TU intern - Dezember 1998 - Menschen

Die Risiken der Automatisierung

September 1997: Vor der Küste Namibias kollidieren ein deutsches und ein amerikanisches Militärflugzeug. Keiner der 33 Insassen überlebt. November 1996: In der Nähe von Dehli, Indien, stoßen eine saudische Verkehrsmaschine und ein kasachisches Transportflugzeug in der Luft zusammen. Über 300 Menschen finden den Tod. Es ist das drittschwerste Unglück in der Geschichte der Luftfahrt.

Tragödien dieser Art ereignen sich immer wieder. Mögliche Ursachen gibt es viele: Sie reichen von technischen Defekten bis hin zu menschlichem Versagen. Risiken liegen aber auch in der zunehmenden Automatisierung der Flugsicherung, wie der Geschäftsstellenleiter des ”Zentrums Mensch-Maschine-Systeme" der TU Berlin und derzeitiger TU-Vizepräsident, Dr. Harald Kolrep, in seiner Dissertation festgestellt hat.

Für die Arbeit mit dem Titel ”Kognitionspsychologische Untersuchungen von Automatisierungsfolgen am Beispiel Flugsicherung", ist Harald Kolrep kürzlich mit dem Preis der Flughafen Frankfurt Main Stiftung zum Thema ”Sicherheit im Flugverkehr" ausgezeichnet worden. Er erhält ein Preisgeld in Höhe von 10000,- DM. Doktorvater ist Professor Dr. Klaus Eyferth vom Fachbereich Maschinenbau und Produktionstechnik der TU Berlin.

Nicht immer ist es von Vorteil, wenn Fluglotsen mittels automatisierter Systeme entlastet werden sollen, so lautet das Fazit von Harald Kolrep. Wenn ein Konflikt nicht nur angezeigt, sondern auch gleich eine Lösung vorgeschlagen wird, besteht die Gefahr, daß Fluglotsen sich nur noch auf das Bestätigen der vorgegebenen Handlungsoption beschränken. Das hat zwei gefährliche Folgen: Einerseits werden die Lotsen unterfordert. Das bedeutet, die Aufmerksamkeit, mit der das System beobachtet wird, sinkt.

Mögliche Konflikte, die ein System gar nicht erkennt, werden übersehen. Außerdem verlernen die Fluglotsen die Fähigkeit, das mögliche Geschehen vorauszuahnen und die Folgen ihrer Handlungen abzuschätzen. Sie verlassen sich vollkommen auf die Technik. Jedoch sind im Flugverkehr immer wieder neue Situationen möglich, für die das System keinen Lösungsvorschlag parat hat. Die Technik könnte auch ausfallen, und der Loste müßte dann die Flugzeuge ohne seinen Radarschirm lenken.

Ältere Fluglotsen meistern solche Situationen aufgrund ihrer langjährigen Erfahrungen. Dagegen können jüngere Lotsen, die nur mit hochautomatisierten Anlagen zu tun hatten, überfordert sein. Dadurch würden notwendige Entscheidungen und Maßnahmen ausbleiben, was im schlimmsten Fall zu Zusammenstößen von Flugzeugen führen kann. Harald Kolrep fordert daher eine umfassende Ausbildung für Fluglotsen, insbesondere wenn mit solchen automatisierten Systemen gearbeitet wird. ”Falls doch etwas schiefgeht, muß ein Bediener in der Lage sein, auch entsprechend eingreifen zu können", sagt der TU-Wissenschaftler. Die erste Untersuchungsserie wurde zusammen mit André Wattler an einer Simulationsanlage im Institut für Luft- und Raumfahrt der TU Berlin durchgeführt. Weitere Untersuchungen zusammen mit Thomas Bierwagen und Martin Christof Kindsmüller folgten im Institut für Psychologie an einer dort für experimentelle Zwecke entwickelten Flugsicherungssimulation. Sowohl Fluglotsen als auch Laien testeten Warnsysteme und Streckenflugkontrollsysteme. Das Ergebnis: Bei einer Aufteilung der Automatisierung in drei Stufen erzielte eine mittlere Automatisierung die besten Werte.

Christian Hohlfeld


© 12/'98 TU-Pressestelle