FORSCHUNGNicht mehr "in Gründung"Das Zentrum für interdisziplinäre Frauen- und Geschlechterforschung sucht Kooperationspartner
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Wie Frauen in der Kunst dargestellt werden, ist eine der Fragen, die das ZIFG stellt. Im Bild: "Erzeugung des Dampfes", Wilhelm Kaulbach (um 1859) | ||
Anfang des Jahres trennte sich das Zentrum für Interdisziplinäre
Frauen- und Geschlechterforschung am Fachbereich 1 Geschichts-
und Kommunikationswissenschaften endlich von einem ungeliebten
Kürzel. Nun ist die Einrichtung nicht mehr "i. G.",
was soviel hieß wie "in Gründung". Nachdem
es bereits zwei Jahre aktiv ist, wurde das Zentrum im Dezember
per Kuratoriumsbeschluß offiziell eingerichtet und hat auch
schon seine Einweihungsfeier hinter sich.
Der Blick aus dem 20. Stockwerk des Telefunken-Hochhauses ist beeindruckend. Von hier oben haben die Mitarbeiterinnen des Zentrums für Interdisziplinäre Frauen- und Geschlechterforschung (ZIFG) einen Überblick, der fast über die gesamte TU Berlin reicht: Von den Psychologen an der Dovestraße, über Erziehungswissenschaftler und Informatiker an der Franklinstraße bis hin zum Hauptcampus an der Straße des 17. Juni. Übersicht ist wichtig für Professorin Karin Hausen, die Leiterin des ZIFG. Denn die Zusammenarbeit mit vielen verschiedenen Fächern ist eine grundlegende Eigenschaft der Frauen- und Geschlechterforschung. Wie werden Frauen in Kunst und Literatur dargestellt? Wie entwickelt sich in einer Gesellschaft eine bestimmte Vorstellung von dem, was ein Mann oder eine Frau tun und lassen soll? Warum gibt es im Wissenschaftsbetrieb deutlich weniger Frauen als Männer? Das sind nur einige der Fragen, die die interdisziplinäre Frauen- und Geschlechterforschung stellt und damit in viele Wissenschaftsbereiche hineinreicht. Schwerpunkte der Forschungsprojekte und Lehrveranstaltungen, die das Zentrum anbietet, sind die Geisteswissenschaften. Das zeigen die Übungen und Vorlesungen, die Karin Hausen und ihre zwei wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen anbieten. HAUSFRAU UND ZUVERDIENERIN Die ZIFG-Leiterin und Spezialistin für Wirtschafts- und Sozialgeschichte behandelt in einer Vorlesung in diesem Sommersemester beispielsweise die Position der Frau in der deutschen Sozialpolitik seit dem 19. Jahrhundert. Dabei geht es darum, wie sozialpolitische Gesetze die Rolle des Mannes als "Ernährer der Familie" festschrieben, während für die Frau lediglich die Rolle "als Hausfrau und bestenfalls als Zuverdienerin" übrigblieb. Die wissenschaftliche Mitarbeiterin und Germanistin Evelyn Annuß bietet gemeinsam mit einer FU-Theaterwissenschaftlerin eine Veranstaltung zu "Körperinszenierungen im Theater" an. Ihre Kollegin, die Historikerin Dr. Ulrike Weckel beschäftigt sich wiederum mit Geschlechterdebatten im späten 18. Jahrhundert. Das Zentrum, das Teil des TU-Fachbereichs 1 Geschichts- und Kommunikationswissenschaften ist, hat aber auch Kontakte in die anderen Fachbereiche. Karin Hausen hat bereits eine gemeinsame Veranstaltung mit dem Fachbereich Informatik durchgeführt. Gemeinsam mit dem TU-Germanisten Prof. Conrad Wiedemann richtete sie die Veranstaltung "Jüdische Salons in Berlin um 1800" aus. Fächer wie Mathematik und Ingenieurwissenschaften bieten sich aus Sicht des ZIFG ebenfalls an, um dort geschlechtsspezifische Fragen aufzuwerfen. Gleiches gilt für Stadt- und Regionalplanung oder Umweltforschung, wo bereits solche Projekte existieren. MISSVERSTÄNDNISSE Interdisziplinäre Mißverständnisse sind dabei nicht ausgeschlossen: Als Ulrike Weckel ein Projekt zur Geschlechtergeschichte des Radios vorbereitete, mußte sie den Medienwissenschaftlern erst klarmachen, daß es ihr nicht um Sendungen für Hausfrauen gehe und daß sie nicht auf eine Frau als Kooperationspartnerin bestehe. Ihr ging es vielmehr um Fragen wie: An wen wenden sich bestimmte Sendungen? Wer hört die Sendungen? Besucht werden die Veranstaltungen des Zentrums meistens von Frauen. Diese Konstellation aufzuheben, wäre nach Ansicht der Zentrums-Frauen erstrebenswert, ist aber nicht einfach. Einer der Gründe für die Scheu der Männer mag sein, daß sie ihre Geschlechtszugehörigkeit deutlich seltener als Nachteil erleben - etwa in der Arbeitswelt - und sich dementsprechend seltener damit beschäftigen, schätzen Karin Hausen und ihre Kolleginnen. Außerdem fehle Männern häufig der "spielerische Umgang" mit dem kritischen Potential der Geschlechterforschung. Über Lehrveranstaltungen und Forschungsprojekte hinaus ist den ZIFG-Mitarbeiterinnen die Beratung wichtig, zum Beispiel, wenn es darum geht, Ideen zu einer Dissertation auszuformulieren und Betreuungsmöglichkeiten zu finden. Oder um Finanzierungsmöglichkeiten zu erschließen und Veranstaltungen zu unterstützen. Wenn sich Studierende aus der Elektrotechnik oder den Wirtschaftswissenschaften in Projekten mit frauen- oder geschlechtsspezifischen Fragen beschäftigen wollen, kann das Zentrum auch Hilfestellung geben, zum Beispiel bei der Suche nach Adressen, Literaturtips oder Hinweisen zur methodischen Arbeit. "Wir müssen ja nicht alles neu erfinden", betont die Leiterin des Zentrums. Zwanzig Jahre weltweite Forschung in der Frauen- und Geschlechterforschung hätten schon einiges zu bieten. In Berlin haben mittlerweile alle Unis Stellen eingerichtet, die sich für die Frauen- und Geschlechterforschung engagieren. Die FU hat eine Zentralreinrichtung zur Förderung von Frauenstudien und Frauenforschung. Und die Humboldt-Universität verfügt über ein Zentrum für interdisziplinäre Frauenforschung (ZIF), das seit kurzem auch den bundesweit ersten Studiengang "Gender Studies" anbietet. Karin Hausen sieht dieses Berliner Nebeneinander nicht als Problem, denn die Ansätze beider Zentren seien sehr unterschiedlich. Ein eigener Studiengang sei an der TU Berlin nicht das Ziel. Hier gehe es vielmehr darum, in die verschiedenen Fächer hineinzuwirken und dort Initiativen anzuregen und zu unterstützen. Dafür hat das Zentrum nun drei Jahre Zeit. So lange dauert die Probezeit, die das TU-Kuratorium bei der Einrichtung des Zentrums festgelegt hat. René Schönfeldt
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