WISSENSCHAFT

Keine Softwareschmiede

Das Fraunhofer-Institut für Software- und Systemtechnik

Seit 1992 gibt es in Berlin das Institut für Software- und Systemtechnik der Fraunhofer-Gesellschaft. Die Forschungseinrichtung mit dem Kürzel "ISST" arbeitet an der ingenieurtechnischen Produktion von Software - keine Softwareschmiede mit handwerklichem Programmiererfleiß also, sondern eine wissenschaftliche Einrichtung, die neue Verfahren für die Softwareproduktion entwickelt. Ihr Leiter ist der TU-Informatik-Professor Herbert Weber

Das Fraunhofer-Institut für Software und Systemtechnik ISST liegt im Herzen Berlins in der Nähe des Spittelmarkts. Von der nahegelegenen Leipziger Straße dröhnt der Verkehrslärm hinüber in das schmucklose Bürogebäude in der Kurstraße 33, in dem die Büros des ISST untergebracht sind.

In den Räumen im dritten, vierten und fünften Stock des Gebäudes herrscht eine konzentrierte Arbeitsatmosphäre. Rund 40 wissenschaftliche Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen arbeiten dort in fast 20 Projekten. Weitere 20 Kollegen und Kolleginnen sitzen in der ISST-Außenstelle in Dortmund.

Leiter des 1992 gegründeten Instituts ist Herbert Weber, der gleichzeitig Informatik-Professor an der TU Berlin ist. Aufgabe seines Fraunhofer-Instituts ist es, die Herstellungsverfahren für Software aller Art zu verbessern und neue Methoden dafür zu entwickeln. "Wir bieten Software-Entwicklern und Anwendern den Zugang zu den neuesten Ergebnissen der anwendungsorientierten Forschung und Entwicklung im Bereich der Software- und Systemtechnik", erläutert der ISST-Chef.

Die Liste der Partner, mit denen sein Institut kooperiert, enthält viele bekannte Namen. Die ISST-Wissenschaftler arbeiten unter anderem mit Instituten der Gesellschaft für Mathematik und Datenverarbeitung (GMD), anderen Fraunhofer-Instituten und dem wissenschaftlichen Zentrum der IBM in Heidelberg zusammen. Nicht weniger prominent ist die Kundenliste des ISST. Dazu gehören Unternehmen wie Daimler Benz und die Deutsche Telekom, aber auch eine auf Blumenmotive spezialisierte Bildagentur, das Brandenburgische Umweltministerium und Museen.

EIN LEBENDIGES MUSEUM

Um Museen geht es beispielsweise in dem Projekt "Lebendiges Virtuelles Museum Online" (LEMO). Für das Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, Bonn, und das Deutsche Historische Museum in Berlin entwickeln die Berliner Informatiker ein Multimedia-Programm für das World Wide Web (http://www.isst.fhg.de/ ~lemo). Mit seiner Hilfe können Besucherinnen und Besucher einen virtuellen Gang durch die Geschichte des 20. Jahrhunderts unternehmen, dreidimensionale Animationen, Filme und Tondokumente sowie Museumsgegenstände betrachten. Bis Mitte 1998, sagen die ISST-Spezialisten, werden im Rahmen von LEMO die Voraussetzungen für einen Super-Daten-Highway durch die deutsche Geschichte geschaffen.

Für einen vollkommen anderen Kunden arbeitet ein weiteres Team. Gemeinsam mit dem GeoForschungszentrum Potsdam entwickeln die ISST-Fachleute Software, mit der Geowissenschaftler Daten weltweit nutzen und gemeinsam bearbeiten können. Zum Beispiel die Visualisierungssoftware GEOLOGGFZ: Sie besteht aus mehreren Komponenten, die auf verschieden leistungsfähigen Rechnern verteilt sind und dabei helfen, die Ergebnisse von geologischen Tiefbohrungen darzustellen, zu vergleichen und auszuwerten. Die Software wird im Rahmen des "International Continental Scientific Drilling Program" derzeit von mehr als 60 wissenschaftlichen Teams unter anderem in den USA, Mexiko und China eingesetzt.

Auftragsforschung dieser Art ist für das ISST sehr wichtig. Das Institutsbudget machte 1996 rund neun Millionen DM aus, knapp drei Viertel davon für Personalkosten. Knapp vier Millionen kamen über die Grundfinanzierung durch die Fraunhofer-Gesellschaft, etwas mehr als fünf Millionen durch die Auftragsforschung herein. Jeweils die Hälfte der Aufträge entfiel auf die öffentliche Hand und die Wirtschaft.

I&K-INFRASTRUKTUREN

Die meiste Arbeit des ISST entfällt allerdings nicht auf anschauliche, aber verhältnismäßig kleine Projekte wie das Lebendige Museum oder GEOLOG. "Das größte Auftragsvolumen entfällt auf das Arbeitsgebiet Informations- und Kommunikationsinfrastrukturen", betont Herbert Weber. Das sind beispielsweise Projekte im Bereich Geschäftsmanagement, wo das ISST für Ministerien, Verwaltungen und Industrieunternehmen arbeitet. Ebenfalls einen großen Anteil haben Projekte im Bereich Unternehmenskommunikation für Firmen aller Art. Große Aufträge hat das ISST außerdem im elektronischen Publizieren - zum Beispiel ein CD-ROM-Produktkatalog für einen Schweizer Schraubenhersteller - und im "elektronischen Kommerz" für Dienstleistungsunternehmen und Kommunen.

Die Wirtschaft - genauer gesagt: kleine und mittlere Unternehmen - spielen eine zentrale Rolle. Denn im Selbstverständnis der Fraunhofer-Gesellschaft sollen gerade sie durch die fast 50 FhG-Institute in Deutschland unterstützt werden.

Die Softwarebranche in Berlin und Brandenburg ist ein Paradebeispiel dafür. Die über 1000 einschlägigen Firmen sind zum großen Teil kleine oder mittelständische Unternehmen. Sie haben es häufig nicht leicht, sich gegen die Konkurrenz großer Systemhäuser zu behaupten. Denn wenn die "Großen" Komplettlösungen anbieten, haben sie gegenüber spezialisierten, kleineren Anbietern meist größere Marktchancen. Hilfe für die kleineren Unternehmen soll daher das "Virtuelle Softwarehaus Berlin-Brandenburg" bieten. Das Projekt wurde von der Gesellschaft zur Förderung der mittelständischen Softwareindustrie in Berlin und Brandenburg (SIBB) initiiert, in der ISST-Chef Weber auch stellvertretender Vorstandsvorsitzender ist. SIBB, ISST und zehn andere Partner wollen hier die Zusammenarbeit der Softwarefirmen in der Region verbessern: In Form von zeitweiligen Kooperationen für bestimmte Projekte sollen sie auch mit größeren Unternehmen konkurrieren können. Instrument dazu ist das Softwarehaus, das man im World Wide Web unter der Adresse http://www.softwarehaus-bb.de/ findet.

SOFTWARE AUS INDIEN

Softwareproduktion ist aber immer weniger eine lokale oder regionale Angelegenheit. Denn entwickelt wird immer häufiger deutschland-, europa- und sogar weltweit. ISST-Chef Weber schenkt deshalb insbesondere dem indischen Markt große Aufmerksamkeit, wo amerikanische Firmen schon seit Jahren preiswerte Software für sich herstellen lassen. Um die Vorteile der ausgelagerten Software-Produktion auch für deutsche Betriebe zu nutzen, rief Weber im vergangenen Jahr in der Dortmunder Außenstelle seines Instituts ein sogenanntes "Software-Relais-Zentrum" ins Leben. Dessen Ziel ist es, "den traditionell mittelständischen Software-Unternehmen in Deutschland den Zugang zum weltweiten Software-Markt zu verschaffen und sie damit weltweit wettbewerbsfähiger zu machen", so Weber.

Daß das ISST wettbewerbsfähig und gefragt ist, zeigt der bisher größte Auftrag, den das ISST einholen konnte. Die Deutsche Bahn AG will nämlich für ihr gesamtes Unternehmen ein sogenanntes Intranet haben, also ein firmeninternes Netz, das auf den technischen Grundlagen des Internet aufbaut. In der Endausbaustufe soll es bundesweit rund 500 Standorte mit etwa 100000 Arbeitsplätzen verbinden. An diesem Mammutauftrag, dessen erste Ausbaustufe im Dezember '97 abgeschlossen wurde, arbeiteten in Spitzenzeiten bis zu neun ISST-Mitarbeiter.

René Schönfeldt

DIE FRAUNHOFER-GESELLSCHAFT

Die Fraunhofer-Gesellschaft (FhG) unterhält insgesamt 47 Institute in Deutschland sowie Niederlassungen in den USA, Malaysia und Singapur und beschäftigt über 8500 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen.

ACHT SCHWERPUNKTE

Die FhG-Forschung konzentriert sich auf insgesamt acht Schwerpunktgebiete, u. a. Verfahrenstechnik, Produktionstechnik und Fertigungstechnologie sowie Mikroelektronik und Mikrosystemtechnik.

Im Schwerpunkt "Informations- und Kommunikationstechnik" sind fünf FhG-Einrichtungen aktiv: die Institute für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO, Stuttgart), für Graphische Datenverarbeitung (IGD, Darmstadt), für Informations- und Datenverarbeitung (IITB, Karlsruhe), für Experimentelles Software Engineering (IESE, Kaiserslautern) sowie für Software- und Systemtechnik (ISST, Berlin).


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