TU intern - Juli 1998 - Studium

Ein Maulkorb für die ASten?

Streit ums allgemeinpolitische Mandat

Nach langen Jahren, in denen in Berlin die Regel galt, daß die Allgemeinen Studierendenausschüsse selbstverständlich in politische Auseinandersetzungen eingreifen können, hat jetzt das Verwaltungsgericht dem AStA der FU einen Maulkorb verpaßt. Nach seiner Ansicht ”ist das politische Mandat der Studentenschaft auf hochschulbezogene Tätigkeiten beschränkt." Auch daß das Berliner Hochschulgesetzes in §18 (2) der Studierendenschaft ein politisches Mandat ”in Hochschule und Gesellschaft" zuweist, hält das Gericht für unwichtig: ”Nach ständiger Rechtsprechung verletzt eine nicht unmittelbar auf den Bereich der Hochschule und die spezifischen Interessen von Studenten begrenzte politische Betätigung… verfassungswidrig den durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützten individuellen Freiheitsbereich der Mitglieder."

Dies entspricht einer seit dreißig Jahren festgefügten Rechtsmeinung. Regelungen, wie sie das BerlHG und andere Landesgesetze zur Erweiterung des Spielraums der ASten versuchen, sind danach bestenfalls verfassungswidrig. Dennoch wird ASten ihr unrechtmäßiges Verhalten eigentlich verhältnismäßig selten angekreidet. 1993 hat zum Beispiel die TU unter organisatorischer Beteiligung des AStA einen Hochschultag gegen Rassismus und Faschismus veranstaltet. Da Rechtsextremismus zweifellos ein nicht im geringsten ”auf den Bereich der Hochschule und die spezifischen Interessen von Studenten" begrenztes Problem ist, hätte der TU-Präsident eigentlich dem AStA die Beteiligung untersagen müssen.

Seit der Bildung von Verfaßten Studentenschaften nach dem 1. Weltkrieg haben diese sich politisch geäußert, und lange war das unumstritten. Ob der ”Versailler Vertrag" abgelehnt, ob gegen Juden gehetzt oder die Forderung nach Wiedervereinigung Deutschlands erhoben wurde: je nach den Zeitläufen waren Meinungen gebilligt oder sogar gefordert, die in das jeweilige gesellschaftliche Umfeld paßten. Erst als in den sechziger Jahren ASten sich herausnahmen, Kritik am Staat zu üben, wurden Gerichtsverfahren angestrengt. Seit dem Protest gegen die Absicht der atomaren Bewaffnung der Bundeswehr und den Aktivitäten gegen denVietnamkrieg ist ihnen Politik plötzlich untersagt.

KLAGEN HABEN TRADITION

Solange sich Studierendenschaften im Rahmen des gesellschaftlichen Konsens bewegen, so interpretieren wir das, sieht niemand einen Anlaß, sie in ihrer Tätigkeit zu beschränken. Erst wenn ihre Äußerungen irgend jemandem zu links werden, folgen Sanktionen. Und so gibt es seit dem ersten höchstrichterlichen Urteil von 1969 immer wieder Wellen von Klagen gegen ASten. Auch die neue Verfügung gegen den AStA der FU steht nicht alleine. Beginnend 1994 in Münster wurden in den letzten Jahren eine ganze Reihe linker ASten verklagt: z. B. Bonn, Dortmund, Wuppertal, Gießen, Marburg, Bremen und zuletzt Potsdam und die FU. Verbindungen zwischen den KlägerInnen lassen sich vermuten.

Neben der beschriebenen politischen Inkonsequenz steht aus unserer Sicht auch eine rechtliche. Einerseits werden die Organe der Verfaßten Studierendenschaft im Rahmen einer Repräsentativ-Demokratie gewählt, in der ja nach üblicher Auffassung die Mehrheitsmeinung sich durchsetzen soll, andererseits wird der dann untersagt, sich abweichend zu dem zu äußern, was die Minderheit meint - dies ist nämlich der Kern des oben zitierten Verweises auf ”individuelle Grundrechte".

Völlig unklar ist zudem die Unterscheidung zwischen verbotenen ”allgemeinpolitischen" und erlaubten ”hochschulpolitischen" Äußerungen. Das oben angeführte Beispiel des Hochschultages an der TU zeigt die Schwierigkeit exemplarisch: Auslöser war damals die Besetzung von TU-Räumen durch AsylbewerberInnen, die vor Pogromen in den neuen Bundesländern nach Berlin geflüchtet waren. Hätte der AStA sich damals nur zur Besetzung selbst, aber nicht zu ihren Ursachen äußern dürfen?

UNSINNIGE REGELSETZUNGEN

In unserer täglichen Arbeit sehen wir uns ständig mit der Notwendigkeit zu politischem Handeln konfrontiert. Wir sehen auch keine Möglichkeit, ständig abstruse und haarspalterische Abgrenzungen vorzunehmen, die selbst der Anwalt des AStA der FU für in der Praxis undurchführbar hält. Es ist nicht mehr als ein theoretisches Konstrukt, unserer Arbeitswirklichkeit eine ”Rechtswirklichkeit" entgegenzusetzen - mit politischer Absicht. Sobald die ASten sich nicht mehr im Rahmen des staatsbürgerlich Akzeptierten bewegen, wird ihre Funktion plötzlich so bestimmt, als läge es schon in ihrer Eigenschaft als öffentliche Körperschaft, im Sinne (und Auftrag) des Staates zu handeln. Sobald die staatstragende Position bei Wahlen in die Minderheit gerät, wird ihr das Recht zugesprochen, der Mehrheit Äußerungen zu untersagen. Rechtstheoretische Ableitungen solcher offenbar unsinnigen Regelsetzungen können der damit verbundenen politischen Absicht zwar ein Mäntelchen umhängen, aber ihr Kern bleibt sichtbar: Der Staat hat die Verfaßten Studierendenschaften nicht eingerichtet, damit sie sich gegen ihn wenden! Selbstverwaltung soll Bürokratie sein und keine Selbstorganisation!

Eine ganze Reihe von ASten haben sich in diesem Semester zusammengeschlossen, um sich gemeinsam gegen die ständigen Zensurversuche zu wehren. Noch in diesem Sommer werden wir eine Kampagne starten, die ein neues Nachdenken über den Sinn des Verbots politischer Äußerungen anstoßen soll. Und um es klar zu sagen: wir nehmen den Maulkorb ab. Wir stehen ein für Antimilitarismus, wir wehren uns gegen Sozialabbau, gegen Politik, die Rechtsextremismus Vorschub leistet, gegen Abschiebungen, wir fordern zur Verhinderung von Castor-Transporten auf. Auch die Organe der verfaßten Studierendenschaft sind Teil der Gesellschaft. Zudem sind sie an der Hochschule angesiedelt, die in einer ganz besonderen Pflicht für die kritische Reflexion der gesellschaftlichen Verhältnisse steht. Uns bleibt gar nichts anderes übrig, als Stellung zu beziehen. Denn auch wer schweigt, macht sich mitschuldig.

Claus Colloseus, AStA der TU


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