TU intern - Juli 1998 - Aktuelles

Das Rad neu erfinden?

Bahntechniker präsentieren neue Entwicklungen

Rund 70 kg weniger bringt das neu entwickelte Rad auf die Waage. Diese Gewichtsreduktion bedeutet eine geringere Belastung des Materials. Die guten Dämpfungseigenschaften der faserverstärkten Kunststoffe ermöglichen auch eine Abnahme der Fahrgeräusche.
Natürlich war das Interesse an den Neuentwicklungen im Bereich der Bahntechnik groß. Seit der Katastrophe von Eschede registrieren Presse und Öffentlichkeit sehr genau, was sich auf diesem Gebiet tut. Der Interdisziplinäre Forschungsverbund Bahntechnik (IFV), gefördert von der Senatsverwaltung für Wissenschaft, Forschung und Kultur, hatte schon im April geplant, einige seiner Forschungsprojekte der Öffentlichkeit vorzustellen. In erster Linie sollte es dabei um Entwicklungen gehen, die sich mit der Lärmreduktion bei der Bahn beschäftigen. Doch nun ging es auch um das manchmal etwas komplizierte Verhältnis zwischen Bahn und Fortschritt, und natürlich mußten sich die Vertreter des IFV auch einige Fragen zum Thema Sicherheit gefallen lassen.

Schon seit 1995 arbeitet der Interdisziplinäre Forschungsverbund Bahntechnik (IFV Bahntechnik), ein Zusammenschluß von 35 Fachgebieten wissenschaftlicher Institute und Hochschulen der Region Berlin-Brandenburg, auf dem Gebiet der Bahntechnik. An der TU Berlin befassen sich das Institut für Straßen- und Schienenverkehr und der Fachbereich Maschinenbau und Produktionstechnik mit Themen rund um Gleis und Zug. Erst im vergangenen Jahr wurden mit Prof. Dr. Markus Hecht, gleichzeitig Sprecher des IFV, und Prof. Dr. Jürgen Siegmann zwei neue Hochschullehrer in diesen Forschungsbereich berufen. Letzterer übrigens auf eine Stiftungsprofessur der Deutschen Bahn AG.

Der Forschungsbedarf im Bereich der Bahntechnik ist groß, da waren sich die Wissenschaftler einig. Allerdings wiesen sie auch darauf hin, daß gerade die Bahn sich schwer damit tue, Neuentwicklungen anzunehmen. Dies läge zum einen daran, daß die Bahn ein altes System sei, mit vielen historisch gewachsenen Gegebenheiten. Zum anderen bestehe ein starkes Sicherheitsbedürfnis, das die Anwender davon abhält, Innovationen durchzuführen. Wenn Zulassungsvorschriften im Autobereich so streng wären wie bei der Bahn, dann wären keine Autobahnen zugelassen, war da zu hören. Der Unfall in Eschede, so die Befürchtung der Wissenschaftler, wird Innovationen bei der Bahn eher behindern.

Ein Gebiet, in dem Neuentwicklungen Abhilfe schaffen könn(t)en - einige davon werden bereits getestet - ist die Lärmentwicklung. Sie ist eines der großen Umweltprobleme der Bahn. Würde man den Verkehr nur unter dem Aspekt des Lärmes betrachten, dann müßte man eigentlich das Auto der Bahn vorziehen. Besonders dann, wenn es tatsächlich gelingen sollte, einen Teil der Verkehrs von der Straße auf die Schiene zu verlagern, kommt der Lärmreduktion große Bedeutung zu. Möglichkeiten dazu bieten sich am Gleisbett, den Schienen und den Rädern. Die Wissenschaftler um Jürgen Siegmann untersuchten Sandwichplatten, die seitlich an den Schienen angebracht sind. Deren Schwingungen werden dadurch stark absorbiert, die Lärmentwicklung um bis zu etwa fünf Dezibel reduziert. Eine Verringerung von 10 Dezibel, würde vom Menschen wie eine Halbierung des Lärms empfunden. Andere Maßnahmen, die Bahn leiser zu machen, setzen beim Material des Gleisbetts an. Anstelle von Schotter wird u.a. aus Kosten- und Wartungsgründen zunehmend auf feste Materialien (Beton) zurückgegriffen. Darauf fährt die Bahn allerdings lauter. Im Institut für Straßen- und Schienenverkehr wurden verschiedene Dämmaterialien hinsichtlich ihrer Schallabsorption getestet. Es gelang den Wissenschaftlern, Materialien (Faserbeton-Konstruktionen) zu finden, die die Lärmerzeugung so stark dämpfen, daß kein Unterschied mehr zum üblichen Schotterbett besteht. Zur Zeit werden solche Materialien auf der Berliner Stadtbahn großtechnisch eingesetzt.

FASERVERSTÄRKTER KUNSTSTOFF

Bliebe noch das Rad. Prof. Günther Seliger stellte eine Neuentwicklung des Instituts für Werkzeugmaschinen und Fabrikbetrieb vor. Ein Rad, dessen Mittelstück nicht wie bei konventioneller Bauweise aus Stahl, sondern aus faserverstärktem Kunststoff (FVK) besteht. Dieses für die Flugzeugtechnik entwickelte Material zeichnet sich durch besonders hohe Festigkeit und geringes Gewicht aus. Hinzu kommen gute Dämpfungseigenschaften und eine hohe Beständigkeit gegen Umwelteinflüsse. Diese Eigenschaften sollen nun auch der Bahn zugute kommen. Das neue Eisenbahnrad, das nach Aussagen von Günther Seliger auch für Hochgeschwindigkeitszüge geeignet ist, verfügt nach wie vor über einen inneren und einen äußeren Stahlring. Ersterer ermöglicht die Montage des Rades auf eine Achse, letzterer hält den Kontakt zur Schiene. Der dazwischenliegende Radkörper ist aus FVK gefertigt. Dies führt zu einer Reduktion des Gewichtes. 70 kg weniger, das sind 20 Prozent des Gesamtgewichtes, bringt ein solches Rad auf die Waage. Geringeres Gewicht bedeutet auch eine geringere Belastung des Materials. Daneben produziert das neu entwickelte Rad deutlich weniger Geräusche. Während ein herkömmliches Stahlrad beim Anschlagen mit einem Hammer an eine klingende Glocke erinnert, ist der vom FVK-Rad ausgehende Schall stark gedämpft, insgesamt um etwa 10 Dezibel. Zusammengefügt werden die einzelnen Komponenten des Rades mittels Kleber. Zur Optimierung der Klebestellen, so Günther Seliger, bestehe noch umfangreicher Forschungsbedarf. Erste Prototypen der FVK-Räder sind bereits gebaut und werden von der deutschen Bahn AG getestet. Um das Rad bis zur Serienreife weiter zu entwickeln, benötige man wenige Millionen DM. Die aber fehlen zur Zeit der TU und dem IFV.

Ursula Resch-Esser

Weitere Informationen zum IFV Bahntechnik gibt die Broschüre ”Interdisziplinärer Forschungsverbund Bahntechnik, Forschung und Wissenschaft aus der Region". Sie ist in der Pressestelle der TU Berlin erhältlich (E-Mail: pressestelle@tu-berlin.de, Fax: 314-2 39 09 oder -2 14 21).


© 7/'98 TU-Pressestelle