WISSENSCHAFT

Sind Frauen friedfertiger?

Ein Kolloquium über Militär, Krieg und Geschlechterordnung

Das Militär war fast nie eine reine "Männersache". Ebensowenig sind Frauen aufgrund "ihrer Natur" friedliebender als Männer. Wie unsinnig diese Mythen sind, zeigte ein Kolloquium an der TU Berlin
"Militär, Krieg und Geschlechterordnung im historischen Wandel (17.-19. Jahrhundert)" lautete der Titel eines Kolloquiums, das im vergangenen November an der TU Berlin stattfand. Von der Tagung, die vom Zentrum für interdisziplinäre Frauen- und Geschlechterforschung (ZIFG) mitausgerichtet wurde, berichtet ZIFG-Mitarbeiterin Dr. Karen Hagemann.

"Weibliches Wesen, weiblicher Instinkt sind identisch mit Pazifismus", resümierte Lida Gustava Heymann, eine der langjährigen Führerinnen des radikalen Flügels der bürgerlichen Frauenbewegung 1922 in der Schrift "Weiblicher Pazifismus". Mit ihr schrieb sie das alte Bild von der "friedfertigen Frau" und dem "kriegerischen Mann" fort, das sich bis in die Antike zurückverfolgen läßt, aber erst seit dem späten 18. Jahrhundert im Kontext der intensiven Bemühungen um eine anthropologische Neubestimmung und ständeübergreifende Verallgemeinerung der Geschlechterdifferenzen eine neue Qualität gewann. Noch in der bundesdeutschen Frauenfriedensbewegung der 1950er, ja selbst der 1970er Jahre war es üblich von einem "natürlichen" Pazifismus der Frauen zu sprechen, heute jedoch stößt diese Position auf vehementen Widerstand, zumindest in der Frauen- und Geschlechterforschung. Denn das Konzept einer "biologischen Zweigeschlechtlichkeit", das der Dichotomie von "friedlicher Frau" und "kriegerischem Mann" in der bürgerlichen Gesellschaft zugrunde liegt, wird von ihr schon seit längerem selbst als Produkt sozialer und kultureller Konstruktionsprozesse begriffen.

UNREALISTISCHE KONZEPTE

Wie wenig dieses Konzept der historischen Realität entsprach, zeigte ein Kolloquium, das am 7. und 8. November 1997 zum Thema "Militär, Krieg und Geschlechterordnung im historischen Wandel (17.-19. Jahrhundert)" an der TU Berlin stattfand. Veranstaltet wurde es vom Zentrum für Interdisziplinäre Frauen- und Geschlechterforschung der TU Berlin in Kooperation mit dem "Arbeitskreis Militär und Gesellschaft in der Frühen Neuzeit e. V." Die wissenschaftliche Leitung lag in den Händen von Dr. Ralf Pröve (Humboldt-Universität zu Berlin) und Dr. Karen Hagemann (TU Berlin). Ziel des Kolloquiums, das weitestgehend von der Volkswagen-Stiftung finanziert wurde, war es, Historiker/innen aus den bisher weitgehend isoliert voneinander arbeitenden Gebieten der Geschlechtergeschichte und der Militärgeschichte zu einem ersten gemeinsamen Workshop zusammenzubringen. Damit sollte ein bisher von beiden Disziplinen vernachlässigtes Forschungsfeld befördert und zugleich die Bedeutung geschlechtergeschichtlicher Fragestellungen für die Erforschung so bedeutender historischer Phänomene wie Militär und Krieg sichtbar gemacht werden.

VON 16. BIS ZUM 19. JAHRHUNDERT

Vierzig Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Deutschland, Großbritannien, Österreich, der Schweiz und den Vereinigten Staaten beschäftigten sich eineinhalb Tage lang mit der Entwicklung von Militär, Krieg und Geschlechterordnung vom 16. bis zum 19. Jahrhundert, einer Zeit weitreichenden Wandels von Militärverfassung und Kriegführung, die national wie international bisher sehr wenig bearbeitet wurde. Die Spannweite der Vorträge, in denen aus laufenden Forschungsprojekten zum deutschsprachigen Raum berichtet wurde, reichte von den "Geschlechterbildern im Kriegsbild der frühen Neuzeit" und den "Geschlechterbeziehungen im Dreißigjährigen Krieg", über das Verhältnis von "Stehendem Heer und weiblicher Bevölkerung im 18. Jahrhundert" und den Zusammenhang von "Soldatischer Erziehung und Männlichkeit im 18. und frühen 19. Jahrhundert" bis hin zu den "Patriotischen Frauenvereinen während der Freiheitskriege 1813-15" und den "Männlichkeitsentwürfen in den civilen Ordnungsformationen des Vormärz".

Die Tagung zeigte die Aktualität und wissenschaftliche Relevanz des Themas und räumte zugleich mit einer ganzen Reihe von Vorurteilen und Mythen gründlich auf. Schon auf den ersten Blick mit dem Vorurteil, daß die Militärgeschichte eine reine "Männersache" sei, die nur von Männern betrieben werde: Tagungsteilnehmer/innen und Referenten/innen waren zu gleichen Teilen Männer und Frauen. Vorträge und Diskussion zeigten, welchen Erkenntnisgewinn die systematische Integration geschlechtergeschichtlicher Fragestellungen in die Erforschung von Militär und Krieg erbringen kann, vorausgesetzt, es wird Abschied genommen von überholten Vorstellungen, wie der, daß Geschlecht etwas "natürliches", primär biologisch begründetes sei, oder der, daß Frauen aufgrund "ihrer Natur" per se friedlicher und friedliebender seien als Männer und deshalb vor allem Opfer von Militär und Krieg gewesen seien. Nur wenn Geschlecht als "sozio-kulturelle" Kategorie begriffen, d. h. als sozial und kulturell konstruiert verstanden wird, kann beispielsweise gesehen werden, daß der gesellschaftliche Zwang "stark", "mutig" und "wehrhaft" zu sein, der durch langlebige normative Leitbilder auf Männer ausgeübt wird, für diese auch eine erhebliche Last sein konnte; was wohl viele "Bürgerwehrmänner" im Vormärz während ihres Wachdienstes so empfanden. Nur dann kann auch wahrgenommen werden, daß es immer wieder Frauen gab, deren Handeln der Norm von der "Friedfertigkeit" und "Sanftheit" so gar nicht entsprach; wie beispielsweise das vieler "Trosserinnen" in den frühneuzeitlichen Söldnerheeren, die gemeinsam mit ihrem Partner ein Erwerbs- und Beutepaar bildeten und wenn es not tat ebenso plünderten wie ihre Männer, oder das der "Heldenjungfrauen", die in Männerkleidern auf Seiten aller Parteien in den napoleonischen Kriegen mitkämpften.

"VOLKSHEERE" OHNE FRAUEN

Deutlich wurde nicht zuletzt aufgrund des die üblichen Epochengrenzen überschreitenden Tagungszeitraumes auch, daß viele historische Phänomene, die wir als "neu" zu betrachten gewöhnt sind, sehr viel älter sind: Zu ihnen gehört die selbstverständliche Integration von Frauen in das Militär, die die Geschichte nicht erst seit dem Ersten und Zweiten Weltkrieg kennt, sondern in sehr viel umfangreicherer Form bereits in den Söldnerheeren des 16. und 17. Jahrhunderts, wo Frauen und Kinder bis zu einem Drittel des Trosses dieser Heere stellten. Erst an der Wende zum 19. Jahrhundert, im Zuge der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht gelang es Obrigkeit und Heerführern, im Interesse der Effizienz und Schlagkraft der neuen großen "Volksheere", den Tross drastisch zu verkleinern und das Militär für ein Jahrhundert zu einem weitgehend "fauenfreien" Raum zu machen. Karen Hagemann

Um breitere Kreise der Öffentlichkeit über die Ergebnisse der Tagung zu informieren und weitere Forschungen anzuregen ist ein Tagungsband geplant. Informationen dazu sind erhältlich bei Dr. Karen Hagemann, Zentrum für Interdisziplinäre Frauen- und Geschlechterforschung am Fachbereich Kommunikations- und Geschichtswissenschaften, Sekr. TEL 20-1 im Telefunken-Hochhaus, Tel.: 314-2 69 74, Fax: 314-2 69 88, E-Mail: zifg@kgw.tu-berlin.de

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