INTERVIEW

"Alle erdenkliche Mühe"

TU-Vizepräsident Christian Thomsen im Gespräch:
Wie verbessert man die Lehre bei knappen Kassen?

Die TU Berlin wird in Zukunft nicht mehr so sein wie früher. Das Land Berlin streicht die Finanzen für seine Hochschulen radikal zusammen, ein Drittel aller TU-Lehrstühle wird in den nächsten Jahren wegfallen. Wie kann man da noch gute Lehre und interessante Studiengänge anbieten? Und wie kann man vor diesem Hintergrund die Lehre sogar noch verbessern? Genau das will Prof. Dr. Christian Thomsen tun. Er ist seit April TU-Vizepräsident und für den Bereich Lehre und Studium zuständig. René Schönfeldt unterhielt sich mit ihm über neue Stellen, neue Evaluierungen und neue Medien.

Herr Thomsen, wie sehen Sie die Situation der Lehre an der TU Berlin zur Zeit?

Im Wintersemester wird die Anzahl der wissenschaftlichen Mitarbeiter weiter heruntergehen, wenn keine neuen eingestellt werden. Bestimmte Lehrveranstaltungen werden zusammenbrechen, in einzelnen Fällen ist das bereits passiert. Allerdings gibt es Anzeichen dafür, daß nach Unterzeichnung des Vertrages mit dem Land Berlin Gelder für die Einstellung von wissenschaftlichen Mitarbeitern zur Verfügung stehen werden.

Heißt das: Alles wird wieder gut?

Nein, diese Mittel werden unsere Bedürfnisse sicherlich bei weitem nicht erfüllen. Wir werden bestimmen müssen, wie wir diese Stellen auf die Fachbereiche verteilen. Diese Abwägung wird nicht ganz einfach werden.

Nach welchen Kriterien sollen diese Stellen verteilt werden?

Da spielt die Notwendigkeit, Pflichtlehrveranstaltungen aufrechtzuerhalten, eine Rolle. Andererseits werden wir berücksichtigen, inwiefern der Fachbereich sich bereits jetzt alle erdenkliche Mühe gegeben hat, die Anforderungen der Lehre zu erfüllen.


Es wird eine Ranking-Liste von Forschungsschwerpunkten und von Studiengängen geben.

Können Sie das an einem Beispiel erläutern?

Wenn ein Fachbereich mit zwanzig Hochschullehrern fünf von ihnen gleichzeitig ein Forschungssemester gibt, dann gehe ich davon aus, daß man dort nicht alles erdenkliche getan hat, um dem Engpaß in der Lehre zu begegnen. Da werden dann im Verhältnis weniger Mitarbeiterstellen hingehen.

Abgesehen von diesem aktuellen Thema: Wie wollen Sie die Lehre an der TU generell verbessern?

Eine Maßnahme, die ich jetzt ins Leben gerufen habe, wird die Auszeichnung einer "besten Lehrveranstaltung" an jedem Fachbereich sein. Die Studierenden sollen in einem sehr einfachen Verfahren eine Lehrveranstaltung aus diesem und dem vergangenen Semester auswählen. Die Stimmabgabe und die Auswertung soll noch in diesem Semester abgeschlossen sein; die Vergabe der Preise wird dann im Wintersemester stattfinden.

Was für Preise wird es geben?

Das steht noch nicht fest. Wir wollen das nicht aus Universitätsmitteln nehmen, sondern über Sponsoren finanzieren. Die Preisgestaltung wird davon abhängen, wen wir als Sponsoren finden.

Glauben Sie, daß die Lehre dadurch besser wird?

Wir machen zunächst einmal deutlich, daß die Universität gute Lehre wertschätzt. Daß sich ein Lehrender aufgrund dieser Maßnahme in den verbleibenden zwei Monaten des Semesters drastisch verbessert, das erwarte ich nicht. Aber ich erwarte, daß sich die Mitglieder der Fachbereiche in Zukunft noch mehr Mühe geben als bisher, um gute Lehre zu machen. Die Auszeichnung soll dafür ein Ansporn sein.

Und eine "Zitrone" als Auszeichnung für die unbeliebteste Lehrveranstaltung - wollen Sie die auch mal wählen?

Nein, das halte ich nicht für gerechtfertigt. Denn mit der Abstimmung klären wir ja noch gar nicht, was eine "gute" und was eine "schlechte" Lehrveranstaltung ist. Da gibt es ja mehr nebulöse als konkrete Vorstellungen.

Wie wollen Sie das grundsätzliche Problem bei der Bewertung von "guter" und "schlechter" Lehre in den Griff bekommen?

Es wird Evaluierungen in den Studiengängen geben, wie sie das vorherige Präsidium durch die Lehrberichte schon angelegt hatte. Eine Komponente wird das Studienbarometer sein, das zeigt, wie die Studierenden die Ausbildung empfinden. Notwendig ist aber auch eine Bewertung der Lehrveranstaltung, des Lehrmaterials, der Lehrenden und eine Befragung der Absolventen. Jeder Studiengang wird sich fragen lassen müssen, ob er modern und sachgemäß ausbildet, oder ob die Lehrenden Folien benutzen, die durch ihren Gelbstich zeigen, daß sie schon zwei Jahrzehnte eingesetzt werden.

Was ist der Unterschied zu den Evaluationen, die bisher an der TU Berlin durchgeführt wurden?

Die bisherigen Evaluationen waren, soweit ich das beurteilen kann, inkonsequent. Nach den Evaluierungen in den letzten Jahren ist an den Fachbereichen nie etwas passiert.


Nach den Evaluierungen in den letzten Jahren ist an den Fachbereichen nie etwas passiert.

Was für Konsequenzen soll es jetzt geben?

Es gibt eine Reihe von denkbaren Konsequenzen. Das beginnt bei der Bekanntgabe einer Gesamtliste, wo dann auch die "Zitrone" für die unbeliebteste Veranstaltung dabei ist. Außerdem wird es Konsequenzen durch die Umstrukturierungen der Universität geben. Im Rahmen der Umstrukturierungen, die das TU-Präsidium derzeit vorbereitet, werden alle Studiengänge zunächst grundsätzlich in Frage gestellt werden. Aufgrund der Evaluierung wird man sagen können, ob sie ein moderner und international interessanter Studiengang sind oder ob sie seit zwanzig Jahren nichts Neues machen.

Bedeutet das im letzten Fall das "Aus" für den Studiengang?

Ja. Es wird eine Ranking-Liste von Forschungsschwerpunkten und von Studiengängen geben. Das Geld wird dann zuerst an die verteilt, die gut abschneiden. Die die unten liegen, werden mit einer Einschränkung der Förderung rechnen müssen. Für sie bleibt dann wenig oder gar nichts mehr übrig.

Wann werden die Studiengänge am unteren Ende der Evaluationsliste diese Folgen zu spüren bekommen?

Wenn man die Evaluierung sachgerecht machen will - und dazu gehören auch externe Gutachter -, brauchen wir zwischen ein und zwei Jahre bis zu den ersten Ergebnissen.

Was machen Sie mit Professoren oder Professorinnen, die in der Lehre als ungenügend evaluiert werden: Wollen Sie die fortbilden?

Ich nehme an, daß 80 Prozent von Lehrenden, die kritisch evaluiert werden, es gerne besser machen möchten, wenn sie nur wüßten wie. Das wollen wir fördern. Das kann ein Tages- oder ein Wochenendseminar sein oder eine ganze Woche. Als ich an dieser Universität anfing, habe ich auch an einem solchen Didaktik-Seminar - allerdings außerhalb der Uni - teilgenommen. Und ich habe sehr davon profitiert. Den neuen Hochschullehrern wird man solche Didaktikfortbildung sehr nahelegen, auch schon bei den Berufungsverhandlungen. Und bei denen, die als "Zitrone" evaluiert wurden, wird ein Dekan beziehungsweise ein Studiendekan dem Kollegen oder der Kollegin diese Möglichkeit nahelegen.

Wird es zwei Arten von Professoren geben: einige, die sehr gut in der Forschung sind und sich darüber finanzieren, und andere, deren Schwerpunkt eher in der Lehre liegt und die weniger forschen?

Richtig. Es wird Unterschiede geben, wie der Fachbereich besonders betreuungsintensive Veranstaltungen vergibt oder an wen er spezialisierte, forschungsnahe Seminare vergibt. Der Fachbereich kann auch Lehranteile eines Mitarbeiters an den einen Professor und die Forschungsanteile an eine andere Professorin verteilen. Diese Liberalisierung wird notwendig sein. Natürlich wird jeder Professor nach wie vor seine gesetzlich vorgeschriebene Lehrverpflichtung absolvieren.

Welche Bedeutung haben die Neuen Medien für eine bessere Lehre?

Der Einsatz von Medien in der Präsentation kann sehr motivierend und auflockernd auf die Studierenden wirken. Ich habe die Vorstellung, daß die Studierenden Lehrveranstaltungen auf CDs, im Internet oder mit anderen Medien wahrnehmen - also im Sinne von Telelearning. Außerdem können sie mit neuen Medien Grundlagen wiederholen und überarbeiten, die sie in der Vorlesung gehört haben.

Dafür braucht man Sachmittel und geeignete Leute. Wer soll das machen?

Ich höre mich gerade an der Universität um, wer bereit ist, so etwas zu machen. An einigen Fachbereichen gibt es einzelne engagierte Personen, die sich da kreative Gedanken machen und bereits sehr intensiv Multimedia einsetzen. Multimedia in der TU-Lehre muß sich an solchen einzelnen Keimpunkten dezentral entwickeln. Mit Hilfe dieser Vorbilder kann man das Interesse der anderen Fachbereiche anstoßen und die Ideen verbreiten. Dort muß die Universität die notwendige Ausrüstung - PCs und weitere Geräte und Software - finanziell unterstützen. Der Ansatz, daß einer zentral benannt wird, der ab sofort für Multimedia zuständig ist, wird nicht funktionieren.

Herr Thomsen, vielen Dank für das Gespräch!


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