MEINUNGEN AUS DER PRAXIS
Christian Kurtzke ist ein vorausschauender Mensch. Schon als er 1987 an der TU Berlin sein Elektrotechnik-Studium aufnahm, hat er "immer zwei Jahre im voraus" gedacht, absolvierte Scheine und Diplom in nur acht Semestern und wurde von der Uni mit dem Erwin-Stephan-Preis für sein kurzes und erfolgreiches Studium belohnt. Die Siemens AG förderte seine Promotion am Institut für Hochfrequenztechnik mit einem Stipendium. Als er seine Doktorarbeit abschloß, waren gerade mal drei weitere Jahre vergangen, und Dr.-Ing. Christian Kurtzke 24 Jahre alt. Heute - weitere vier Jahre später - arbeitet er in verantwortungsvoller Position bei Siemens in München - und unterhält einen engagierten und kritischen Kontakt zu seiner Alma mater. Kurtzke, der nach kurzer Forschungstätigkeit in den USA 1994 zu Siemens nach München ging, leitet dort die Stabsstelle "Culture Change" im Unternehmensbereich Öffentliche Netze (ÖN). Seine Aufgabe: den mit rund 33000 Beschäftigten größten Siemens-Unternehmensbereich umzukrempeln - weg von dem alten Image eines trägen Großunternehmens, hin zu einem "weltweiten Trendsetter in der Telekommunikation". Für den Unternehmensbereich heißt das unter anderem, nicht mehr nur Produkte zu entwickeln und zu verkaufen, sondern ein umfassendes Dienstleistungsgeschäft aufzubauen. Für die Beschäftigten in München bedeutet dieser Kulturwandel Veränderungen im Denken und im Arbeiten. Christian Kurtzke versteht sich dabei als "Architekt der Unternehmensveränderung". Mit seinem Culture-Change-Team führt er beispielsweise projektbezogene Arbeitsteams ein, schafft starre Hierarchien ab - alles in Zusammenarbeit mit den betroffenen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen, betont der Wandel-Fachmann. Trotz aller geographischen Distanz ist der gebürtige Berliner seiner Heimatuniversität verbunden geblieben. Aus eigener Initiative bietet er seit zwei Jahren ein Seminar "Prozeßorientiertes Denken und Handeln im Unternehmen" für Studierende aller Fachbereiche an. Seine Uni-Erfahrungen sind nicht frei von Kritik: Viel zu sehr stünde das Ansammeln von schnell veraltenden Daten im Vordergrund des Studiums. Wichtiger sei jedoch das Kennenlernen von Methoden, sehr wichtig sei "Persönlichkeitsentwicklung". Kurtzke: "Persönlichkeitsentwicklung findet an der Universität zwar statt, aber unbewußt und häufig falsch." Vorlesungen beispielsweise würden nur individuelles Arbeiten fördern und gehörten besser abgeschafft. Gruppenarbeit sei ebenfalls wertlos, wenn die Studierenden methodisch nicht darauf vorbereitet würden. Die Industrie, so Kurtzke, müsse häufig dafür sorgen, daß die Berufseinsteiger einen Großteil der sozialen Fähigkeiten, die sie an der Universität gelernt haben, "entlernen". Die Universität soll Studierende unterstützen, eigene persönliche Visionen zu entwickeln. Nach seiner Meinung müssen sich Studierende frühzeitig darüber klar werden, "was sie lernen können und lernen wollen". Das sei für eine spätere Arbeit weitaus wichtiger als die Vorstellung mancher "Individualkarrieristen", die sich mit langen Listen von Fähigkeiten und Erfahrungen präsentieren. Die könne man in der Industrie gar nicht gebrauchen, so Kurtzke. Wie Persönlichkeitsentwicklung, Studium und Beruf zusammenhängen, zeigt er erneut im Februar '98 in seinem nächsten Blockseminar an der TU Berlin. Außerdem wird er in einer der nächsten Ausgaben von TU intern einen Beitrag zum Thema "Kulturwandel" beisteuern: Wie können sich Unternehmen verändern, und welche Fragen sollte sich eine Universität im Wandel stellen? René Schönfeldt © 6/'97 TU-Pressestelle [ ] |