TU intern - Juli 1998 - Hochschulpolitik

Nur Luschen und Idealisten - welche Stellen für die Promotion?

”Den wissenschaftlichen Mitarbeiter(innen) sind ...grundsätzlich Verträge mit einer Vollbeschäftigung anzubieten. Die Dauer der befristeten Beschäftigung soll fünf Jahre betragen". Diese Vorschrift zur Beschäftigung von Doktoranden und Doktorandinnen hatte das Kuratorium der TU Ende 1992 erlassen. Heute ist dieser Beschluß umstritten. Soll sich die TU in Zeiten knapper Mittel den ”Luxus" ganzer Promotionsstellen leisten oder lieber halbe Stellen vergeben und damit einer größeren Zahl an Studierenden die Möglichkeit zur Promotion geben? Hält die geringe Bezahlung gerade die besonders qualifizierten Absolventen von der Promotion ab? TU intern hat nachgefragt:

Prof. Dr. Heinrich Schoop, Dekan des FB 10, Verkehrswesen und Angewandte Mechanik

Im Fachbereich Verkehrswesen und Angewandte Mechanik versuchte kürzlich ein Institut, eine 2/3-Stelle mit einem qualifizierten Ingenieur zu besetzen, dies gelang nicht. Zur Zeit gibt es genug attraktive Angebote aus der Industrie, die mit unseren Stellen konkurrieren. In unserem FB werden Kurse mit über 300 Studenten von nur einem Assistenten betreut, der dadurch kaum für seine Promotion arbeiten kann. Selbst wenn bei 2/3-Stellen einige Personen mehr in der Lehre eingesetzt werden könnten, ist die Lehrbelastung noch viel zu hoch, um eine solche Stelle bei Teilbezahlung attraktiv zu machen.

Prof. Dr. Jörn Müller, Dekan des FB 5, Chemie

Der FB Chemie bemüht sich seit vielen Jahren um eine flexible Verfahrensweise bei der Besetzung von Doktorandenstellen sowohl hinsichtlich der Wertigkeit als auch der Laufzeit. Nicht nur die DFG sieht für promovierende Chemiker ausnahmslos halbe Stellen vor, dies ist auch bundesweit geübte Praxis bei Institutsstellen mit Lehraufgaben. Angesichts der hohen Promotionsrate von 85 % in der Chemie ist die Vergabe halber Stellen Ausdruck der Fürsorgepflicht, möglichst vielen Mitarbeitern eine finanzielle Basis für die Durchführung der Promotion zu gewähren. Dabei muß sich die Belastung der Stelleninhaber durch Lehraufgaben und wissenschaftliche Dienstleistungen klar nach der jeweiligen Stellenwertigkeit richten. Da viele Diplomchemiker innerhalb von drei Jahren promovieren, erscheint eine entsprechende Befristung der Verträge als gerechtfertigt, allerdings mit der Option einer Verlängerung auf fünf Jahre, sofern das angestrebte Qualifikationsziel noch nicht erreicht werden konnte.

Prof. Dr. Eberhard Kuhlmann, Dekan des FB 14, Wirtschaft und Management

In den Wirtschaftswissenschaften sind WM-Vollstellen erforderlich, da qualifizierten Absolventen von Unternehmen deutlich über BAT IIa liegende Gehälter angeboten werden. Sollten nur noch Teilzeitstellen zur Verfügung stehen, so besteht die Gefahr, daß hochqualifizierter Nachwuchs nicht in hinreichendem Maße zu sichern ist. Vertragslaufzeiten sollten auf zweimal zwei Jahre begrenzt werden.

Holger Eisele, Mittelbauinitiative

Von WMs, die auf Promotionsstellen sitzen, wird in der Regel die volle oder mehr als die volle Arbeitskraft erwartet. Dann ist es nur gerechtfertigt, sie voll zu bezahlen. Oder andersherum, welcher Hochschullehrer schickt seine 1/2-Drittmittel-WMs nach dem Mittagessen nach Hause? TU-WMs müssen gegenüber Drittmittel-WMs Lehrveranstaltungen betreuen, dann muß es auch in der Bezahlung einen Unterschied zu den bei Drittmitteln üblichen 1/2 Stellen geben. Will man insbesondere in den Ingenieur- und Planungswissenschaften mit dem privatwirtschaftlichen Arbeitsmarkt konkurrieren, und gute Leute für Promotionsstellen gewinnen, so muß man auch eine den dortigen Verhältnissen angepaßte Bezahlung bieten. Sonst gewinnt man nur Luschen oder Idealisten für die Universität. Die ersten bringen nichts, die zweiten nutzt man aus, und da habe ich was dagegen. Von der Bezahlung einer 1/2-BAT-IIa-Stelle als 27-jährige/r WM kann man in dieser Stadt fast nicht leben, geschweige denn eine Familie ernähren. Aber wir wollen doch 27-jährige WMs, oder ?

Prof. Dr.-Ing. E.h. Dr.-Ing. Wolfgang Beitz, Dekan des FB 11, Maschinenbau und Produktionstechnik

Bei den Ingenieurwissenschaften gibt es kaum ausgesprochene Doktorandenstellen, ausgenommen ausländische Stipendiaten. Unsere wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben bei voller Bezahlung ein Ganztagsarbeitsprogramm in Lehre und Forschung. Ihre Weiterqualifikation in Form einer Promotion führen sie nebenbei durch. Entsprechend der guten Arbeitsmarktsituation für qualifizierte Maschinenbauer zahlt auch die DFG ein volles Gehalt bei Vorlage eines industriellen Stellenangebots. Die DFG geht davon aus, daß auch bei halbem Gehalt ein Ganztagsarbeitsprogramm durchgeführt wird. Bei der derzeitigen Arbeitsüberlastung der übriggebliebenen Planstellen in der Lehre kann nur vor einer halben Bezahlung gewarnt werden. Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben keine Promotionsstellen, sondern Lehr- und/oder Forschungsaufgaben zu erfüllen, mit denen sie mit eigener Zusatzleistung auch promovieren können!

Prof. Dr. Stefan Jähnichen, Dekan des FB 13, Informatik

Für den Fachbereich Informatik wäre eine Entscheidung gegen die Beibehaltung von Vollbeschäftigung bei wissenschaftlichen Mitarbeitern katastrophal. Studienabgänger unseres Fachbereiches entscheiden sich häufig sehr konsequent gegen halbe oder zweidrittel-Stellen, weil sie sowohl sofort alternative besser bezahlte Angebote erhalten können, als auch sehr bewußt die Gefahr sehen, durch eine nicht ausreichende Bezahlung auch eine Verlängerung ihrer Promotionszeit in Kauf nehmen zu müssen. Ich rechne für den Fachbereich Informatik bei einer Entscheidung gegen Vollbeschäftigung mit starken Wettbewerbsnachteilen sowohl bei seiner eigenen Lehre und Forschung, als auch bei der Einwerbung und Durchführung von Drittmittelprojekten. Entsprechende Erfahrungen in den ”Aninstituten" des Fachbereichs bestätigen diese Tendenz.


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