HOCHSCHULPOLITIK

CONTRA Pflichttutorien

Welche Aufgabe erfüllt ein Tutorium? Angesichts der Forderung nach Einführung von Zwangstutorien scheint das Tutorienmodell nicht nur finanziell in der Krise zu stecken.

Nach Herrn Grütters Ansicht stellt ein Tutorium lediglich eine Zusatz- oder Nachhilfeveranstaltung dar, deren vornehmlichste Aufgabe es ist, den Stoff der Vorlesung auf ein verständliches Niveau zu transformieren und Studierende so durch die Klausur oder zum Schein zu bringen. Zweifellos gibt es solche Tutorien an dieser Universität. Ein solches Fördermodell muß sich jedoch die Frage nach der Finanzierung durch die öffentliche Hand gefallen lassen.

Lernen in der Kleingruppe beinhaltet ein weitaus größeres didaktisches Potential. Ein Tutorium kann beispielsweise Anknüpfungspunkte für den Stoff der Vorlesung bieten, alternative Perspektiven diskutieren, für eine Eingliederung des Stoffes in eine Rahmenstruktur sorgen, Randgebiete thematisieren, kurz: Ein Tutorium kann den Überblick über ein Stoffgebiet vermitteln, der für das Verständnis erforderlich ist und in Vorlesungen aufgrund der großen Inhaltsdichte oft vernachlässigt wird. Auch diese Tutorien lassen sich an unserer Universität finden.

Ein solches, meiner Ansicht nach wünschenswertes Tutorium setzt eine echte Zusammenarbeit zwischen Professoren, Assistenten und Tutoren/innen einer Lehrveranstaltung voraus, die leider viel zu selten existiert. Die Möglichkeiten, welche die verschiedenen Lehrformen (VL, UE, PR, TUT) bieten, können nur durch ein rahmengebendes LV-Konzept genutzt werden. Das Miteinander anstelle des Nebeneinanders kann alle an der Lehre Beteiligten entlasten und damit die Mittel effizienter nutzen.

Um eine verantwortungsvolle Rolle in der Lehre übernehmen zu können, muß das Tutorium von hoher Qualität sein. Dies bedarf mehr Aufwand als Herr Grütter sich vorstellen mag.

Neben dem eigentlichen Tutorium ist Zeit zur intensiven Vorbereitung, zur Auseinandersetzung mit der Vorlesung und zur Nachbereitung erforderlich. Ein solcher unentgeltlicher Zeitaufwand ist neben Studium und Job nicht zu leisten. Der bestehende Tarifvertrag, der über die Bezahlung hinaus wichtige Rahmenbedingungen festschreibt, bietet daher die Grundlage, auf welcher qualifizierte Lehre durch Studierende erst ermöglicht wird.

Ein gutes Tutorium bedarf neben viel Engagement auch didaktischer Fertigkeiten. In einigen Fällen wird durch Wochenendseminare versucht, dieses Defizit aufzufangen. Daß nicht jeder Mensch ohne weitere Ausbildung in der Lage ist, Wissen zu vermitteln oder nur Vorträge zu halten, dürfte jeder in (Haupt-) Seminaren erfahren haben bzw. erfahren können. Ein Trugschluß ist auch die Ansicht, eine Zusatzqualifikation "Fähigkeit zur Wissensvermittlung" würde durch das Abhalten eines Tutoriums praktisch von selbst erreicht. Diese Auffassung entspricht der Ignoranz der Natur- und Ingenieurwissenschaften gegenüber der Didaktik, welche die Lehramtskandidaten an dieser Universität oft erfahren.

Ein Zwangstutorium ist keine Grundlage für qualifizierte Lehre. Auch im Hinblick auf die schon heute knappen Assistentenstellen, welche die Zwangstutoren/ innen betreuen sollen, erscheint mir Herr Grütters Vorschlag wenig durchdacht.

Die Diskussion, was welche Statusgruppe für die Universität leistet bzw. leisten sollte, möchte ich nicht führen. Nur soviel sei gesagt: Die Möglichkeiten, sich zu engagieren, scheinen nicht so begrenzt, wenn man bedenkt, daß Herr Grütter selbst als Student Mitglied des AS ist, und daß ein Großteil der Studienreformprojeke auf Initiativen von Studierenden zurückgeht.

Wer sich für die Erhaltung des Tarifvertrages und damit für qualifizierte Lehre in Tutorien einsetzen möchte, kann sich - ganz ohne Zwang - beim nächsten Treffen der TU-TV-AG einfinden (Infos Tel. 314-2 23 51)

Frank Möbius


© 7-9/'97 TU-Pressestelle [ ]