TU intern - Dezember 1998 - Frauen

80 Jahre Frauenwahlrecht in Deutschland

Erfolgreicher Kampf der Frauen oder Geschenk der Männer?

Vor achtzig Jahren erhielten die Frauen das aktive und passive Wahlrecht in Deutschland. Als Aktive in der Spitzenpolitik sind sie aber auch heute noch selten anzutreffen
Vor 80 Jahren erhielten die Frauen in Deutschland das aktive und passive Wahlrecht und damit die gleichen staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten wie die Männer. Der Weg dorthin war lang und die Forderungen auch unter den Frauen umstritten.

”Fordert das Stimmrecht, denn über das Stimmrecht geht der Weg zur Selbständigkeit und Ebenbürtigkeit, zur Freiheit und zum Glück der Frau." Schon 1873 hatte Hedwig Dohm mit ihrer bekannt spitzen Feder das Wahlrecht gefordert. Aber es sollte noch 45 Jahre dauern, bis am 12. November 1918 der ”Rat der Volksbeauftragten", die damalige Revolutionsregierung, verkündete: ”Alle Wahlen zu öffentlichen Körperschaften sind fortan nach dem gleichen, geheimen, direkten und allgemeinen Wahlrecht... für alle mindestens 20 Jahre alten männlichen und weiblichen Personen zu vollziehen." Die Weimarer Verfassung legte in ihrem Artikel 22 fest: ”Männer und Frauen haben grundsätzlich dieselben staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten." Damit wurde das seit 1869 existierende freie, geheime und direkte Wahlrecht nun auch zu einem allgemeinen gemacht. Mit dieser rechtlichen Gleichstellung ging ein jahrzehntelanger Kampf zu Ende, der sowohl zwischen als auch innerhalb der zeitgenössischen politischen Strömungen kontrovers bis hitzig geführt worden war.

Das Wahlrecht für Frauen war keineswegs ein ”Geschenk" der Linken oder der Sozialdemokratie - und damit der Männer - wie heute häufig behauptet wird. Diese Strategie zu Unsichtbarmachung weiblicher Leistung in der Geschichte wird durch einen etwas genaueren Blick widerlegt. Schon 1873 hatte Hedwig Dohm mit den eingangs erwähnten Worten dazu aufgerufen, das Stimmrecht zu erkämpfen. Auch Luise Otto-Peters forderte 1876 das Wahlrecht für Frauen. Sie war jedoch der Meinung, daß Frauen zunächst den Beweis erbringen müßten, dieser Pflicht auch würdig zu sein.

Diese Tendenz setzt sich über die Jahrhundertwende fort. Die Frauenbewegung spaltete sich in einen bürgerlich gemäßigten und einen radikalen Flügel. Während die ”Gemäßigten" die Auffassung vertraten, die Frauen müßten sich das Wahlrecht erst durch ”Leistung und Verhalten" verdienen, traten die radikalen Mitglieder der Stimmrechtsbewegung für die Zuerkennung des Wahlrechts als Grund- bzw. Menschenrecht ein. 1902 gründeten sie gar einen Stimmrechtsverein, dem auf der Stelle ein von Männern organisierter Anti-Stimmrechtsverein gegenübergestellt wurde. Zu den radikalsten Vertreterinnen der Stimmrechtsbewegung gehörten Anita Augspurg und Lida Gustava Heymann, für die der Kampf ums Stimmrecht notwendige Voraussetzung für die Veränderung gesellschaftlicher, d.h. patriarchalischer Verhältnisse war. In zahlreichen Schriften, Reden, Polemiken und Petitionen, aber auch in machtvollen Demonstrationen - beispielsweise am 8. März 1911 in Berlin - haben die Frauen ihr Recht auf politische und gesellschaftliche Partizipation laut und öffentlich eingefordert. Sie haben sich damit - auch in Deutschland - das Wahlrecht erkämpft, selbst wenn es dann im Zuge einer Revolution per Dekret verfügt wurde.

Ähnlich umstritten wie die Umstände, die zur Einführung des Wahlrechts führten, ist auch immer schon das Wahlverhalten der Frauen gewesen. Bei der ersten Wahl im Januar 1919 gingen nahezu 90 % der wahlberechtigten Frauen an die Urnen, soviel wie später nie wieder. 41 Frauen wurden in den Reichstag gewählt, das entspricht einem Anteil von 9,6 %. Ein solcher Prozentsatz wurde erst 1983 wieder erreicht. Von den radikalen Stimmrechtskämpferinnen konnte jedoch keine einzige ins Parlament einziehen. Gewählt haben die Frauen vorwiegend konservativ oder liberal. Dieses Phänomen, als sogenanntes Weimarer Muster in die Politikgeschichte eingegangen, bildet die Grundlage für den späteren Mythos, Frauen hätten Hitler an die Macht gebracht, weil sie aufgrund ihrer Veranlagung bewahrend und an Veränderungen nicht interessiert seien. Genaue Analysen zeigen jedoch, daß sich das Wahlverhalten von Frauen und Männern am Ende der zwanziger Jahre weitgehend angenähert hatte und nur um wenige Prozentpunkte differierte. Unterschiede waren nur bei den radikalen Parteien auf beiden Seiten zu beobachten: dort traten die Frauen deutlich hinter die Männer zurück. Frauen, so das Fazit, haben Hitler sicher nicht an die Macht gebracht, sie haben ihn aber auch nicht verhindert.

In den fünfziger Jahren feierte das ”Weimarer Muster" geschlechtsspezifischen Wahlverhaltens fröhliche Urständ. Es hieß, Frauen seien die Trägerinnen des konservativ-klerikalen Adenauer-Systems. Erst 1972, so behaupten die Anhänger dieser Theorie, hätten sich die Wahlverhalten von Frauen und Männern wieder angenähert und eine Angleichung politischer Einstellungen stattgefunden. Nach meinem Dafürhalten greift eine lediglich geschlechtsspezifische Analyse an dieser Stelle jedoch zu kurz, denn es werden weder Alter oder Bildungsgrad, noch soziale Herkunft etc. berücksichtigt. Auch die letzte Wahl, die vom 27. September 1998, soll wieder einmal von den Wählerinnen entschieden worden sein - in seltener Eintracht von Ost- und West-Frauen gleichermaßen. Ob's wohl diesmal stimmt? Und wenn ja - was es wohl diesmal bringt?

Heidi Degethoff de Campos


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