TU intern - April 1998 - Aktuelles
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Nicht nur die Meinung der Studierenden von heute zu den 68er und
98er hat TU intern interessiert. Wir sprachen auch mit einem,
der damals dabei war: Karl Schwarz aus der Planungsgruppe, zuständig
für Hochschulentwicklungsplanung:
Herr Schwarz, in diesen Wochen jährt sich zum 30. Mal der legendäre "Vietnamkongress" 1968 in der Technischen Universität und die sich anschließenden "Osterunruhen" in Berlin, Höhepunkte der Studentenbewegung der endsechziger Jahre. Waren Sie damals dabei? Ja, wenn auch nicht mehr als Student. Möchten Sie dazu etwas für TU intern sagen? Nein. Weil Sie sich nicht als "Alt-68er" outen möchten? Wer läßt sich schon gerne auf ein denunziatorisch gemeintes Klischee festlegen?! Im übrigen habe ich kein Problem, Ihnen zu versichern, daß der damalige Umbruch für meine intellektuelle Biographie große Bedeutung gehabt hat. Das könnten freilich wohl auch Eberhard Diepgen und Klaus Landowsky von sich sagen. Im Unterschied zu denen habe ich die Vorgänge damals allerdings als große Befreiung erlebt und entsprechend enthusiastisch begrüßt. Befreiung von was? Das ist doch alles tausendfach beschrieben worden. Sie brauchen sich doch nur die Aufzeichnung einer Fußballreportage aus den 60ern anzuhören. Die sprachen und brüllten damals noch alle in der Tonlage und im Tonfall von Joseph Goebbels. Und alles andere war auch danach. Ist das nicht etwas vereinfacht? Ja, natürlich. Aber das damit Gemeinte hat doch inzwischen die Anerkennung eines Gemeinplatzes gefunden. Erst mit der 68er Bewegung wurde in Deutschland der mentale Bruch mit der Naziära vollzogen und die kulturellen Grundlagen für die zivilgesellschaftliche Entwicklung der Bundesrepublik gelegt. In einem allgemeineren Sinne gilt das für die ganze westliche Welt, die damals aus dem Schatten der totalitären Epoche herausgetreten ist. Geht es nicht etwas konkreter? Den Aktivisten damals ging es doch nicht nur um "Kulturrevolution", sondern auch oder in erster Linie um Politik, Hochschulpolitik z. B.? Ja, aber das betrifft eher zeitbedingte und daher auch überholte Ausdrucksformen der damaligen Bewegung, ihr Kern und mit ihm ihre bleibende "Botschaft" liegt auf dem Felde der von Ihnen so bezeichneten "Kulturrevolution". Daß diese auch "politisch" war, habe ich mit der "zivilgesellschaftlichen Entwicklung" angedeutet. Man kann auch pointieren und von "demokratischer Entwicklung" sprechen: Demokratie ist ja nicht nur ein Regelwerk und ein Institutionensystem. Sie braucht auch Demokraten. Nochmals: geht es nicht konkreter? Im Zusammenhang mit der letzten studentischen Protestbewegung ist doch immer wieder der Vergleich mit damals gezogen worden. Man hat den streikenden und demonstrierenden Studentinnen und Studenten entgegengehalten, daß sie anders als ihre Kommilitonen damals über keine politischen Visionen oder Konzepte verfügen. Was halten Sie davon? Nichts. Die Studierenden des letzten Semesters haben das gemacht, was junge Menschen immer machen: Sie haben auf die offizielle Begründungsfassade einer sie negativ betreffenden Politik moralisch reagiert: Mit sicherem Instinkt für die Hohlstellen im Mauerwerk dieser Fassade, für die konventionellen Fiktionen im Argumentieren, für das, was unter moralischem Blickwinkel dem Begriff der "Lüge" zuzuordnen ist. Viel mehr haben die 68er auch nicht gemacht. Die von ihnen geübte "Systemkritik" war ein Reflex der Zeit, die noch von der politischen Bi-Polarität der Welt geprägt war, in der andererseits aber der "Kalte Krieg" seinen Zenit bereits überschritten hatte. Da war es naheliegend, grundlegende Kritik an der eigenen gesellschaftlichen Situation in die Form der Suche nach "dritten" oder "vierten" Wegen zu kleiden. Nochmals: Das ist nicht das, was heute an der damaligen Bewegung noch interessant ist. Die konkreten politischen Konstrukte von damals sind von der Geschichte überholt. Hat dieser Rückzug auf den "moralischen" Aspekt nicht etwas Resignierendes? Muß es nicht darum gehen, eine Politik, die man für schlecht befindet, auch zu ändern? Und muß man dafür nicht auch "politisch" werden, sich also mit den Sachzwängen der Politik auseinandersetzen, um sie zu verändern? Das ist von ihnen sehr schön gesagt. Aber nennen Sie mir mal jemanden, der heute auch nur behauptet - mit einigem Anspruch auf Seriosität -, den Königsweg aus den "Sachzwängen" von Entstaatlichung und wirtschaftlicher Globalisierung zu wissen, bzw. dazu eine Vision zu haben. Absurd, ausgerechnet von den Jungen das abzufordern! Dennoch, das ist Resignation! Ich denke nicht. Ich kann mich wiederholen: Auch eine "bloß" moralische Position hat politische Wirkungen. Authentizität erschöpft sich nicht in sich selbst. Sie strahlt immer ab auf das Umfeld und kann auch Politik bewegen. Richtig ist allerdings, daß die Erwartung, im Ergebnis der Wirkungen vielfältiger authentischer Akte werde eines Tages vielleicht auch wieder ein Blick auf größere Teile des Gesamtsystems und entsprechende "große Politik" möglich sein, nur Hoffnung ist. Wir danken für dieses Gespräch. © 4/'98 TU-Pressestelle [ ] |