MEDIEN

Verlage unter Druck

Die TU-Universitätsbibliothek bietet ab sofort Online-Fachzeitschriften an - Eine Probephase der Verlage im Jahr 1997

Über den Tod des gedruckten Wortes wird bereits seit einigen Jahren spekuliert, besonders seit dem massenweisen Auftreten von CD-ROMs auf der Frankfurter Buchmesse. Während sich Literaturverlage derzeit kaum davor fürchten müssen, daß ihre Werke demnächst hauptsächlich auf CD-ROM gepreßt werden, sind die wissenschaftlichen Verlage in einer sehr prekären Situation. Ihre Leser und Leserinnen sind weitaus besser mit Computertechnik ausgestattet und vernetzt als ein durchschnittlicher Buchkonsument, und sie nutzen gerne die neuen Medien, wenn sie dadurch schneller an wichtige Informationen kommen. Und weil einzelne Wissenschaftler und Verbände mit dem Internet nun auch selbst in der Lage sind, für ihre Kollegen und Kolleginnen zu publizieren, wird ihre Arbeit bereits generell in Frage gestellt. Die Verlage geraten in Zugzwang.

ProbeLauf 1997: Online und zunächst kostenlos bieten Verlage einige ihrer Fachzeitschriften an

Derzeit wird bei Fachpublikationen aus Wissenschaft, Technik und Medizin der Großteil noch traditionell gedruckt. "Der Anteil am Umsatz, den die Verlage mit elektronischen Produkten wie CD-ROM oder Disketten machen, wird heute auf zwischen 12 und zwanzig Prozent geschätzt", erklärt Kurt Penke, Leiter der Hauptabteilung Dokumentation in der TU-Universitätsbibliothek (UB). Vertrieben werden diese Produkte vorzugsweise wie bisher, über den Buchhandel.

Aber auch das wird sich mit den Möglichkeiten, die das weltweite Internet bietet, ändern. Was schon seit einiger Zeit mit Schlagworten wie "Online Document Delivery" und "Publishing On Demand" angekündigt wird, gewinnt nun an Konturen. Mehrere wissenschaftliche Verlage bieten der TU-Universitätsbibliothek in diesem Jahr einen kostenlosen, elektronischen Zugriff auf einige ihrer Online-Zeitschriften an. Diese Angebote, die auch für die Bibliotheken von FU und HU gelten, sind Pilotprojekte, betont Kurt Penke: "Mit ihnen wollen die Verlage einerseits Erfahrungen hinsichtlich Marktentwicklung und Preisgestaltung gewinnen, andererseits müssen sie viele technische Problemstellungen lösen - etwa Ausgabeformat und Komprimierung."

Den Anfang machen 14 Fachpublikationen des englischen Institute of Physics, darunter das "Journal of micromechanics and microengineering" und "Superconductor Science and Technology". Im Laufe des Jahres sollen Zeitschriften des American Institute of Physics, von Academic Press sowie dem Heidelberger Springer-Verlag hinzukommen. TU intern wird über die jeweils aktuellen Neuzugänge berichten.

Alle bisher angekündigten Angebote sind zunächst auf das Jahr 1997 befristet. Eine gemeinsame Aktion der Verlage sei es aber nicht, erklärt Penke: "Die haben alle zum gleichen Zeitpunkt gemerkt, daß sie mit ihren traditionellen Publikationen nicht mehr so weitermachen können wie bisher. Dadurch, daß Wissenschaftler und Bibliotheken über das Internet sozusagen im Selbstverlag veröffentlichen können und damit der Zeitverzug über den Druck wegfällt, sind die Verlage im Zugzwang."

Deshalb können die Nutzer und Nutzerinnen derzeit von dem noch kostenlosen Angebot profitieren. In vielen Online-Zeitschriften können sie tagesaktuell recherchieren, auf Schlagwortregister und Archive zurückgreifen. Interessante Aufsätze laden sie über das Internet auf den Arbeitsplatzrechner und drucken die Texte bei Bedarf dort aus. Voraussetzung sind lediglich ein Internet-Anschluß, ein Browser-Programm für das World Wide Web sowie ein Laserdrucker.

NEULAND FÜR BIBLIOTHEKEN

"Nicht nur die Verlage, auch die Universitätsbibliothek betritt mit dieser Dienstleistung Neuland", so die Einschätzung von UB-Abteilungsleiter Penke. "Bei Publikationen, die parallel zur Papierversion online angeboten werden, haben wir kaum Probleme. Aber bei Zeitschriften, die nur noch elektronisch erscheinen, gibt es offene Fragen: Wie kann man solche Publikationen archivieren? Wie sollen sie katalogisiert werden?" Auch diese Fragen sollen im diesjährigen Probelauf beantwortet werden.

René Schönfeldt


Weitere Informationen und Projekte zum Thema "Elektronische Publikationen" für alle, die sich weitergehend sachkundig machen wollen, gibt es im Internet unter:


Die ersten 14 Fachzeitschriften, die die UB ihren Nutzern und Nutzerinnen kostenlos online anbieten kann, werden von dem englischen Institute of Physics herausgegeben.

  • Journal of physics/A (Mathematical and General)
  • Journal of physics/B (Atomic, Molecular, and Optical Physics)
  • Journal of physics/Condensed matter
  • Journal of physics/D (Applied Physics)
  • Journal of physics/G (Nuclear and Particle Physics)
  • Inverse problems
  • Journal of micromechanics and microengineering
  • Measurement Science and Technology
  • Nonlinearity
  • Quantum and Semiclassical Optics (Journal of the European Optical Society, Part B)
  • Reports on progress in physics
  • Semiconductor Science and Technology
  • Superconductor Science and Technology
  • Waves in random media

Zu finden sind sie im Internet unter der Adresse http://www.iop.org/EJ/welcome/ Zugriffsberechtigung hat man gegenwärtig allerdings nur von einigen Rechnern des Fachbereichs Physik. Ihre Adressen beginnnen mit den Nummern 130.149.40, 130.149.41 oder 130.149.114. Alle anderen des TU-Campusnetzes können zwar die Inhaltsverzeichnisse nebst Abstracts einsehen, haben aber keine Berechtigung für die Volltexte.

Weitere Fragen und auch Erfahrungsberichte mit der Nutzung des neuen Angebots können Sie an die folgenden E-Mail-Adressen richten. penke@ub.tu-berlin.de (UB, Kurt Penke) und ubphoaed@mail szrz.zrz.TU-Berlin.DE (UB, Abt. Physik, Christoph Demmer).


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