NACHGEFRAGTBlamable Wahlbeteiligung?
Von ihrer Zahl sind die Studierenden an den deutschen Universitäten gegenüber Professoren, wissenschaftlichen und sonstigen Mitarbeitern eindeutig die Nummer eins. Wenn es um die Beteiligung an der akademischen Selbstverwaltung geht, nehmen sie dagegen den letzten Platz ein. Auch an der TU Berlin ist die Beteiligung an den Wahlen zu Gremien wie dem Akademischen Senat oder den Fachbereichsräten seit Jahren gering: Nicht mal jeder fünfte gibt dort seine Stimme ab. Klaus Landfried, Uni-Rektor in Kaiserslautern und ab August neuer Präsident der Hochschulrektorenkonferenz (HRK), kritisiert die "blamablen Wahlbeteiligungen" unter den Studierenden und stellt sich die Frage, "ob eine Studentenvertretung, die von höchstens 15, manchmal auch nur von 5 Prozent der Studierenden gewählt wird, überhaupt mit Recht die Interessen der Nachwuchs-Akademiker vertreten kann." Was hält man im zweiten Stock der Villa BEL, dem Sitz des TU-AStA, von solch harscher Kritik: Haben die Studierendenvertreter und -vertreterinnen ein Problem mit der geringen Wahlbeteiligung? TU intern sprach darüber mit Claus Colloseus. Er studiert im 13. Fachsemester Wissenschafts- und Technikgeschichte und ist Sozialreferent im AStA. Die AStA-Arbeit basiert auf dem System der verfaßten Studentenschaft. Durch die Pflichtbeiträge der Studenten kommen für den Haushalt des TU-AStA jährlich rund 750 000 DM zusammen. 100 Prozent der Studierenden zahlen ihren Semesterbeitrag, aber nur 16 Prozent von ihnen gingen im letzten Jahr zur StuPa-Wahl. Der zukünftige HRK-Präsident Klaus Landfried stellt bei solchen Wahlbeteiligungen in Frage, ob sie als Rechtfertigung für studentische Vertretung ausreicht. Ist diese Kritik gerechtfertigt? In der Form wie Klaus Landfried sie vorbringt, ist die Kritik eher eine Polemik für die Abschaffung der Verfaßten Studierendenschaft. Nach seinen Handlungen als Präsident der Uni Kaiserslautern zu urteilen scheint ihm generell eine politische Studentenvertretung unangenehm zu sein. Wir finden die geringe Wahlbeteiligung zwar auch unangenehm, da wir so gewissermaßen "in den luftleeren Raum" arbeiten müssen. Aber wir glauben, daß durch die verfaßte Studierendenschaft zumindest den interessierten Studentinnen und Studenten ein Angebot gemacht wird. Wie sieht dieses Angebot an der TU Berlin aus? Wir bieten zum Beispiel Beratung für Studierende mit sozialen Problemen an. Außerdem fördern wir die Selbstorganisation der Studierenden. Das betrifft etwa Vereine und Initiativen an den Fachbereichen oder Studiengängen, die wir finanziell oder organisatorisch - etwa bei der Suche nach Veranstaltungsräumen - unterstützen. Ein Schwerpunkt dieser Arbeit liegt bei den ausländischen Studierenden und ihren Gruppierungen. Außerdem regen wir zu politischen Diskussionen an der Universität an. Woran liegt es denn nun, daß nicht mehr Studierende zur Wahl gehen? Sowohl bei den Wahlen zur akademischen Selbstverwaltung als auch zur Studierendenvertretung wird den Studentinnen und Studenten keine entscheidende politische Einflußmöglichkeit geboten. Die meisten ziehen daraus den falschen Schluß, sich lieber individuelle Wege zu suchen, um ihre Probleme zu meistern, statt sich zu organisieren. Daneben gibt es aber auch einen Druck, Hochschulen als Dienstleistungsbetriebe im Ausbildungsgewerbe mißzuverstehen statt als Ort, wo Reflektion der Gesellschaft gelernt und praktiziert werden soll. Liegt es nicht auch daran, daß die meisten Studierenden überhaupt keine Beziehung zum AStA haben und gar nicht wissen, was er tut? Unsere Arbeit findet zwar in aller Öffentlichkeit statt, aber wir sind leider wirklich nicht sehr bekannt. Warum es die Studierenden so wenig interessiert, was mit ihren Beiträgen passiert, ist uns auch nicht klar. Und was tut der AStA, damit mehr Studentinnen und Studenten zur Wahl gehen? In den letzten Jahren konnten wir immerhin deutlich mehr Studierende für Wahlen zum Studentenparlament motivieren, als sich an Gremienwahlen beteiligten. 1996 waren 13,9 Prozent bei den Wahlen zum Akademischen Senat; bei den Wahlen zum StuPa machten 16,3 Prozent mit. Durch umfangreiche Informationen, Wahllokale an zentralen Orten und insgesamt fünf Wahltage versucht der studentische Wahlvorstand, es den Studierenden so leicht wie möglich zu machen. Da der AStA aber vor allem ein Angebot ist, dessen Inhalte nicht von vornherein festliegen, kommt es vor allem darauf an, daß die kandidierenden Gruppen interessante Themen präsentieren. In unserer Campus-Umfrage in diesem Monat hat TU intern Studierende gefragt, was sie von einer Studentenvertretung erwarten. Was ist aus Sicht des TU-AStA die wichtigste Aufgabe, die eine Studierendenvertretung wahrnehmen sollte? Abstrakt gesagt sollte eine Studierendenvertretung die politische Selbstorganisation und Artikulation der Studierenden unterstützen. Daß für die meisten dabei die eigene Situation als Studierende im Vordergrund steht, ist naheliegend. Aber unser politisches Mandat gibt auch Raum für alle anderen Fragen, die von Studentinnen und Studenten für wichtig gehalten werden.
© 5/'97 TU-Pressestelle [ ] |