STUDIUM

Studentenleben in Südafrika

Impressionen von einem Praktikumsaufenthalt in Kapstadt

Das Technikon in Kapstadt. Rund 14000 Studierende absolvieren hier dreijährige Studiengänge, von Wirtschaft über Kunst zu Hotelfach und Ingenieurwissenschaften. Im Hintergrund: der Tafelberg

Praktika und Studentenaustausche mit afrikanischen Hochschulen sind immer noch exotisch. Sehr viel seltener als nach Amerika oder Frankreich gelangen deutsche Studierende in Gegenden südlich des Mittelmeeres. Martina Schmid, die an der TU Berlin Chemie studierte und jetzt den Aufbaustudiengang Public Health absolviert, hat den Schritt gewagt und ging für zwei Monate nach Südafrika. In TU intern berichtet sie von ihren Kapstadt-Impressionen, vom dortigen Technikon und vom südafrikanischen Studentenleben.

Der größte Unterschied zwischen dem Studentenleben in Deutschland und Kapstadt hat wohl weniger mit dem Studium als mehr mit den verschiedenen Ländern zu tun. Abends als weiße Frau allein zu Fuß oder mit dem Bus durch die Stadt zum Sport oder einer Verabredung zu fahren, geht einfach nicht, es ist viel zu gefährlich. Frau läßt sich mit dem Auto abholen. Bei Arbeitslosenraten von über 50 % unter jungen schwarzen Männern und sehr billig zu erhaltenden Waffen verlockt schon eine gefüllte Plastiktüte zum Raub, reich mit Schmuck und Photoausrüstungen behängte Touristen entsprechend mehr.

"HELLO, HAVE A NICE DAY!"

Das ist um so erstaunlicher nach den Erfahrungen mit den sehr freundlichen und aufgeschlossenen Kapstädtern, die man tagsüber in der Stadt mit Menschen aller Hautfarbe macht. Viel häufiger als in Deutschland sieht man sich in die Augen, grüßt mit einem Lächeln oder "Hello, have a nice day", einer unverbindlichen Floskel, aus der sich aber ein tiefergehendes Gespräch entwickeln kann.

Durch ein Studentenaustauschprogramm, initiiert von einem Verein ehemaliger Südafrika-Werkstudenten (siehe Kasten VESAFW), erhielt ich im Sommer - in Südafrika war es Winter - die Chance, ein zweimonatiges Praktikum am Technikon in Kapstadt zu absolvieren. Gut 14000 Studenten studieren dort drei Jahre verschiedenste Fächer von Wirtschaft über Kunst zu Hotelfach und Ingenieurwissenschaften. Das Technikon entspricht etwa einer deutschen Fachhochschule und vergibt einen Diplom-Abschluß, der etwa dem deutschen Vordiplom entspricht. Viele Studierende arbeiten anschließend noch ein bis drei Jahre weiter in einem Arbeitskreis und schreiben dabei ihre Master-Arbeit.

In die Arbeit eines solchen Chemie-Arbeitskreises war auch ich eingebunden. Es ging um ein analytisches Problem, dessen Lösung von der Minenindustrie finanziert wird - Südafrikas größte Wirtschaftsbranche - und wofür ich 900 Rand pro Monat erhielt. Das entspricht 300 DM und reicht nur etwa zur Hälfte zur Deckung des studentischen Lebensunterhalts. Sehr viel mehr verdienen aber auch die Master-Studenten nicht, und die müssen zusätzlich noch Schulgeld bezahlen. Je nach Studienrichtung sind das 500 bis 1500 Rand pro Semester, zunehmend mehr, weil auch hier die Regierung, die bisher gut Dreiviertel der Kosten des Technikons getragen hat, an den Studenten spart. Diese Studiengebühren sind sehr viel Geld, v. a. für viele farbige und schwarze Familien.

Eine weitere Zugangsbarriere stellt die Aufnahmeprüfung dar. Trotz Vorbereitungskursen gibt es sehr hohe Durchfallquoten. Nichtweiße sind davon vermehrt betroffen, da ihr Schulsystem von der alten Apartheidsregierung gezielt auf sehr niedrigem Niveau gehalten worden ist. Aber auch hier schreitet der Transformationsprozeß fort. Machte 1988 der Anteil an schwarzen Studenten am Technikon nur acht Prozent aus, waren es 1994 schon 25 %. Bei den Weißen geht diese Änderung mit der Angst vor einer Verschlechterung der Standards einher. Die personelle Umwandlung ergreift langsam auch die Lehrenden, aber noch finden sich nur wenige Nichtweiße als Lehrer und an den wichtigen Stellen der Verwaltung. Frauen in Führungspositionen sind ebenso selten wie in Deutschland, schwarze Frauen dagegen werden bestimmt noch lange die einzigen in den Putzkolonnen sein.

Das Bestehen eines Semesters wird durch erreichte Prozent-Zahlen überprüft, mindestens 50 Prozent sind für ein erfolgreiches Abschließen nötig, mehr als 75 Prozent habe ich nie gesehen. Auch ich mußte solche "Noten" vergeben, weil ich in ein Praktikum eingebunden war und die anschließenden Versuchsprotokolle, die alle viel zu spät eintrafen und oft ziemlich lausig waren, beurteilen mußte.

Das Verhältnis zwischen Studenten und Lehrern ist sehr locker, sowohl zu den älteren Professoren wie zu den "junior lecturers", die kaum älter sind als die Studenten selbst und durch Lehraufträge den Lebensunterhalt während der Master-Arbeit verdienen. Daneben gibt es ähnlich wie an deutschen Hochschulen studentische Hilfskraftstellen, sogar die Sekretariate der Professoren werden von solchen Hilfskräften betrieben.

Abends dient das Technikon als eine Art Volkshochschule, bietet Sportprogramme an und geht auch aus der Institution herraus in die bedürftigen Townships am Rande Capetowns, um in verschiedenen Projekten Kenntnisse in Lesen, Schreiben und Hygiene zu vermitteln.

DAS SCHÖNE STUDENTENLEBEN

Das schöne Studentenleben abends in der Kneipe findet weniger um das Technikon, als mehr um die beiden großen Universitäten Kapstadts, die UCT (University of Cape Town) in Rondebosch und die kaum von Weißen besuchte University of Western Cape (UWC) statt. Aber auch hier bleiben die Studenten den Hautfarben nach getrennt, ebenso wie in den Arbeitsgruppen oder den Cafeterien. Deshalb haben meine beiden absolut nicht rassistisch eingestellten weißen Mitbewohner aus der WG in die ich einzog doch etwas geschluckt, als ich ohne Vorankündigung einen farbigen Arbeitskollegen zum Abendessen mit nach Hause brachte. Das tut man einfach (noch) nicht, wenngleich eigentlich jeder Weiße froh ist, daß die Apartheid abgeschafft worden ist, große kulturelle Unterschiede werden als Ursache für die Berührungsängste genannt.

FÜNF BIS ACHT SPRACHEN

Erstaunt nahm ich in meinem holprigen Englisch zur Kenntnis, daß viele Schwarze fünf bis acht Sprachen fließend sprechen. Neben den weißen Sprachen Englisch und Afrikaans gibt es weitere neun offizielle schwarze Landessprachen. Unterrichtssprache ist meist Englisch, selten wird noch in der Sprache der holländischen Kolonialherren (Buren) in afrikaans in den Hörsälen unterrichtet. Sehr erstaunt hat mich, daß neben den durch die Hautfarben ehemals in der Apartheid vorgegebenen Trennlinien in der Gesellschaft auch die beiden weißen Volksstämme, die Nachfahren der Engländer und Holländer, alles andere als gut miteinander auskommen. Ursache sind vermutlich alte Streitigkeiten aus der Jahrhundertwende, den sogenannten Burenkriegen, in denen diese beiden Kolonialländer erbittert und mit großer Brutalität (z. B. Konzentrationslager) um die Vorherrschaft auf der ertragreichen Kaplandschaft gekämpft hatten.

Die weiße Kultur besteht auf den ersten Blick aus Rugby und Grillen (dem Braii). Auch christliche Werte finden sich hier im Studienalltag noch viel stärker als bei uns vertreten. In der Nachbarstadt Stellenbosch, einer ehemaligen Eliteuniversität der Buren, vertragen sich die Bibelsprüche auf den Klopapierrollenhaltern im Studentinnenwohnheim und an den schwarzen Brettern anscheinend gut mit den daneben plazierten neuesten Dessousmoden.

Blick vom Tafelberg hinunter nach Kapstadt
Plätze in Studentenwohnheimen sind sehr begehrt, da relativ billig. Selten wohnen Studenten in eigenen Wohnungen, manchmal in WGs, meist aber bleibt man bei den Eltern. Die Familienbande ist sehr stark, die Studenten heiraten sehr viel jünger als bei uns, wohnen weiter bei den Eltern und sparen auf ein eigenes Haus und Kinder. Urlaubsreisen stehen erst nach der "reproduktiven Phase" auf dem Wunschzettel. Zunehmend gestört werden diese Wunschkarrieren durch Arbeitslosigkeit auch unter Weißen. Ein boomender Arbeitsmarkt ist das Geschäft mit der Sicherheit, von technischen Finessen bis zu allgegenwärtigen Wachmannschaften. Auch das Technikon ist nur nach Vorzeigen der Technikon-ID-Karte zu betreten, Diebstähle in den Computerräumen und Laboren sind trotzdem an der Tagesordnung.

Was schwarze Kultur alles sein kann, konnte ich auf der Technikon-Kulturwoche erfahren. Jeden Mittag gab es einige Stunden Vorführungen in Musik, Tanz und Artistik, athletische schwarze Körper leben den Rhythmus der Musik richtig aus, weiße Tanzgruppen wirken eher wie steife Gymnastikübungen. Die alte Trennlinie ist auch heute noch in den Sportarten zu sehen. Der weiße Sport ist Rugby, Schwarze spielen Fußball, aber auch hier verwischen sich langsam alte Traditionen, es gibt zunehmen weiße Fußballspieler und mittlerweile auch einen schwarzen "Springbok", wie die Rugby-Nationalspieler genannt werden. Miteinander Sport treiben ist neben gemeinsamem Essen ein erfolgversprechender Weg der Völkerverständigung, abseits der hohen Politik.

Martina Schmid


VESAFW

Der Bonner Verein VESAFW e. V. heißt im vollen Wortlaut "Vereinigung Ehemaliger Southafrica-Foundation Werkstudentenprogramm. Er setzt sich aus ehemaligen Südafrikapraktikanten zusammen und schickt jedes Jahr zwischen 20 und 60 Studenten aus dem deutschsprachigen Europa für drei Monate nach Südafrika (Mitte Juli bis Ende Oktober). Das Programm ist so angelegt, daß die Studierenden nach einer zweiwöchigen Einführung in Pretoria, Durban und Kapstadt für zwei Monate an studiennahen Stellen ein Praktikum absolvieren, d. h. an Hochschulen, in Unternehmen oder in staatlichen Stellen. Bezahlt werden die Stellen manchmal, aber nicht immer. Die VESAFW unterstützt die Praktikanten mit ihren Kontakten und organisiert den Austausch. Stipendien verteilt sie allerdings nicht - die Studierenden müssen rund 4000 DM bezahlen. Darin enthalten sind der Hin- und Rückflug, die Inlandsflüge, die ersten beiden Wochen sowie Informationsmaterial, Praktikumsvermittlung und die offizielle Arbeitserlaubnis. Trotz des finanziellen Aufwandes bewerben sich für die Austausche im Durchschnitt dreimal so viele Studierende wie Plätze vorhanden sind. Das Programm ist offen für alle Studienrichtungen. Weitere Infos bei VESAFW e. V., Postfach 21 01 87, 53156 Bonn, Tel. 0228/348 971.


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