FORSCHUNG

Fragende Wissenschaftler und geniale Handwerker

Eine Arbeit über die Zusammenarbeit von Wissenschaft und Handwerk im ausgehenden 19. Jahrhundert

"Aspirationspsychrometer, 1892 von R. Assmann entwickeltes Instrument zur Messung der wahren, durch Strahlung nicht verfälschten Temperatur und Feuchtigkeit der Luft" - so beschreibt der Brockhaus das von einem R. Assmann entwickelte Meßgerät und erfüllt dabei seine Aufgabe auch vollkommen, dem Leser zu erklären, wozu dieses Gerät gut ist und wer es entwickelt hat. Hinter dieser kleinen Lexikonnotiz verbirgt sich natürlich eine Geschichte und weitere Personen, die an der Entwicklung dieses meteorologischen Meßgerätes beteiligt waren.

Dies ist das Arbeitsgebiet von Wissenschafts- und Technikhistorikern, hier den Dingen auf den Grund zu gehen. Claudia Schuster-Spiekenheier hat sich in ihrer Magisterarbeit, die am Institut für Philosophie, Wissenschaftstheorie, Wissenschafts- und Technikgeschichte entstanden ist, mit der Entstehungsgeschichte des Aspirationspsychrometers beschäftigt und ist dabei der Frage nachgegangen, wie Handwerk und Wissenschaft sich gegenseitig beeinflußt und zusammengearbeitet haben. Für ihre Arbeit, die von Prof. Dr. Hans-Werner Schütt betreut wurde, wurde sie mit dem Paul-Bunge-Preis der Deutschen Bunsen-Gesellschaft ausgezeichnet. Der mit 5000 DM dotierte Preis wird seit 1992 jährlich vergeben.

DER HANDWERKER-MYTHOS

Hintergrund und Aufhänger für ihre Untersuchung ist die These des schwedischen Historikers Svante Lindqvist, der in der Geschichtsschreibung einen, wie er es nennt, Handwerker-Mythos verbreitet sieht - ein nostalgisch idealisiertes Bild des Instrumentenbauers, der mit Geduld und Geschicklichkeit die vom Wissenschaftler geforderten Instrumente hervorbringt. Lindqvists These dagegen lautet, daß weder der einzelne geniale Mechaniker noch der Fragen stellende Wissenschaftler die Richtung der wissenschaftlichen Entwicklung beeinflußt, sondern der Standard der Alltagstechnik. Um die Nutzung des technischen Know-hows für die Wissenschaft verstehen zu können, fordert er Untersuchungen über Handwerker als Berufsgruppe und deren Karrieremuster.

Das Aspirationspsychrometer: An seiner Entwicklung waren der Feinmechaniker Rudolf Fuess und der Meteorologe Richard Assmann beteiligt

Von der Geschichtsschreibung kaum beachtet ist der Berliner Feinmechaniker Rudolf Fuess (1838-1917), in dessen Werkstatt nämlich das Assmannsche Aspirationspsychrometer gebaut wurde. Claudia Schuster-Spiekenheier hat sich auf die Suche gemacht und zeitgenössische Zeitschriftenartikel und Patente durchgesehen und alles zusammengetragen, was bezogen auf Rudolf Fuess und Richard Assmann und deren gemeinsamer Arbeit von Interesse ist.

Rudolf Fuess, 1838 in Moringen bei Göttingen geboren, machte sich 1865 mit einer mechanisch-optischen Werkstatt in Berlin selbständig. Er zählte offensichtlich zur Elite der Feinmechaniker: Er war Mitglied der Deutschen Meteorologischen Gesellschaft, Gründungsmitglied der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt und Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Mechanik und Optik sowie Mitherausgeber der "Zeitschrift für Instrumentenkunde". Aus seiner Werkstatt kamen hauptsächlich Instrumente für Mineralogie, Kristallographie, Meteorologie und Hydrotechnik. Führend wurde er vor allem im Bereich der meteorologischen und dort speziell der registrierenden Instrumente. Viele seiner Geräte wurden als Normalinstrumente, d. h. als Präzisionsinstrumente, die die Norm angeben und als Eichgeräte eingesetzt werden können, anerkannt.

FEUCHTIGKEIT MESSEN

Bei dem Assmannschen Aspirationpsychrometer handelt es sich, wie bereits erwähnt, um ein Instrument der Feuchtigkeitsmessung. Es besteht aus zwei Thermometern, von denen eines feucht umwickelt ist. Für die Bestimmung der tatsächlichen Lufttemperatur werden beide Thermometer durch Metallhüllen vor Strahlungswärme geschützt. Um Luftstauungen an den Hüllen zu vermeiden, wird der ganze Apparat mit der zu messenden Luft aspiriert, d. h. die Luft wird mit ca. zwei Metern pro Sekunde an den Thermometern vorbeigeführt.

Die Idee dieses Verfahrens kam von dem in Berlin tätigen Meteorologen Richard Assmann (1845-1918), der auch alle Vorversuche zu möglichen Konstruktionsformen anstellte und spätere Tests durchführte. Rudolf Fuess' Ideen waren dagegen eher mechanischer und praktischer Natur - er war in erster Linie Ausführender, weist Claudia Schuster-Spiekenheier in ihrer Arbeit nach. Dennoch nahm er in der heftigen Diskussion, die um dieses Meßprinzip in der Wissenschaft geführt wurde, mit seinen eigenen Konstruktionsideen eine Art Katalysatorrolle ein. Neben Fuess und Assmann waren noch weitere Techniker und Meteorologen an der Arbeit beteiligt. Nach heftigen Auseinandersetzungen zwischen Meteorologen wurde das Assmannsche Aspirationspsychrometer 1898 von der Internationalen Kommission für die Erforschung der freien Atmosphäre als Normalinstrument empfohlen.

WISSENSCHAFT UND HANDWERK

Claudia Schuster-Spiekenheier bestätigt in ihrer Untersuchung in eingeschränkter Form die These des schwedischen Wissenschaftlers Lindqvist, indem sie nachweist, daß weder der Wissenschaftler ein ausgetüfteltes Instrument bestellte, noch ein einzelner Mechaniker dieses erfand. Vielmehr wurde das Fachwissen aus mehreren Bereichen - Feinmechanik, Ingenieurwesen, Wissenschaft - zusammengetragen. Allerdings kam hier weniger die Alltagstechnik zum Tragen, sondern eher der technologische Standard der bereits in der Meteorologie eingesetzten Instrumente.

In der Meteorologie und der Aerologie ist das Aspirationspsychrometer eine einschneidende Neuerung gewesen. Mit den neugewonnenen Meßreihen konnte die Gültigkeit physikalischer Theorien für die freie Atmosphäre bestätigt werden. 1902 wurde mit diesem Meßprinzip die Stratosphäre entdeckt - übrigens von Richard Assmann! Noch heute wird das Aspirationspsychrometer auf Wetterstationen eingesetzt, seine Bedeutung als Forschungsinstrument hat es jedoch verloren. Die Fachleute nennen es einfach nur "Assmann".

Bettina Weniger


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