TU intern - Juli 1998 - Aktuelles
Rechts oder gar nicht
Mitte Juni stellten das Zentrum für Europäische Bildungsforschung (ZEB) und die FU Berlin ihre Studie Lebensstile Berliner Jugendlicher 1997" der Öffentlichkeit vor. Diese beschäftigt sich mit den Lebensgewohnheiten, der politischen Einstellung und dem Wahlverhalten der Berliner Jugendlichen und kommt zu teils besorgniserregenden Schlüssen: Die Politikverdrossenheit der befragten Berliner Jugendlichen ist hoch. Über ein Drittel weiß nicht, ob und wen es wählen will. Stark ausgeprägt ist die Tendenz zu extremen Parteien. Von den Ostberliner Auszubildenden, die ihre Stimme abgeben, wählt jeder Dritte eine rechte Partei. Die Studie kommt weiter zu dem Schluß, daß die häufig geäußerte Behauptung, rechte Wähler seien Protestwähler, nicht zutrifft. Über die Ergebnisse der Studie und die erforderlichen Konsequenzen sprach TU intern mit Dr. Werner Bergmann vom Zentrum für Antisemitismusforschung der TU Berlin. Herr Bergmann, jeder dritte Auszubildende in Ostberlin, so die Jugendstudie von ZEB und FU, wählt rechts. Ist ein Rechtsruck in Deutschland unausweichlich? Für einen Rechtsruck in Deutschland ist diese Bevölkerungsgruppe zu klein und zu einflußlos, und zum Glück führen rechte und fremdenfeindliche Einstellungen nicht unbedingt zur Wahl einer rechtsextremen Partei. Wichtig ist natürlich, daß die etablierten Parteien nicht ihrerseits versuchen, sich politisch nach rechts zu bewegen, sondern versuchen, die Probleme zu lösen, die diese Jugendlichen nach rechts führt. Wie sehen Sie den Einfluß der Schulen auf die Jugendlichen. Haben sie bei der politischen Bildung versagt? Wir sehen bei den Jugendlichen einen deutlichen Zusammenhang von niedrigem Bildungsabschluß und rechter Gesinnung. Je länger die Schulen einen positiven Einfluß ausüben können, desto häufiger werden demokratische und liberale Überzeugungen ausgebildet. Es scheint so, daß insbesondere die Zeit in der Lehre zu einem deutlichen Ansteigen rechter Überzeugungen führt. Dies hängt m.E. damit zusammen, daß solche Einstellungen primär in den Peer-groups gelernt werden und daß die (Berufs-) Schule hier nur schwer gegensteuern kann. Was ist konkret zu tun und wo müssen Maßnahmen ansetzen, die dieser Entwicklung entgegenwirken? Abgesehen von wünschenswerten Verbesserungen von Berufschancen gerade für die Jugendlichen mit niedrigen Bildungsabschlüssen wäre es besonders wichtig, die politischen Gegenkräfte vor Ort zu stärken. Gerade in Ostberlin und den neuen Ländern hat die rechte Jugendszene eine gewisse Hegemonie gewonnen, der etwa die Eltern, die örtlichen Autoritäten und die nicht-rechten Jugendlichen nicht offensiv genug entgegentreten. Die Studie weist darauf hin, daß die Akzeptanz rechter Positionen zwischen 16 und 18 Jahren zuzunehmen scheint und führt dies auf das Umfeld während der Ausbildung zurück. Sind extreme Positionen damit nicht eher ein Problem der gesamten Gesellschaft? Eine Brandenburger Jugendstudie belegt ebenfalls einen Anstieg, insbesondere im dritten Lehrjahr. Dies deutet einmal darauf hin, daß das Problem, nach der Ausbildung eine Stelle zu bekommen, hier radikalisierend wirken kann, zum anderen verlieren die Eltern bei Jugendlichen diesen Alters ihren Einfluß, und die Orientierung an anderen (vor allem in Ostdeutschland häufig selbst eher rechten) Jugendlichen nimmt zu. Es dürfte noch hinzukommen, daß gerade die Blue color"-Berufe einen deutlichen Statusverlust erleiden, was in diesem Milieu einen Trend nach rechts begünstigt. Im Zusammenhang mit gewalttätigen Ausschreitungen wird den Medien immer wieder vorgeworfen, daß sie durch ihre Berichterstattung Nachahmungen provozieren. Kann das Totschweigen" solcher Vorgänge eine ernstzunehmende Alternative sein? In der Tat sind Nachahmungseffekte vorhanden, wie etwa der steile Anstieg fremdenfeindlicher Übergriffe nach Rostock gezeigt hat. Andererseits mobilisiert die Berichterstattung immer auch die Gegenkräfte, wie wir sie in den Lichterketten" und den Reaktionen von Justiz und Polizei erlebt haben. Ein Totschweigen" würde ohne Eingriff in die Pressefreiheit kaum möglich sein und ist deshalb abzulehnen.
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