Anwesenheit
an? Wer entscheidet, wer krank ist? Der Arzt, der kontrollierende
Vorgesetzte oder der Mensch, der sich krank fühlt? Vielleicht
sollte man den öffentlichen Dienst abschaffen und alles privatisieren,
dann müßte alles besser werden - oder?
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Karin Möser, Fachbereichsverwaltung1 |
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Sollte ich krank werden und es käme jemand zu einem Kontrollbesuch, habe ich persönlich damit keine Probleme. Wer nichts zu verbergen hat, kann diesem wohl sehr gelassen entgegensehen. Bei einigen Meldungen aus der Presse der letzten Zeit über Krankenstände im öffentlichen Dienst, kann ich nur mit dem Kopf schütteln. Wenn Mitarbeiter über lange Zeiträume fehlen und deren Abwesenheit nicht einmal bemerkt wird, dann sollte man die Ursache nicht nur bei den Betroffenen, sondern auch in ihrem Umfeld suchen. Grundsätzlich gehe ich davon aus, daß jeder verantwortungsbewußt und sorgsam mit seinen Krankmeldungen umgeht. Kontrollbesuche sind übrigens gar kein neues Mittel. Die Krankenkassen haben seit eh und je Hausbesucher. Auch die TUB führte noch in den 70er Jahren Hausbesuche bei Mitarbeitern durch, die über längere Zeiträume krank waren.
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Marianne Busse, Innenrevision |
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Nur als absolute Ausnahme würde ich eine solche Kontrolle akzeptieren, ansonsten finde ich so etwas unzumutbar. Ein Verhältnis zwischen Vorgesetztem und Mitarbeiter sollte auf Vertrauen und Kommunikation basieren und nicht auf Mißtrauen und Überprüfung. Die Gründe für häufige Erkrankung können sehr vielfältig sein: wirkliche Krankheit, private Probleme, Über- und Unterforderung am Arbeitsplatz, Mobbing usw. In vielen Fällen können durch Gespräche zwischen Dienstvorgesetztem und Mitarbeiter Probleme besprochen werden. Hier scheint mir ein verstärktes Engagement der Dienstvorgesetzten in der Personalführung zur Mitarbeitermotivation angezeigt. Bei einem aufmerksamen Umgang miteinander sollten solche extremen Maßnahmen - noch dazu staatlich angeordnet - überflüssig sein.
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Michaela Müller-Klang, Personalrat |
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Ich halte den Vorschlag von Innenminister Kanther für kleingeistig, weil er nicht motivierend ist für einen Genesungsprozeß. Darüber hinaus hat dieser Vorschlag für mich den Anschein einer Retourkutsche, da der Versuch, die Lohnfortzahlung zu kürzen, fehlgeschlagen ist. Um erkrankte Beschäftigte zu kontrollieren, ob sie tatsächlich krank sind, müßten Vorgesetzte ja in die Lage versetzt werden, medizinische Diagnosen erstellen zu können, und bekanntermaßen sind ja nicht alle Krankheiten sichtbar. Ein geeignetes Mittel zur Kontrolle ist bereits vorhanden, nämlich der Attestzwang ab dem ersten Krankheitstag, da bedarf es meiner Meinung nach keiner persönlichen Kontrolle vor Ort. Ich kann mir statt dessen vorstellen, daß es in jeder Dienststelle zur Umsetzung von Maßnahmen der betrieblichen Gesundheitsfürsorge kommt, die ein vernünftiges Arbeitsklima anstrebt beziehungsweise beinhaltet.
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Henning Jungbluth, Leiter der TU-Personalabteilung |
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Der Vorschlag von Herrn Kanther ist natürlich dummes Zeug. Mir als Vorgesetztem fehlt doch jeglicher medizinischer Sachverstand, um beurteilen zu können, ob ein Mitarbeiter krank ist. Beklagenswert ist jedoch, daß bislang jeder, der eine Krankschreibung bringt, als krank anzusehen ist. Es sei denn, wir erleben ihn in Höchstform auf dem Tennisplatz. Und selbst da kann es sein, daß eine gewisse sportliche Betätigung der Genesung dient. Das Problem ist meiner Meinung nach bei den Ärzten zu sehen. Es müssen ja immer zwei Sachverhalte zusammenkommen: Der Betroffene muß nicht nur krank sein, sondern auch dienstunfähig. Und dieser Zusammenhang wird meiner Meinung nach von den Ärzten nicht gesehen. Die Ärzte schreiben daher häufig vorschnell krank. Eine wichtige Maßnahme ist es allerdings, im Betrieb nach krankmachenden Faktoren zu suchen, im Sinne eines Gesundheitsmanagements. Hier können sogenannte Rückkehrgespräche nach einer Krankheit wichtige Hinweise liefern.
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