TU intern - Juli 1998 - Aktuelles
...mit Joghurtbechern quer durch Europa"Unser Verhältnis zur Geschwindigkeit Viel ist diskutiert, geschrieben und spekuliert worden nach der Katastrophe von Eschede. Durch einen geplatzten Radreifen war der ICE Wilhelm Conrad Röntgen entgleist und 100 Menschen fanden den Tod. Die Ursache des Unglücks ist mittlerweile geklärt. Die Frage nach mehr Sicherheit und danach, ob die Katastrophe zu vermeiden war, wird kontrovers diskutiert. Viele Zeitungen sprachen vom verlorenen Vertrauen in die Bahn und in die Hochtechnologie allgemein. Die Katastrophe von Eschede gab aber auch Anlaß dazu, grundsätzlich darüber nachzudenken, wie die Gesellschaft in Zukunft mit der Geschwindigkeit, die sicher auch als Symbol der Hochtechnologie allgemein zu sehen ist, umgehen will. Wolfgang Sachs vom Wuppertaler Institut für Klima, Umwelt und Energie sagt: Man muß die Frage nach den Kosten für hohe Beschleunigung stellen. Wieviel Aufwand an Ressourcen sind wir bereit einzusetzen, um Minuten zu sparen. Wie weit wollen wir Europa umgestalten in eine Reihe von Haltepunkten für eine Hochgeschwindigkeits-Straßenbahn, wie sie ein Europäisches Schnellbahnnetz wäre?" Brauchen wir Hochgeschwindigkeitszüge, wo liegen die Grenzen der Geschwindigkeit und welchen Preis soll die Gesellschaft, will der Einzelne dafür zahlen? TU intern hat nachgefragt.
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Birgit Taeger, Datenschutzbeauftragte der TU |
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Dr. Wolfgang Neef, Leiter der Zentral- einrichtung Kooperation |
Wir haben seit Anfang der Industrialisierung die Ideologie, es müsse alles immer schneller gehen. Das ist untrennbar verbunden mit unserem Verständnis von Fortschritt und Technik und das ist untrennbar verbunden mit unserer Ökonomie, die die Vermehrung von Geld zum Maß aller Dinge macht und ihr inzwischen menschliche Bedürfnisse, Politik und Natur unterzuordnen versucht. Bisher hieß es, wir produzieren eine neue Technologie, und die ist immer besser als die Frühere, auch wenn sie absehbar Probleme macht. Es gibt dann einen Markt dafür, und wenn der Markt das annimmt, dann muß die Gesellschaft damit fertig werden (Technology-push - market pull"). Wir müssen aber vorher die Frage stellen, welche Technologien brauchen wir und insbesondere: welche Probleme können wir auch ohne Technologien lösen. In anderen Ländern wie Frankreich, England, Holland und Dänemark diskutiert die Wissenschaft intensiv über die Frage, wie der Technologiebedarf des kommenden Jahrhunderts aussieht. Sie sind längst runter von der Position, daß alles, was machbar ist, auch gemacht werden muß. Deutschland ist da leider ziemliches Schlußlicht. Immer noch wird hier die Innovation" als solche gepriesen. Der deutsche Ingenieur, der das in seiner Mehrheit noch tut, und für den soziale und ökologische Fragen nicht zur Technik gehören, ist deshalb international unter starken Druck geraten: Die deutschen Diplome, die ein rein technisches Fachwissen zertifizieren, sind deutlich weniger wert also noch vor zehn Jahren. Dienstreisen werde ich weiterhin auf der Schiene machen. Man darf hier das Kind nicht mit dem Bade ausschütten, und plötzlich bei der Bahn einen Unfall hypostasieren, während im Straßenverkehr weiter gerast wird. Aber was wir auf jeden Fall machen sollten, ist, dieses Gottvertrauen" aufzugeben, daß die immer komplexere Höchstleistungstechnik schon funktionieren wird. Wenn dann das Argument kommt, daß der Fortschritt" uns dazu zwingt, kann ich nur sagen: Den Fortschritt kann man nicht aufhalten", das ist der dümmste Satz, den es gibt. Natürlich kann man ihn aufhalten, wenn man ihn selbst macht.
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Dr. Harald Kolrep, Vizepräsident der TU |
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Siegfried Niedek, EUCARE Zentrum Mensch Maschine Systeme |
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Prof. Dr. Dieter Ziessow, Fachbereich 5 Chemie |
Aber es ist ja auch möglich, daß andere Interessen dahinter stehen, eine Hochgeschwindigkeit zu praktizieren. Solche Züge sind Vorzeigeprodukte, mit denen technologischer Hochstand unter Beweis gestellt wird, denken Sie nur einmal an die Züge in Frankfreich und Japan. Prinzipiell sehe ich, wenn die Sache sicher und nach allen Richtungen abgeklopft ist, keinen Hinderungsgrund für Hochgeschwindigkeitszüge. Das Streben nach Rekorden, also immer besser und immer schneller zu sein, ist ein Grundmotiv der Menschen. Nur das muß natürlich immer unter dem Gesichtspunkt der Prüfung aller Risiko-Faktoren, die da reinspielen, geschehen. Risiko gibt es immer, schon mit der Geburt beginnt das Risiko. Allerdings unterscheiden sich die Risiken in der Schwere. Da die Bundesbahn auf Schienen fährt, ist man bisher davon ausgegangen, daß die Gefahr sehr gering ist, wenn nicht gerade eine Weiche falsch gestellt ist oder zwei Züge aufeinanderfahren. Ich würde mal sagen, fatale Folgen eines Unfalls sind beim Fliegen nicht minder und dennoch wird weltweit munter geflogen. Denkt man nur ans Risiko, so müßte man auch Autobahnen ohne Geschwindigkeitsbegrenzung meiden.
© 7/'98 TU-Pressestelle |