HOCHSCHULPOLITIK
Vom Kopf aufzäumenGedanken zur Struktur- und Verwaltungsreform an der TU Berlin - von TU-Kanzler Ulrich Podewils | |
"Die primären Aufgaben einer Universität sind Forschung und Lehre. Die sekundären, also die unterstützenden Verwaltungs- und andere Aufgaben müssen den primären folgen, nicht umgekehrt." - so lautet der Ausgangspunkt der Überlegungen von TU-Verwaltungschef Ulrich Podewils | |
Zwei Dinge waren an
der letzten Sitzung des Akademischen Senates im alten Jahr bemerkenswert.
Einmal konnte vor und mit einem großen Auditorium eine Debatte
geführt werden, in der unterschiedliche Meinungen vertreten
wurden, ohne von Bekundungen jeglicher Art behindert zu werden
- das läßt Gutes für die Form weiterer Auseinandersetzungen
an unserer Universität hoffen. Andererseits wird diese Hoffnung
gedämpft, wenn den vorgetragenen Gründen für eine
Strukturreform nachgegangen wird. Nach den Inhalten der Beiträge
könnte der Eindruck entstehen, Strukturreform, also die Neuordnung
der Wissenschaftsgebiete in künftigen Fachbereichen, sei
allein als Grundlage einer Verwaltungsreform unabdingbar erforderlich,
im übrigen aber überflüssig. Wie das? Die primären
Aufgaben einer Universität sind Forschung und Lehre. Die
sekundären, also die unterstützenden Verwaltungs- und
andere Aufgaben müssen den primären folgen, nicht umgekehrt.
Sonst wird das Pferd - sprich die Reform - von hinten aufgezäumt,
nicht vom Kopf aus. Ein solches Vorgehen muß schief gehen
- nicht nur in der Reiterei.
Für das vorgetragene Argument, wenige, aber sehr große Fachbereiche müßten geschaffen werden, damit Verwaltungsreform - worunter meist verkürzt lediglich Dezentralisierung und Budgetierung der Fachbereiche verstanden wird - überhaupt erst möglich wird, entbehrt der fachlichen Grundlage. Selbstverständlich sehen Dezentralisierungsstrategien anders aus, wenn sie für wenige große und nicht für zahlreiche kleine Einheiten formuliert werden; Dezentralisierungen sind aber dem Grunde nach immer möglich, wenn auch unterschiedlich in ihrer Tiefe und Breite. DIE "NEUE TU BERLIN": Struktur- und Verwaltungsreform sind unabhängig, sollen aber an unserer Universität parallel umgesetzt werden, um mit beiden Verfahren eine neue Universität zu schaffen - hierin liegt das Besondere der Veränderungen an der TU Berlin. Ausgelöst wurden sie vom Haushaltsstrukturgesetz '97 und von den auf dieser Grundlage abgeschlossenen Hochschulverträgen, die bis zum Jahr 2000 feste Mittelzuwendungen an die Hochschulen garantieren. Als Gegenleistungen müssen die Berliner Hochschulen ihre Struktur verändern, wozu als finanzieller Rahmen die Mittelzuwendung des Jahres 2000 gilt. Mit diesen Mitteln sind dann an unserer Universität nur noch 320 Professuren - mit einer guten Ausstattung - finanzierbar. Jetzt, Anfang 1998, haben wir noch rund 480 Professuren, vor wenigen Jahren waren es noch über 600. Auf eine solche, wahrlich weitreichende Veränderung könnte man reagieren, indem man hinnimmt, was kommt, also alles laufen läßt; indem gleichmäßig in allen Einheiten angepaßt wird, also nach dem Rasenmäherprinzip verfahren wird; oder indem die Veränderung als Chance zur Schaffung einer neuen TU Berlin begriffen wird. Verbal wollen alle letzteres. Dazu gibt es inhaltlich auch keine Alternative. MASSSTÄBE: Für die letzte Strukturveränderung vor fünf Jahren waren Maßstäbe entwickelt worden, die heute unverändert gelten. Danach sollten Studiengänge in Fachbereichen so angelegt sein, daß sie nach Möglichkeit vom jeweiligen Fachbereich abgedeckt werden können. Die fachliche Enge eines Fachbereichs setzt sich unmittelbar in eine Enge des Studienangebotes um, beruflich gefordert sind heute aber breit angelegte Qualifikationen. Die institutionellen Interessen eines fachlich eng ausgelegten Fachbereiches verhindern, daß Studiengänge eingestellt werden, wenn die Lehrnachfrage rückläufig ist. Sind Fachbereiche größer, so ist die Existenzfrage nicht mit einem einzelnen Studiengang verknüpft. Die Enge der bestehenden Fachbereichsgrenzen unterstützen Tendenzen der fachlichen "Inzucht" bei der Berufung von neuen Hochschullehrern. Berufungspolitik ist eine Frage der Prioritätensetzung, der strategischen Entscheidungen. Diese können prinzipiell besser getroffen werden, wenn die entsprechenden fachlichen und personellen Grundlagen breiter angelegt sind. In kleineren Einheiten ist es schwer, wenn nicht unmöglich, Partikularinteressen zu neutralisieren. Die Mittel der Universitäten werden knapper und damit die Verteilungskämpfe in den Einheiten schwieriger. Bei geringen finanziellen Ressourcen werden in kleinen Einheiten Prioritätenentscheidungen geradezu unmöglich. Vereinfacht kann festgestellt werden: Die Schwächen von kleinen Fachbereichen haben gravierende negative Konsequenzen für die Qualität und Flexibilität der Aufgabenerfüllung in Forschung und Lehre. Berufungsentscheidungen werden oft ausschließlich unter Beachtung der Interessen eines kleinen Kreises fachlich Betroffener herbeigeführt. Strukturentscheidungen wie die Einstellung von Studiengängen oder Zukunftsplanungen gehen über eine reine Fortschreibung des status quo nicht hinaus. Größere wissenschaftliche Einheiten helfen, diese Defizite auszugleichen. Diese für die damaligen Strukturentscheidungen maßgeblichen Überlegungen, wie sie in der Fachliteratur, aber auch von der Landeshochschulstrukturkommission Berlin 1992 vertreten wurden, gelten weiterhin und müssen die Strukturdiskussion erneut bestimmen. DEZENTRALISIERUNG: Als weiterer Teil im Veränderungsprozeß der TU Berlin hat die Verwaltungsreform zum Ziel, Entscheidungskompetenzen mit Verantwortungszuständigkeiten soweit wie möglich zur Deckung zu bringen. Das bedeutet - wenn auch abstrakt formuliert - Dezentralisierung. Ob die verwaltungstechnische Umsetzung von Entscheidungen zentral oder dezentral erfolgt, bemißt sich nach wirtschaftlichen Kriterien. Dabei wird eine Überprüfung der Verwaltungsabläufe einhergehen mit dem Ziel, unwirtschaftliche Schleifen zu kappen und zu sehen, ob dasselbe nicht an anderer Stelle mindestens ebenso gut und ebenso nachhaltig, aber preiswerter getan werden kann. In der eingangs zitierten Sitzung des Akademischen Senates waren auch Erwartungen formuliert worden, mit überproportionalen Kürzungen in den Verwaltungseinheiten Freiräume für die Wissenschaft zu schaffen. (Hoffentlich waren nur finanzielle gemeint, Gesetze bleiben weiterhin in Kraft, egal ob Verwaltungsentscheidungen zentral oder dezentral getroffen werden.) Das ist eine legitime Beschreibung von Zielen. Sie sind aber nur erreichbar, wenn Aufgaben auch aufgegeben werden. Damit meine ich nicht die Verlagerung von Aufgabenerfüllungen auf Private, das spart kein Geld - bringt aber vielleicht andere Vorteile. Nein, über die Streichung von Aufgaben muß entschieden und nicht nur darüber räsoniert werden. Da muß entschieden werden, ob wir noch soviel Internationalität oder Studienberatungen bewahren wollen, um nur einige Beispiele zu nennen, ob wir ein Studienkolleg behalten wollen, Messebeteiligungen, Kooperationen mit Wirtschaft und Gewerkschaften, Weiterbildung etc. (Ich meine im übrigen, wir müssen diese aus Wettbewerbsgründen weiterhin mit hoher Priorität ausfüllen). Es muß allen klar sein: Nur Aufgabenstreichungen bringen signifikante finanzielle Spielräume. Dezentralisierungsentscheidungen verfolgen andere Ziele, z. B. die sachnaher Entscheidungen. POLITISCHE AUTONOMIE: Für Dezentralisierungsstrategien gibt es weitere Gründe. Die Gesetzesänderungen der letzten Jahre verlagerten im Haushalts- und Personalbereich die Zuständigkeiten fast vollständig von den Senatsverwaltungen auf die Universitäten. In diesem Prozeß wird der Universitätsleitung system- immanent die bisherige Rolle der Senatsverwaltungen übergestülpt. Um diesen Prozeß handhabbar zu gestalten, müssen Zuständigkeiten, die bisher universitätszentral wahrgenommen werden, verlagert werden, um der Systemveränderung adäquat zu folgen. Man kann nicht Aufsicht in eigenen Angelegenheiten führen; soll die Zentrale frühere Aufsichtsaufgaben der Senatsverwaltungen ausfüllen, müssen die zu kontrollierenden Aufgaben neu positioniert werden. EXTERNE MODERATION: Die Veränderungsprozesse in der Verwaltung sollen mit externer Hilfe moderiert und begleitet werden. Dazu sind Beratungsunternehmen in diesen Tagen zu Angeboten aufgefordert worden. Die Veränderungen zielen nicht nur auf Dezentralisierung und Verbesserung von zentralen Abläufen, sondern auch auf Verbesserungen im Verwaltungshandeln der Fachbereiche. Verwaltung wird in den Fachbereichen doch nicht nur in den Fachbereichsverwaltungen betrieben, sondern im überwiegenden Maße in den Instituten und Fachgebieten, also den Professuren. Andere Universitäten haben hier Verbesserungspotentiale erkannt, die wir ebenfalls erschließen wollen; gute Ansätze dazu sind in unseren Fachbereichen Mathematik und Informatik vorhanden. Sie werden ein weiteres Thema der Verwaltungsreform sein. ENTWICKLUNGSPROGRAMM: Was muß nun eigentlich zum Entwicklungsprogramm unserer Universität, der neuen TU Berlin gehören? Miteinander verbundene Glieder der Programmkette sind:
Diese neuen Ordnungen können nur betrieben werden mit neuen Entscheidungs- und Leitungsstrukturen auf den zentralen und dezentralen Ebenen der Technischen Universität. Und ebenfalls nur mit entsprechend ausgebildetem Personal, wozu ein Personalentwicklungsprogramm aufgelegt wird. Damit sind Entwicklungsfelder angesprochen, die über die angesprochenen Gedanken zur Struktur- und Verwaltungsreform hinausgehen. Sie gehören aber als Glieder einer vollständigen Kette zusammen. Mit der anstehenden Entscheidung zur Strukturreform wird der erste Schritt getan, die weiteren bauen darauf auf. Sie werden uns noch lange beschäftigen. Denn - ich wiederhole mich - es geht nicht allein um Anpassungen an veränderte finanzielle Rahmenbedingungen, welche aus der desolaten Finanzlage des Landes Berlin folgen und in den Hochschulverträgen ihren Niederschlag gefunden haben, sondern um die kreative Gestaltung einer wirklich Neuen Technischen Universität Berlin.
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