MENSCHENUtetschka mozgowDie Situation der Forschung in Rußland hat sich nach dem Zerfall der Sowjetunion bedeutend verschlechtert. Zahlreiche Wissenschaftler verloren ihre Stellen, die verbliebenen sind schlecht bezahlt, müssen mit veralteten Geräten und mangelnder Fachliteratur auskommen. Auch Nadeshda Usol'tseva aus Iwanowo, 300 Kilometer nordöstlich von Moskau, kennt diese Situation. Die Professorin an der Staatsuniversität im russischen Iwanowo und Kollegin von TU-Chemieprofessor Klaus Praefcke versucht, dem Problem beizukommen, indem sie verstärkt mit ausländischen Forschern zusammenarbeitet. Das von ihr seit 14 Jahren geleitete Labor für Flüssigkristalle hatte früher 22 Mitarbeiter - heute sind es nur noch 14. Die staatlichen Zuwendungen, die sie noch für ihr Labor erhält, reichen gerade für die Löhne der Beschäftigten. Die russische Wirtschaft kann ebenfalls kaum Unterstützung geben; viele Unternehmen aus der Textilbranche, für die Iwanowo bekannt war, sind in den vergangenen Jahren geschlossen worden.
"Sehr bedeutend" ist für Nadeshda Usol'tseva deshalb die Zusammenarbeit mit ausländischen Partnern und die Förderung durch russische und ausländische Wissenschaftsorganisationen. Chemikalien, Geräte, Literatur und Reisen würden damit in vielen Fällen erst möglich. Die von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderte Zusammenarbeit mit Professor Praefcke besteht seit 1990 und führte seitdem zu zahlreichen gemeinsamen wissenschaftlichen Veröffentlichungen und gegenseitigen Besuschen in Berlin und Iwanowo. Nadeshda Usol'tseva war mehrmals zu Forschungsaufenthalten in Berlin. "Insgesamt war ich bereits ungefähr eineinhalb Jahre hier", erinnert sich die russische Wissenschaftlerin, die derzeit wieder am Institut für Organische Chemie forscht. Seit einigen Jahren arbeitet sie außerdem mit anderen europäischen Wissenschaftlern zusammen, ist in einem von der EU geförderten Netzwerk, dem Kollegen aus Großbritannien, Frankreich, Spanien und anderen westeuropäischen Ländern angehören. Im vergangenen Jahr war sie für neun Monate als Gastprofessorin an der Universität Valladolid in Spanien. Wieviele ihrer russischen Kolleginnen und Kollegen den Weg über die internationale Zusammenarbeit gehen, um ihren Forscherbetrieb weiterzuführen, kann sie schlecht abschätzen, sagt Professorin Usol'tseva. Es herrsche auf jeden Fall "eine sehr große Konkurrenz" um die Fördermittel. Trotzdem sei es der beste Weg, um gute Forschung in Rußland aufrechtzuerhalten. Daß russische Wissenschaftler ihrem Land wegen der schlechten Arbeitsbedingungen vollständig den Rücken kehren, ist ihrer Meinung nach kein großes Problem. "Viele bekommen nur Zeitverträge und kehren danach wieder zurück." Viel mehr Sorgen bereitet der Professorin, daß viele begabte junge Menschen, die sich früher für eine naturwissenschaftliche Laufbahn entschieden hätten, heute in Wirtschaftsberufe streben. Das sei ein "Utetschka mozgow" - ein Abwandern von intellektueller Energie -, das in den nächsten Jahren sehr problematisch werde. rs MELDUNGEN + RUSSLAND + MELDUNGEN + RUSSLAND + MELDUNGEN TECHNOLOGIEHILFE /rs/ Um eine moderne wissenschaftlich-technologische Infrastruktur in Rußland aufzubauen, hat die Europäische Union 7 Millionen DM zur Verfügung gestellt. Im Rahmen des Tacis-Programms soll mit diesem Geld ein Schulungs- und Beratungsprojekt finanziert werden, das die Fraunhofer-Management-Gesellschaft (FhM) und die niederländische Organisation für Angewandte Forschung NTO durchführen. Gemeinsam mit russischen Fachleuten sollen die Berater ein Konzept zur Förderung der russischen Forschungs- und Technologieinfrastruktur entwerfen. Zusätzlich zum nationalen Rahmenkonzept sollen Detailkonzepte für die Regionen Nowosibirsk, Samara, Selenograd und Tomsk entwickelt werden, die schon zu Zeiten der Sowjetunion wichtige Orte der Forschung waren. Während der zweijährigen Projektphase sind außerdem sogenannte study tours vorgesehen, mit denen russische Fachleute in den EU-Ländern Kontakte mit vorbildhaften Institutionen aufnehmen können. Die Fraunhofer-Management GmbH ist eine gemeinnützige Tochter der Fraunhofer-Gesellschaft e. V. Weitere Infos unter http://www.fhm.fhg.de/ KÜRZUNGEN /rs/ Obwohl die russische Regierung gehofft hatte, Wissenschaft und Forschung aus den derzeitigen Sparmaßnahmen herauszuhalten, wird jetzt auch in diesem Bereich gestrichen. Nach einem Bericht des Wissenschaftsmagazins Science (Vol. 276, S. 1639) kündigte die Regierung an, die Finanzierung der russischen Stiftung für die Grundlagenforschung um 55 % zu kürzen. Die Kürzungen betreffen alle Ausgaben, außer den Gehältern für die Angestellten. Mikhail Alfimov, neuer Chef der Organisation warnte, daß diese Kürzungen die Infrastruktur der russischen Wirtschaft zerstören würden. Die russische Akademie der Wissenschaften wurde auch nicht verschont: Ihr Budget soll um 25% geringer ausfallen als bisher.
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