FORSCHUNG
Bohren, dübeln, schraubenWissenschaftler am Kunststofftechnikum der TU Berlin entwickeln Zahnwurzelimplantate aus Kunststoff | |
Beim Renovieren sind Kunststoffdübel bewährt. Nun sollen sie auch Einzug in die Zahnarztpraxen halten - zum Befestigen von Zahnersatz | |
Schon zu recht denkt so mancher an den Zahnarzt, wenn er den Nachbarn mal wieder mit der Bohrmaschine hantieren hört. Ähnlichkeiten sind nicht nur beim Bohrgeräusch vorhanden. Auch der Dübel, der anschließend in der Wand verschwindet, gleicht den neuesten Zahnwurzelimplantaten, die am Kunststofftechnikum der TU Berlin entwickelt wurden. Zahnwurzelimplantate dienen dazu, Zahnersatz auf ihnen zu befestigen. Bisher werden für diese Implantate, die man sich in Funktion und Aufbau wie einen Dübel vorstellen kann, Metalle, in der Regel Titan-Legierungen, verwendet. Das neue Kunststoffimplantat hat gegenüber denen aus Metall zahlreiche Vorteile. Die Biokompatibilität, das heißt die Verträglichkeit der Kunststoffe, ist durch spezielle Verfahren der Oberflächenbearbeitung verbesserbar, und die Kunststoff-Festigkeiten können bei Verwendung spezieller Polymere sehr hoch sein. Für die Verankerung in Mauerwerken haben sich Dübel aus Kunststoff längst bewährt und sind solchen aus Metall deutlich überlegen, da sie elastischer sind und sich somit besser einpassen. Warum sollte dies nicht auch für die Befestigung von Elementen im Knochen gelten, fragten sich Prof. Dr. Helmut Käufer und der Wissenschaftliche Mitarbeiter Alexander Bongers am Institut für Nichtmetallische Werkstoffe der TU Berlin. Ein Problem gibt es dennoch bei Kunststoffen, sollen sie als Zahnwurzelimplantat erfolgreich eingesetzt werden. Es sind die glatten Oberflächen, die ein schnelles und festes Anwachsen von lebendem Knochengewebe verhindern. Doch für dieses Problem haben die TU-Wissenschaftler eine Lösung entwickelt, die dem Kunststoffimplantat einen wesentlichen Vorteil gegenüber seinem metallischen Kollegen einbringt. Mit einem speziellen Verfahren, das am Kunststofftechnikum in Zusammenarbeit mit einem erfahrenen Betrieb für Kunststoffverarbeitung entwickelt wurde, können die Kunststoffoberflächen "aufgefasert" werden. Dabei werden kleinste Elemente aus der Oberfläche herausgebrochen, so daß am Schluß eine Oberfläche mit unzähligen Mikroelementen und länglichen Spitzen entsteht. In diese rauhe Oberfläche können bestimmte Substanzen (z.B. Collagene oder Enzyme) eingebettet werden, die das Knochenwachstum fördern. Durch die Kombination der rauhen Oberfläche einerseits mit den eingefügten Substanzen andererseits erfolgt das Einwachsen des lmplantats wesentlich schneller als bei Metall oder glatten Kunststoffoberflächen. Rechnet man zur Zeit mit rund sechs Monaten, bis das lmplantat vollständig in den Knochen eingewachsen ist, soll dies mit dem neuen Material auf wenige Wochen reduziert werden. Dies ist nicht der einzige Vorteil des Kunststoffimplantats, das tatsächlich in seiner äußeren Erscheinung an den Standard-Dübel aus dem Baufachmarkt erinnert. Wie dieser hat er eine zylindrische Form, in die eine Schraube eingedreht werden kann, die ein elastisches Andrücken des Implantats an die Knochenoberfläche ermöglicht. Durch die Elastizität des Kunststoffes kann sich das Implantat besser an die Öffnung im Kiefer anpassen und ermöglicht andererseits eine sehr viel bessere mechanische Dämpfung bei der Kraftübertragung vom Kiefer auf den Zahn. Patienten mit hart eingewachsenen oder gar eingeschraubten Metallimplantaten klagen häufig über ein unangenehmes Kaugefühl und empfinden das lmplantat, noch Monate nach dem Einsetzen, als störenden Fremdkörper im Mund. Dazu kommt noch, daß der Kunststoffdübel aufgrund geringerer Materialkosten gegenüber dem bisher verwendeten Metallimplantat erheblich preiswerter ist. Und auch die Arbeit des implantierenden Zahnarztes vereinfacht sich, da der Eingriff weniger kompliziert und riskant ist. Die Wissenschaftler haben in Zusammenarbeit mit der Zahnklinik Süd der FU Berlin bereits verschiedene Kunststoffe auf ihre Biokompatibilität, also auf ihre Verträglichkeit, getestet und auch einfache statische Belastungstests wurden bereits durchgeführt. Demnächst wird das Implantat dynamischen Langzeittests ausgesetzt, und in den nächsten Monaten streben die Wissenschaftler die ersten Implantationen an. "Wenn diese Versuche erfolgreich verlaufen, erhoffen wir uns eine kleine Revolution in der Zahnimplantologie" schwärmt Alexander Bongers. Bettina Weniger © 5/'97 TU-Pressestelle [ ] |