TU intern - Februar 1998 - Aktuelles

Zehn Tage lang das Mekka der Mathematik

Die größte und wichtigste mathematische Tagung, der ”International Congress of Mathematicians", wird in diesem Jahr vom 18. bis zum 27. August in Berlin stattfinden. Auf dem Kongreß, der nach 94 Jahren erstmals wieder in Deutschland ausgerichtet wird, werden 4000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus rund 100 Ländern erwartet. Während der Tagung werden die Fields-Medaillen - der ”Nobelpreis für Mathematik" - vergeben. Außerdem ist ein umfangreiches Rahmenprogramm mit einer Reihe populärwissenschaftlicher Veranstaltungen vorgesehen.

Der Kongreß ist die größte mathematische Tagung weltweit und gilt als eines der wichtigsten Ereignisse innerhalb der Mathematik: Alle vier Jahre veranstaltet, treffen sich dort die bedeutendsten Wissenschaftler, die einflußreichsten Verlage und Softwarehäuser sowie Industrievertreter. Die Stationen der vergangenen Jahre waren Zürich, Kyoto, Berkeley und Warschau. Deutschland hat den Weltkongreß das letzte Mal vor 94 Jahren in Heidelberg ausgerichtet.

"NOBELPREIS FÜR MATHEMATIK"

Seine große Bedeutung erhält der Weltkongreß durch die Verleihung der Fields-Medaillen - eine Auszeichnung, die meist als ”Nobelpreis für Mathematik" bezeichnet wird; einen eigenen Nobelpreis für Mathematik verleiht die Schwedische Akademie der Wissenschaften nämlich nicht. Die Fields-Medaillen werden von der Mathematischen Union alle vier Jahre vergeben und gehen an jeweils zwei bis vier herausragende Mathematiker, die nicht älter als 40 Jahre sind. Bei der Eröffnungsveranstaltung am 18. August im Internationalen Congreß Centrum (ICC) wird außerdem der renommierte Nevanlinna-Preis vergeben, der an Wissenschaftler aus der Theoretischen Informatik geht.

Das Hauptprogramm, das an der Technischen Universität stattfindet, umfaßt 180 Vorträge aus allen Bereichen der Mathematik - 21 davon sind sogenannte Plenarvorträge, zu denen die zur Zeit angesehensten Wissenschaftler eingeladen werden. Hier wird über die Fortschritte und Trends der letzten Jahre sowie über neue Probleme diskutiert. Die Auswahl der Vortragenden nimmt ein Programmkomitee vor, das von der Internationalen Mathematischen Union bestimmt wird und deren Zusammensetzung nicht öffentlich bekannt ist.

Von öffentlichem Interesse wird sicherlich der Plenarvortrag von Peter W. Shor von den AT&T Labs sein, der über die neuesten Entwicklungen in der Informatik berichten wird. Shor entwickelte vor wenigen Jahren ein Verfahren zur schnellen Faktorisierung großer Zahlen auf Quantencomputern. Zwar steht die Entwicklung dieser neuen, die physikalische Quantentheorie ausnutzenden Generation von Computern noch am Anfang. Gäbe es aber Prototypen, ließen sich mit ihnen und Shors Ideen die mit heutigen Verfahren verschlüsselten Daten äußerst schnell lesbar machen. Peter Shor gilt als aussichtsreicher Kandidat für den Nevanlinna-Preis.

FESTIVAL ”VIDEO-MATH"

Das wissenschaftliche Programm des Kongresses wird durch eine Reihe populärwissenschaftlicher Veranstaltungen ergänzt. In der Berliner Urania ist die Ausstellung ”Mathematik zum Anfassen" zu sehen, die wichtige Resultate der Mathematik anhand von Modellen, Grafiken und erklärenden Texten auch dem Laien näher bringt. Das Festival ”VideoMath" ist mathematischen Filmen aus aller Welt gewidmet, die mit aufwendigen Computersimulationen die abstrakte Wissenschaft anschaulich und optisch reizvoll präsentieren.

Der Höhepunkt des Rahmenprogramms wird der Vortrag des britischen Mathematikers Andrew Wiles sein, der am 19. August über die Entwicklung der Zahlentheorie der letzten 20 Jahre berichten wird. Wiles, der an der Elite-Universität Princeton lehrt, wurde weltbekannt, als er 1995 das sogenannte ”Fermatsche Theorem" bewies - eine mathematische Aussage, die auch für die größten Denker so schwer war, daß sie über 390 Jahre ungelöst blieb. Wiles Vortrag wird wegen des zu erwartenden Publikumsandrangs nicht in der Urania stattfinden, sondern in dem 1200 Plätze zählenden Audimax der TU Berlin.

Der diesjährige Internationale Mathematiker-Kongreß ist für die deutschen Mathematiker ein Ereignis ersten Ranges. Nach dem zweiten Weltkrieg bewarben sie sich dreimal vergeblich darum, den Weltkongreß ausrichten zu dürfen. 1994 schließlich votierte die Generalversammlung der Internationalen Mathematischen Union einstimmig für Berlin - das Wahlverfahren gleicht dem der Vergabe der Olympischen Spiele. Bereits vor drei Jahren begann das 24köpfige Organisationskomitee mit den Vorbereitungen für den anstehenden Kongreß. Präsident des Komitees ist Martin Grötschel, Professor für Mathematik an der TU Berlin und Vizepräsident des Konrad-Zuse-Zentrums für Informationstechnik Berlin (ZIB). Ehrenpräsident ist Friedrich Hirzebruch, früher Direktor am Max-Planck-Institut für Mathematik in Bonn. Vizepräsident ist Prof. Martin Aigner von der FU Berlin.

KONGRESSE SEIT 1897

Die Geschichte des Weltkongresses ist eng mit der Entwicklung der Mathematik in Deutschland verbunden. Der erste Internationale Mathematiker-Kongreß fand 1897 in Zürich statt. Zu seinem Zustandekommen haben zwei deutsche Mathematiker beigetragen: Felix Klein, damals der führende Geometer, sowie Georg Cantor, der Begründer der Mengenlehre und Gründer der Deutschen Mathematiker-Vereinigung. Ein anderer deutscher Mathematiker hat den zweiten Weltkongreß 1900 in Paris zu einem historischen Ereignis werden lassen: David Hilbert, der bereits von seinen Zeitgenossen als der größte Mathematiker seiner Zeit bezeichnet wurde. Hilbert stellte damals ein Liste von 23 Problemen vor, die er seinen Mathematiker-Kollegen zur Lösung aufgab. Die Probleme gingen als die Hilbertschen Probleme in die Geschichte der Mathematik ein und prägten nachhaltig deren Entwicklung im 20. Jahrhundert.

MATHEMATIK FÜR ALLE

Martin Grötschel, der Präsident des Organisationskomitees, zum Weltkongreß: ”Wir sehen es als eine außerordentlich wichtige Aufgabe an, einen Internationalen Kongreß zu organisieren, der an Attraktivität und Qualität den vorangegangenen Kongressen gleichkommt, wenn nicht übertrifft. Doch wir wollen nicht nur den Wissenschaftlern ein ausgezeichnetes Forum bieten; der Kongreß soll auch auf die Öffentlichkeit ausstrahlen. Er soll die Mathematik in ihren vielfältigen Facetten präsentieren, ihre Verbindungen beispielsweise mit Kunst und Musik vermitteln und ihren Anwendungsreichtum aufzeigen. Deshalb liegen uns die Ausstellungen, die Konzerte, das VideoMath-Festival und die Vorträge in der Berliner Urania besonders am Herzen."

Vasco Alexander Schmidt

Weitere Infos zum Kongreß gibt es im WWW: http://elib.zib.de/ ICM98.


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