TU intern - Erstsemester-Special 1998 - Willkommen

”Verstorben an geistiger Stuhlverstopfung"

Studentisches Leben zwischen Bier und Büchern

Studenten haben's gar nicht nötig, sich mit den Wissenschaften abzugeben: So auch Diederich Heßling (links), der ”Untertan" aus Heinrich Manns gleichnamigen Roman. Er hat sich als ,strammer' Burschenschaftler durchs Studentenleben gesoffen
Liebe Erstsemester, nun beginnt also unwiderruflich und definitiv der Ernst des Lebens. Schluß mit Lustig: Was einmal ein ordentlicher Akademiker und Leistungsträger werden will muß ab jetzt die entsprechende Haltung zeigen. Was also tun? Ein Blick in die Literatur verschafft erhellende Eindrücke:

Als Student ist es mit dem Studium der Wissenschaften allein nicht getan. In ”Felix Schnabel´s Universitätsjahre oder der deutsche Student" aus dem Jahre 1835 wird angehenden Akademikern folglich eine ganzheitliche Herangehensweise ans Studium empfohlen:

”Nach einer unter Studenten häufig gehörten Behauptung, die endlich als Wahrheit angenommen ist, hat der Studirende im ersten Jahre seines Universitätslebens nicht gar nöthig, sich mit den Wissenschaften abzugeben, dazu hat er noch später hinlängliche Zeit, vorerst soll er das Leben kennen lernen und genießen, sich höchstens einen Überblick von seiner Wissenschaft verschaffen [...]. Diese Ansicht mag auch wirklich etwas für sich haben, denn wie oft sehen wir angehende, sich selbst überlassene Studirende in der Wahl der Collegia, in der Anordnung ihres Privatfleißes falsche Wege einschlagen, wie linkisch bewegen sich Andere im Leben und sind nur hinter dem Büchertische zu Hause, mögen gelehrt sein und heißen, haben aber kein praktisches Talent und nützen somit nur wenig."

Das sieht der österreichische Schriftsteller Heimito von Doderer allerdings ganz anders. In ”Universitäten" (1955) beschreibt er den eigentlichen Sinn dieser humanistischen Bildungseinrichtungen:

”Einer der fundamentalsten Irrtümer besteht darin, daß die Universitäten den Studenten auf's Leben vorbereiten, alias, es ihm erleichtern sollen, bevor er es noch betreten hat. Die Aufgabe einer Universität aber besteht keineswegs darin, möglichst viel tüchtige Theologen, Mediziner, ,Philosophen' und Juristen heranzubilden: sondern alle diese ordinären Kerle derart nicht bloß mit Kenntnissen, sondern mit vorweggenommerner Erkenntnis zu beschweren, daß nur die Allertauglichsten so was überleben können, davonkommen, und den vorausgeschossenen Pfeil einmal toto corpore einzuholen vermögen. Die anderen aber sind dann an der Alma mater lebensunfähig geworden, an ihren Kenntnissen picken geblieben, an geistiger Stuhlverstopfung gestorben: hole sie der Teufel. Die einzige Aufgabe einer Universität kann heute sein, den Leuten jeden Zugang in´s praktische Leben derart zu verengen, daß keiner durchrutscht, der nicht mit allen Wassern gewaschen ist. Anders: es ist genau die Sache der Universität, jede Halbbildung zu bekämpfen, und das Gesindel auf die Fachhochschulen - welche für´s Leben (o weh!) vorbereiten - abzudrängen. Neuestens kann ja die Geltungssucht auch dort ihr Genital mit einem ,Doktorhut' bedecken, sei´s einem der Handelskunde oder der Viecharzterei."

Auch heutzutage kann noch so mancher Student ein Lied von der ”geistigen Stuhlverstopfung" singen; etwa der Student Martin in ”Der Campus" (1995) von Dietrich Schwanitz:

”Martin starrte auf das leere Blatt. Er hätte es gegen ein anderes leeres Blatt austauschen können. Er hatte noch hunderte von der gleichen Sorte in einem Stoß direkt daneben liegen. Aber das hätte nichts geändert. All diese Blätter warteten noch darauf, von Martins Hand mit einer Magisterarbeit über das Thema ,Sinn und Bedeutung: Zur Rolle der phänomenalistischen Semantik in der Kunsttheorie von Nelson Goodman' beschrieben zu werden. Aber dazu mußte Martin erstmal das erste Blatt beschreiben. Er mußte die gleichförmige Fahlheit dieser Wüste entschlossen mit einer graphischen Spur markieren. Er mußte die bleierne Stille mit einem ersten ursprünglichen Laut zerteilen und so eine Form schaffen, die weiterwachsen konnte. Doch dazu brauchte Martin einen kleinen Hinweis, der ihm einen Grund gab, wenigstens die Spur eines Grundes, es so zu machen und nicht anders. Wo war dieser Grund? Er schaute intensiv auf das Blatt."

Da empfiehlt sich dann eher der Gang in die Kneipe. Gerade in Berlin braucht man sich als Studiosus über ein mangelndes Angebot nicht zu beklagen. Aber Vorsicht! Nicht immer verträgt sich der Trunk mit akademischen Ambitionen. Heinrich Mann beschreibt in ”Der Untertan" die zweifelhafte Lebensweise des Studenten und frischgebackenen ”Konkneipanten" Diederich Heßling:

”Er sah sich in einen großen Kreis von Menschen versetzt, deren keiner ihm etwas tat oder etwas anderes von ihm verlangte, als daß er trinke. Voll Dankbarkeit und Wohlwollen erhob er gegen jeden, der ihn dazu anregte, sein Glas. Das Trinken und Nichttrinken, das Sitzen, Stehen, Sprechen oder Singen hing meistens nicht von ihm selbst ab. Alles ward laut kommandiert, und wenn man es richtig befolgte, lebte man mit sich und der Welt in Frieden."

Kein Wunder, wenn nach solcher Art verbrachten Studienjahren das Resümee umso klassischer ausfällt. Schon Doktor Faustus, äußerte sich in Goethes gleichnamigen Drama (Erster Teil) folgendermaßen:

”Habe nun, ach! Philosophie / Juristerei und Medizin / Und leider auch Theologie / Durchaus studiert mit heißem Bemühn. / Da steh' ich nun ich armer Tor, / Und bin so klug als wie zuvor!"

Welche Eindrücke vermittelt die Uni 1998 den Erstsemestern? Komisches, Kurioses oder Konkretes wird in der TU Pressestelle (Raum H 1004/5) dankbar entgegengenommen und eventuell sogar in der TU intern veröffentlicht.

Lars Klaaßen


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