TU intern - Dezember 1998 - Aktuelles

Durch Strafe wird man klug?

”zeitliche Nähe zwischen Tat und Strafe ist eine notwendige Bedingung für eine Strafwirkung"
Arnold Upmeyer

Die Reform des strafrechtlichen Sanktionensystems und die Schaffung zeitgemäßer Sanktionsformen" sind laut Koalitionsvertrag besonders wichtige Vorhaben in der Rechtspolitik der neuen Regierung. Über deren praktische Umsetzung wurde in letzter Zeit lebhaft diskutiert. So könne beispielsweise bei leichten Straftaten wie Ladendiebstahl oder Schwarzfahren, gemeinnützige Arbeit oder ein Führerscheinentzug anstelle von Geld- oder Gefängnisstrafe stehen. Von Innenminister Otto Schily soll der Vorschlag kommen, der Polizei die Möglichkeit zu geben, bei Bagatelldelikten eigenständig Strafgelder zu verhängen. Diese juristisch teilweise umstrittenen Maßnahmen sollen nicht nur eine Entlastung der Strafverfolgungsbehörden zur Folge haben. Bei der Einführung neuer Sanktionsformen steht auch der Gedanke im Vordergrund, daß die Täter eine direkte Reaktion auf ihr Fehlverhalten erfahren - anders als heute, wo sich viele Verfahren lange hinziehen und letztendlich eingestellt werden. Neue Strafen, z.B. eine gemeinnützige Arbeit, sollen außerdem einen ”Denkzetteleffekt" hervorrufen, wie er durch eine rasch bezahlte Geldstrafe nicht zu erzielen ist. Wie sieht es aus mit der pädagogischen Wirkung solcher Strafen, sind sie tatsächlich dazu geeignet, Wiederholungstaten zu verhindern? TU intern fragte Prof. Arnold Upmeyer vom Institut für Psychologie.

Herr Upmeyer, wie reagiert ein Mensch auf eine Strafe und wie muß diese gestaltet sein, damit er daraus lernt und in Zukunft sein Verhalten ändert?

Das Prinzip ”Strafe folgt auf dem Fuße" hat sich in der experimentellen Forschung sowohl beim Menschen als auch beim Tier insofern als effektiv erwiesen, als daß es die unerwünschte Verhaltensweise zumindest zeitweise unterdrückt. Unabhängig davon, ob die Tat gedankenlos oder bewußt ausgeführt wurde, ist die zeitliche Nähe zwischen Tat und Strafe eine notwendige Bedingung für eine Strafwirkung. Auch örtliche Nähe erweist sich als wirkungsvoll: Danach müßte der Ladendieb eine gemeinnützige Arbeit möglichst in dem Laden ableisten, in dem er gestohlen hat. Strafe hat aber zwei Nachteile.

1. Man weiß nicht, welche anderen nicht erwünschten Verhaltensweisen der oder die Bestrafte ausführt, nachdem die Strafe zur Unterdrückung einer ursprünglichen Verhaltensweise geführt hat. Drastisch ausgedrückt: ein Ladendieb hört auf zu klauen, aber er begeht als nächstes einen Raubüberfall. Es ist also besser, den legalen Erwerb von Gütern immer wieder zu belohnen, weil nur dadurch prinzipiell gesichert werden kann, daß eine erwünschte Verhaltensweise häufiger gezeigt wird.

2. Tierversuche und die allgemeine Erfahrung zeigen, daß bestrafte Verhaltensweisen sich spontan wiederholen, wenn sie nicht konsequent weiterbestraft werden. Fazit: man straft nur, wenn alle anderen Versuche nichts mehr nutzen und dritte Personen in Mitleidenschaft gezogen wurden.

Halten Sie gemeinnützige Arbeit und Fahrverbot für Maßnahmen, die einer ”Erziehung" der Täter dienen können?

Beide Strafarten unterscheiden sich. Die gemeinnützige Arbeit ist in ihrer Wirkung auf andere gerichtet und kostet den Täter Zeit und Energie. Die Einsicht des Täters, jetzt etwas für andere zu tun, weil der Täter vorher etwas gegen andere getan hat, muß durch das Gespräch gefördert werden, damit er den Sinn versteht. Zeit kann ein Täter genügend haben, und daher muß er Zeitkosten nicht als Strafe empfinden. Energie kann durch partielle Verweigerung bei der Arbeit gespart werden. Hier kommt es darauf an, daß Strafe und Schuld in einem angemessenen Größenverhältnis stehen, damit Einsicht individuell gefördert wird.

Ganz anders ist die Wirkung des Fahrverbots, die man mit einem time-out beim Eishockey vergleichen kann. In dieser Zeit kann der Bestrafte darüber nachdenken, wie er den Ausschluß vom Privileg des Mitmachens vermeiden kann. Die Strafe trifft besonders männliche Jugendliche in ihrem Selbstwert vor Gleichaltrigen schwer. Es ist übrigens schon gängige Praxis, daß die Behörden den Antrag auf Fahrerlaubnis bei straffällig gewordenen Jugendlichen auf unbestimmte Zeit zurückhalten. Es ist wichtig, daß auch hier die Angemessenheit der Strafe durch eine klare zeitliche Begrenzung ausgesprochen wird. Erst bei Wiederholungstätern könnte man an unbestimmte Terminierung der Strafe denken.

Von beiden Strafanwendungen halte ich nur etwas, wenn andere Erziehungsmaßnahmen völlig versagt haben.

Wie sollte man nach Ihrer Meinung auf Bagatelldelikte wie Schwarzfahren, Taschendiebstahl, Graffitisprühen, die ja häufig auch von Jugendlichen begangen werden, reagieren?

Die Journalisten müßten zunächst einmal das Wort ”Bagatelle" streichen und wieder von Delikten reden. Beispielsweise wurde meiner Schwiegermutter (85) von einem Inlineskater im Vorbeifahren die Halskette abgerissen. Er stieß sie zu Boden, und sie verletzte sich. Es handelte sich um ein individuelles Raubdelikt.

Handtaschendiebstähle laufen ähnlich ab, aber diese Taten werden oft durch Schmierestehen unterstützt. Graffitisprühen wird häufig durch Gruppen Gleichaltriger angezettelt. Man kann also die auslösenden Bedingungen für diese Taten nicht über einen Kamm scheren. Für pädagogisches Handeln müssen die Ursachen bekannt sein. Durch Training sollte anhand möglichst konkreter Fälle das Mitleiden geschult werden, z. B. durch die Übernahme der Perspektive des Opfers. Dieses könnte prophylaktisch in der Schule geschehen, aber auch durch Betreuung von jugendlichen Tätern durch Sozialarbeiter. Dazu gibt es bereits Ansätze, etwa wie sie von Dr. Christian Böhm vom Hamburger Senat vertreten werden. Wenn man Vorbeugung nicht mit Bagatellisierung gleichsetzt, stellen Schulung und Nachbehandlung einen Weg dar, der sowohl Taten als auch Strafe verhindern kann. Ob wirklich verhindert wird, muß eine Tatsachenfeststellung ergeben.


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