TU intern - Juni 1998 - Forschung

Ein Käfig für Elektronen

Marius Grundmanns Forschungsarbeiten in der Welt der Nanoteilchen

Abwärts ging es bei Marius Grundmann höchstens mit der Größe der erforschten Objekte. Seine wissenschaftliche Karriere hingegen zeigt steil bergauf. Nicht nur, daß er bereits als Student Stipendiat der Studienstiftung war, Auslandsaufenthalt nach dem Diplom selbstverständlich, hinzu kommen auch eine Reihe hochangesehener Preise, für seine wissenschaftlichen Arbeiten der letzten Jahre. Als erster Nachwuchswissenschaftler in Deutschland wurde Marius Grundmann gleichzeitig in das Gerhard-Hess-Förderprogramm der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) aufgenommen und erhielt den Heinz Maier-Leibnitz-Preis. Was tut und woran forscht eigentlich jemand, der trotz junger Jahre schon so viele Auszeichnungen bekam?

Es muß schon eine interessante Erfahrung sein, wenn man jahrelang versucht, einen ganz bestimmten Effekt zu vermeiden und dann merkt, daß es genau dieser Effekt ist, der einen weiterbringt. Wie oft das geschieht? Keine Ahnung. Wo so etwas geschieht? Zum Beispiel in der Physik, genauer gesagt in der Halbleiterphysik. Das ist jener Teilbereich dieser Wissenschaft, in dem die Weichen gestellt werden für Entwicklungen in der Informations- und Kommunikationstechnologie, vom Computer bis zu Handy und CD-Player.

KLEINER, SCHNELLER, BILLIGER

In dieser Branche, in der es darum geht, nach dem Motto ”immer kleiner, schneller und billiger" elektronische Bausteine wie Speicher und Mikroprozessoren für den Computer zu produzieren. Mikroelektronik ist out, das neue Schlagwort lautet Nanotechnologie. Ein Nanometer ist 0.001 mal kleiner als ein Mikrometer. 100 Nanometer entsprechen etwa einem Tausendstel des Durchmessers eines menschlichen Haares. Und so groß oder besser so klein sollen in Zukunft die entscheidenden Strukturen in den Halbleiterbauelementen sein. Zum Beispiel in einem Laser, und damit kommen wir zurück zum Anfang, zu den Effekten, die man vermeiden will oder auch nicht. Wir kommen zu dem Gebiet, auf dem auch Marius Grundmann in der Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Dieter Bimberg am Institut für Festkörperphysik der TU Berlin forscht.

Es geht um Quantenpunkte. Das sind winzigste Halbleiterkristalle, aus einigen hundert Atomen zusammengesetzt, nur noch wenige Nanometer breit und hoch.

Diese geringe Größe der Quantenpunkte im Vergleich zu ”normalen" Kristallen hat Konsequenzen. Die Elektronen können sich dort, anders als in einem großen Kristall, nicht mehr frei bewegen. Sie sind in den Quantenpunkten eingesperrt - ein Käfig für Elektronen. Deshalb können sie nur noch ganz bestimmte - diskrete - Energieniveaus besetzen, während sie im Festkörper viele verschiedene Energiewerte annehmen. Zwischen den Energieniveaus im Quantenpunkt müssen die Elektronen hin und her springen, ähnlich wie in einem einzelnen Atom. Mit einem Unterschied: die Energieniveaus in den Quantenpunkten können über deren Größe, Form und Material beeinflußt werden. Grundmann nennt sie deshalb auch ”man-made atoms".

Und warum sind die nun so interessant? Drei Dinge fallen auf: Sie sind extrem klein, könnten also einer weiteren Miniaturisierung von Bauelementen Vorschub leisten. Sie halten einzelne Elektronen gefangen, die zwischen festen Energieniveaus hin und her springen. Damit könnten neuartige Bauelemente, sogenannte Einelektronentransistoren, realisiert werden. Die dann mit nur einem Elektron schalten würden, anstatt wie heute, mit ca. 100000. Der Schaltprozeß wird schneller, braucht weniger Leistung und produziert weniger Wärme. Die Energieniveaus in den Quantenpunkten und damit die Energie, die ein Elektron beim Sprung zwischen zwei Niveaus als Licht abstrahlt, sind durch die Herstellung (in bestimmten Grenzen) beeinflußbar. Mit Quantenpunkten gebaute Laser könnten also Wellenlängenbereiche abdecken, die mit sonst üblichen Halbleiterlasern nicht zugänglich sind. Laser, die mit Quantenpunkten gebaut sind, sollen schneller, temperaturunabhängig und bei kleineren Strömen als bisher arbeiten.

Doch so vielversprechend die Theorie klingt, so schwierig ist die Praxis. Wie baut man einen Minikristall mit 1000 Atomen, keins mehr und keins weniger? Wie baut man ganz viele davon, exakt gleich und ohne Unterschied, und wie genau hängen deren Eigenschaften nun mit Form und Größe zusammen? Leuchtet der Laser rot, wenn die Quantenpunkte pyramidenförmig sind und rosa, sind sie rund und flach?

Blick ins Innere eines Lasers. Die dunklen Punkte sind winzige Halbleiterkristalle, bestehend aus Indium und Arsenatomen. Dort entsteht das Licht
”Wir untersuchen alle Aspekte der Quantenpunkte, ihre Herstellung, Charakterisierung und Anwendung", erklärt Marius Grundmann, ”wir schauen nach, ob diese Nanostrukturen die erwarteten Eigenschaften auch haben."

Das heißt zuerst: Herstellung. Hier haben Grundmann und seine Kollegen an der TU gezeigt, daß man einen Effekt nutzen kann, der das Wachstum qualitativ guter Halbleiterschichten verhindert. Schon 1937 hatten die Physiker Stranski und Krastanov festgestellt: wenn man einen Kristall auf einen anderen aufwächst, ist dies nur dann problemlos möglich, wenn beide die gleiche Gitterkonstante haben (sprich ihre Atome exakt im gleichen Abstand angeordnet sind). Ist das nicht der Fall, entstehen Verspannungen, irgendwann reißt die Schicht auf. Was bleibt sind Kristallfehler und Versetzungen, als Grundlage für ein Bauelement ist solch eine Kristallschicht nicht mehr zu gebrauchen. Oder? Nun, eine glatte Schicht entsteht nicht, durch geschickte Wahl der Wachstumsbedingungen kann man aber etwas anderes erreichen: Die Schicht reißt auf und bildet viele kleine Inseln. ”Man kann ausrechnen, daß die Verspannung dann am geringsten wird, wenn alle diese Inseln eine ganz bestimmte Größe haben" erklärt Grundmann diese Methode zur Herstellung von Quantenpunkten. Die Fachleute nennen das selbstorganisiertes Wachstum, unter welchen Bedingungen dies am besten geschieht, wird weltweit erforscht. Allein an der TU Berlin beschäftigen sich zwei Arbeitsgruppen im Rahmen eines Sonderforschungsbereiches mit diesem Thema (Prof. D. Bimberg, gleichzeitig Sprecher des Sfb's und Prof. W. Richter).

Doch damit nicht genug, Grundmann hat auch genau berechnet, wie sich die Ladungsträger, die Elektronen, in solchen Quantenpunkten verhalten. Dies ist wohl ein maßgeblicher Grund, warum er den Heinz Maier-Leibnitz-Preis erhält. ”Modelle dafür gibt es eigentlich schon seit etwa 15 Jahren" erklärt er, doch diese beachten nicht die kleinen Abmessungen des Quantenpunktes. Sie tun häufig so, als ob er auch ein großer Volumenkristall wäre. Formeln, die dann richtig sind, können aber nicht einfach übernommen werden und Näherungen treffen nicht mehr zu. ”Da muß man genau aufpassen, was man tut" erklärt Grundmann das Vorgehen, wenn man dieses System irgendwo zwischen Festkörper und Atom theoretisch beschreiben will.

AUF DEM WEG ZUR PRAXIS

Bliebe noch die Frage nach der Anwendung. Erste funktionsfähige Laser hat die Arbeitsgruppe um Dieter Bimberg und Marius Grundmann zusammen mit Wissenschaftlern des A. F. Ioffe-Instituts in St. Petersburg schon entwickelt. Dazu werden mehrere Schichten von Quantenpunkten in ein anderes Halbleitermaterial eingebettet und in rund 15 weiteren Prozeßschritten fertiggestellt. ”Durch Übergang von Schichten zu Quantenpunkten konnten wir mit dem selben Material neue Farben erzeugen" erklärt Grundmann die Vorteile dieses Prinzips. Beim Galliumarsenid, ein oft verwendetes Halbleitermaterial, gelang es, die Wellenlänge des Lichtes soweit zu verändern, daß sie nun für die Datenübermittlung in Glasfaserkabeln deutlich besser geeignet ist. Kaufen kann man die Quantenpunktlaser allerdings noch nicht. Bis dahin ist noch einiges an Forschungsarbeit zu tun, die Haltbarkeit und Zuverlässigkeit der kleinen Leuchten zu erforschen. Doch innerhalb der nächsten zehn Jahre sollten sie schon auf den Markt kommen. ”Wenn nicht", so Grundmann pragmatisch, ”hören wir damit auf".

Ursula Resch-Esser


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