TU intern - April 1998 - Wissenschaft
Reisen in Zeit und RaumInformatiker der TU Berlin laden ein zu einer Reise mit der "virtuellen Zeitmaschine"
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Zurück in die Vergangenheit. Hier hat die "Virtuelle Zeitmaschine" den Reisenden zu einer Straßenszene in Berlin, ungefähr um das Jahr 1855, gebracht | |
Ich befinde mich im dreidimensionalen Raum des Berliner Stadtteils
Friedrichswerder in Mitte. Ich erteile "Commander Mouse"
den Befehl, mich in das Jahr 1855 zu versetzen. Gesagt, getan.
Auf dem Schinkelplatz vor dem Gebäude der Bauakademie geht
ein preußischer Soldat auf und ab. Eine Kutsche fährt
an mir vorbei, eine Dame im "Biedermeier Outfit", sie
trägt ein distinguiertes Kleid und hält einen Schirm
in der Hand, spaziert auf dem Kopfsteinpflaster entlang und am
Ende der Straße steht eine Litfaßsäule. "Commander
Mouse, fokussieren Sie die Litfaßsäule!" Befehl
ausgeführt. Auf der Säule sind einige Bekanntmachungen
zu erkennen, woraus hervorgeht, daß die Bürger der
Stadt sich an bestimmte Verordnungen zu halten haben.
Ich entschließe mich, diese Zeit zu verlassen und "lande" zwanzig Jahre später an gleichem Ort und an gleicher Stelle. Ah, da ist ja auch die " Biedermeierdame", jedoch hat sich ihre Kleidung der Zeit entsprechend ein wenig verändert. Der Soldat jedoch ist verschwunden und vor einem Gebäude steht ein Dienstbote, der als "Eckensteher" bezeichnet wird ... AUF DER REISE DURCH ZEIT UND RAUM Die Szenerie ist Teil des Forschungsprojektes "Zeitreisen in virtuellen Online-Landschaften", gefördert vom DFN e. V. mit Mitteln der TeBerkom. Wer sich bei der diesjährigen CeBit-Messe vom 19. bis zum 25. März die Exponate des "Forschungsmarktes Berlin" in Halle 22 angesehen hat, konnte die Gelegenheit nutzen, den Entwurf zu bewundern. Neben der Forschungsgruppe KIT aus dem FB Informatik der TU haben noch drei andere Teams Anteil an dem Projekt: Das Fraunhofer-Institut für Produktionsanlagen und Konstruktionstechnik, das Zentrum für Berlin-Studien und die Kulturbox GmbH. Ziel des Projektes ist es, ein multimediales Informationssystem für Bibliotheken, Archive und Museen zu entwickeln. Dazu werden historische Quellenmaterialien aus verschiedenen Museums-, Archiv- und Bibliotheksbeständen sowie Architekturdaten der Bauakademie GmbH verwendet. Am Beispiel der Rekonstruktion des Stadtteils Friedrichswerder soll dem Computerbenutzer ein lebendiger Eindruck der Gegend im Wandel der Zeit ermöglicht werden. Durch die digitale Aufbereitung des historischen Materials werden Architektur und zeittypische Objekte authentisch dargestellt. Auf einer Zeitleiste, die am unteren Bildschirmrand erscheint, kann der Benutzer den Zeitpunkt seines "Aufenthaltes" (von 1855 bis in die heutige Zeit) bestimmen. Somit kommt zum 3D-Raum die vierte Dimension, die Zeit, hinzu. Auf der Reise durch Zeit und Raum kann sich der Benutzer durch die simulierte Landschaft Friedrichswerders bewegen. Dabei kommt man an diversen Gebäuden des Stadtteils vorbei und dem Reisenden begegnen zeittypische Gegenstände wie Straßenmöbel, Verkehrsmittel, Litfaßsäulen oder Zeitungen. Einige Gegenstände, sogenannte Trägerobjekte, kann man durch "Anklicken" genauer anvisieren: Beispielsweise ist es möglich, eine Zeitung zu lesen, ein antikes Radio, das "museumsgetreu" nachgebildet ist, kann von allen Seiten betrachtet, die Kleidermode aus der jeweiligen Zeit "abgefragt" werden. Die freie Navigation in Zeit und Raum ist auch für den weniger versierten Benutzer aufgrund der Anwenderfreundlichkeit leicht möglich. Für den Einsteiger wird eine "Guided-Tour" (Stadtführung) angeboten. Für die Zukunft ist geplant, das multimediale Informationssystem einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Über die Standard-WWW-Technologie sollen dabei Archive und Museen miteinander vernetzt werden. Die beteiligten Institutionen, die das Info-System anbieten, sollen dabei ebenfalls "online" verbunden sein. Ende des Jahres 1998 startet die "Pilotphase", wobei das Projekt in verschiedenen Museen vorgestellt werden soll. Diejenigen, die diesen Service am liebsten zu Hause am eigenen PC nutzen würden, müssen leider enttäuscht werden: Zum einen wäre es aus urheberrechtlichen Gründen problematisch, zum anderen würden die technischen Voraussetzungen der handelsüblichen PC's den Anforderungen der Anwendung nicht entsprechen können: Eine spezielle Hardware ist für die Grafik nötig; der Arbeitsspeicher des Rechners beträgt 256 MB (der gängige PC hat normalerweise bis zu 64 MB). Das Projekt befindet sich momentan noch in der Aufbauphase, d. h. die Entwicklung steckt noch im Anfangsstadium. Der hohe technische Standard der Anwendung läßt den einen oder anderen Wunsch offen: Die Grafik könnte meines Erachtens verfeinert werden. Weiterhin ist das Verlangen , noch mehr Objekte zu inspizieren, sprich per Maus abrufen zu können, vorhanden. Da der Nutzer Spaß daran hat, die Trägerobjekte "anzuklicken", wäre es wunderbar, den "Spaßfaktor" zu erhöhen. Zukünftig soll es möglich sein, einige ausgewählte "Gebäude der Virtual Reality-Szenerie betreten zu können und sie somit von innen zu betrachten", wie der TU-Projektmitarbeiter Andreas Knoche bestätigte. Fazit: In jedem Fall ein gut durchdachtes Grundkonzept und ein gelungenes Projekt mit Perspektive. Vielleicht gelingt es so auch, ein jüngeres Publikum für einen Museumsbesuch zu begeistern und ihm somit einen kleinen Einblick in die Geschichte zu gewähren. Gian Hessami © 4/'98 TU-Pressestelle [ ] |