TU intern - Juli 1998 - Studium

Mehr als nur ein Praktikum

Studierende beim Lehmhausbau in Mexiko

Vorbereitungen für den
Hausbau: Fernab von
Uni und Hörsaal sind handwerkliche Fähigkeiten gefragt
Wie baut man ein Haus, das erdbebensicher ist, möglichst kein Geld kostet und nur in Handarbeit hergestellt werden kann? Diese Frage wurde akut, als es galt, in einem abgelegenen Bergdorf in Mexiko für und mit einer Kooperative von zapotekischen Indio-Frauen ein Obdach zu bauen.

Ein halbes Jahr lang setzten sich Volker Bollig und Wolf von Trotha, zwei Architekturstudenten des dritten Semesters des Fachgebietes ”Baukonstruktion und Entwerfen" von Prof. Ingrid Goetz, mit dieser Fragestellung auseinander. Durch die mexikanische Architektin Susanne Dussel, Doktorandin bei Frau Prof. Goetz, wurde der Kontakt zu der Frauenkooperative in dem Dorf Zaniza hergestellt. ” Zan ya de vinna" ( übersetzt aus dem Zapotekischen: ”Wir bauen Häuser für Frauen") nannten die Witwen und alleinstehenden Mütter ihre Kooperative, als sie sich mit engagierten Vertretern der katholischen Kirche vor Ort entschlossen, mit vereinten Kräften ihre Lebensbedingungen zu verbessern und nicht länger auf sich selbst gestellt zu sein.

Die Herausforderung für die Planer bestand also darin, die Möglichkeiten des Ortes zu erkennen und zu nutzen: Steine für das Fundament liegen im Flußbett, Lehm für die Wände findet sich in der Erde, Holz für den Dachstuhl wächst im Wald. Die Arbeitskraft der Frauen und das handwerkliche Wissen miteinbeziehend sollten neue Impulse im Umgang mit Materialien und Konstruktion gegeben werden.

Die traditionelle Hausform, der ”apocento", ein einziger rechteckiger Raum mit geneigtem Dach, sollte übernommen werden. Eine neue Dimension gewann das Projekt dadurch, daß die Frauen die speziellen Zementdachziegel in Eigenarbeit herstellen und sich damit eine Erwerbsquelle schaffen sollten.

Dieses Konzept überzeugte die zahlreichen privaten und öffentlichen Sponsoren, die dieses Projekt mit 11000,- DM finanzierten. Mit einem DAAD-Reisestipendium flogen die Studenten nach Honduras, um dort die Ziegelherstellung von dem Ingenieur Victor Martinez zu erlernen, die nötige Ausrüstung zu erwerben und nach Mexiko zu importieren.

Innerhalb von fünf Wochen gelang es den Studenten eine funktionierende Dachziegel-Manufaktur mit den Frauen einzurichten, die Frauen einzuarbeiten, die Baumaterialien zu organisieren, drei Lehmhäuser und eine Musterlatrine zu bauen. Durch das erfolgreiche Erlernen der Ziegelherstellungstechnik verloren die Frauen ihre anfängliche Scheu vor einer traditionell den Männern vorbehaltenen Arbeit. Schrittweise gewannen sie ein neues Selbstvertrauen. Zum ersten Mal nahmen sie Hammer, Schraubenzieher und Schubkarre in die Hände, mischten Zement und formten die Ziegel. Von anfänglich 20 hergestellten Ziegeln pro Tag stieg die Produktion später auf über 100 Stück, so daß innerhalb einer Woche die nötige Menge für ein Hausdach produziert werden konnte.

Bei der Konstruktion der drei Lehmhäuser erwies sich die Beschaffung der Materialien in dem Bergdorf als sehr zeitaufwendig. So sammelten die Frauen am Fluß 6 cbm Steine für die Fundamente ihrer Häuser und 450 beladene Esel waren nötig, um die Lehmsteine zu den Baustellen zu bringen. Zusammen mit ihren Müttern fanden die Kinder des Dorfes Spaß daran, in einer langen Arbeitskette Sand und Ziegel zu den Häusern durchzureichen.

Unterstützt durch die Erfahrungen von Prof. Gernot Minke (GHKassel) und Dipl.-Ing. Christof Ziegert (TU Berlin, FG Tragwerkslehre) wurde zum Beispiel eine neue Ringbalkentechnik aus Holz für den Lehmhausbau eingeführt. Diese und andere konstruktive Neuerungen, die die Dauerhaftigkeit und Erdbebensicherheit der Häuser erhöhten und auch die neue Dachziegeldeckung

wurden mit ernsthaftem Interesse von den Dorfbewohnern verfolgt und sollen in Zukunft weiter angewandt werden.

Für die Frauen von Zaniza bietet die Dachziegelwerkstatt eine bleibende Basis zur Selbsthilfe. Für Pater Ubi und Mutter Lupita, die Vertreter der Kirche in Zaniza, bedeutet der Kontakt nach Deutschland eine Möglichkeit, ihre Arbeit mit den bedürftigen Menschen dort weiterzuentwickeln. Zum Beispiel gibt es das Projekt, kleine zapotekische Kulturzentren für die Dörfer zu entwerfen, zu finanzieren und zu bauen. Dieses wird das Thema eines Entwurfsseminars im nächsten Wintersemester bei Prof. Goetz sein.

Nach zwei Monaten Arbeit und Leben in einer fremden, anderen Kultur, nach zwei Monaten der Begegnung mit vorbehaltlos freundlichen Menschen in Honduras und Mexiko kehrten die Studenten nach Berlin zurück. Für sie war das Ganze wesentlich mehr als nur ein Praktikum.

Volker Bollig, Susanne Dussel,
Ingrid Goetz, Wolf von Trotha


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