TU intern - Mai 1998 - Luftbrücke

50 Jahre Luftbrücke

Der Insulaner verliert die Ruhe nicht,
der Insulaner liebt keen Jetue nicht,
der Insulaner hofft unbeirrt,
daß seine Insel wieder'n schönes Festland wird.

Lied von Günter Neumann, das der Rundfunk am
1. Weihnachtstag 1948 zum ersten Mal ausstrahlte

Am 24. Juni 1948 riegelte die sowjetische Besatzungsmacht West-Berlin vom restlichen Deutschland ab: Alle Land- und Wasserwege, die in den von den West-Alliierten besetzten Teil Berlins führten, wurden gesperrt. Ursache für die "Berliner Blockade" waren die auseinandergehenden politischen Auffassungen zwischen der UdSSR und den Westmächten; Anlaß war die Ausdehnung der Währungsreform in den Westzonen Deutschlands (20. 6. 1948) auf die Westsektoren Berlins. Die Bevölkerung West-Berlins wurde ab dem 25. Juni 1948 auf dem Luftweg versorgt. Die Luftbrücke funktionierte so gut, daß die Sowjets gezwungen waren, die Blockade am 12. Mai 1949 aufzuheben. Das bedeutete einen enormen Prestigeverlust für die UdSSR und setzte dem Plan, ganz Berlin zu besetzen, ein Ende. Bedenkt man die lang anhaltende Blockadedauer, so ist es ein Phänomen, wie der Westteil der Stadt ausschließlich über die Luftbrücke versorgt werden konnte. Bis zum 6. Oktober 1949 brachten die "Rosinenbomber" der Briten und Amerikaner Lebensmittel, Industriegüter und Kohle. Insgesamt waren es 277728 Flüge.

Auf dem Luftweg gelieferte Kohle wird entladen

Der Weg, der zur Blockade führte, zeichnete sich bereits zwei Jahre vor deren Errichtung ab. Die Uneinigkeit und die Interessengegensätze der Siegermächte über die Zukunft Deutschlands wurden ab 1946 besonders deutlich. In der "Sowjetisch Besetzten Zone" (SBZ) und im Ostsektor Berlins kam es unter massiven Druck der Sowjets zur Zwangsvereinigung von KPD und SPD zur SED. 1947 scheiterten Krisengespräche zwischen West und Ost: Die Londoner Außenministerkonferenz wurde abgebrochen. Die "Truman-Doktrin" und der Marshall-Plan taten ein weiteres, um die Spannungen zu vertiefen. In der ersten Jahreshälfte 1948 verließen die Sowjets den Alliierten Kontrollrat und die Berliner Kommandantur. Als die von den westlichen Alliierten beschlossene Währungsreform (20. 6. 48) auch auf ganz Berlin übergreifen sollte, schaltete die Sowjetische Militäradministration (SMAD) am 23. 6. 1948 das Großkraftwerk ab, das bisher für ganz Berlin genutzt wurde. Am 24. 6. folgte die Unterbrechung des gesamten Straßen- und Schienenverkehrs zwischen Westzone und Berlin, Lebensmittellieferungen und Schiffsverkehr wurden ebenfalls gestoppt. General Clay, der Oberbefehlshaber des US-Sektors, brachte die politisch spannungsgeladene Situation auf den Punkt: "Wenn Berlin fällt, folgt Westdeutschland als nächstes." Die Antwort auf die Sowjetblockade kam postwendend: Am 25. Juni 1948 befahl General Clay die Errichtung einer Luftbrücke. West-Berlin sollte von den Westmächten versorgt und somit die Einverleibung durch die UdSSR verhindert werden. Clays Maßnahme blieb zunächst jedoch auf Seiten der Alliierten umstritten. In Berlin zu bleiben bedeutete, das Risiko eines Krieges mit der Sowjetunion einzugehen. So begannen die Regierungen der Westmächte nach anfänglichem Zögern, gegen die Blockade gemeinsam vorzugehen.

Die Vorzeichen für das Funktionieren der Luftbrücke waren nicht die besten. Die Transportkapazität der amerikanischen und britischen Luftflotte belief sich anfangs auf 500 bis 700 Tonnen täglich. Der Minimalbedarf zur Versorgung West-Berlins betrug ungefähr das Zehnfache. Hinzu kam, daß die technisch veralteten Flugzeuge der Alliierten im Verlauf der Luftbrücke Stück für Stück ersetzt werden mußten. Frankreich beteiligte sich nicht an der Luftbrücke, da es fast alle Flugzeuge im Indochinakrieg einsetzte.

Die Flughäfen Tempelhof (US-Sektor) und Gatow (GB-Sektor) wurden ausgebaut, im Juli wurde der Bau eines dritten Flughafens in Tegel (französischer Sektor) beschlossen. 19000 Berliner arbeiteten in Acht-Stunden-Schichten unter Anleitung amerikanischer und französischer Techniker an dessen Fertigstellung, die bereits nach 85 Tagen erreicht wurde. In der sogenannten Bizone, dem englisch-amerikanisch kontrollierten Deutschland, standen insgesamt elf Flughäfen für die Luftbrücke nach Berlin zur Verfügung. Ständig wurden vor allem amerikanisch stationierte Flugzeuge aus aller Herren Länder angefordert, um die Luftbrücke zu verstärken. Rund 300 Flugzeuge waren im Einsatz. Die Maschinen flogen in vier sechsstündigen Blocks nach Berlin, alle 90 Sekunden landete und startete ein Flugzeug. Verpaßte ein Pilot den Anflug, so mußte er mit der gesamten Ladung zurückfliegen. Der Start- und Landeplan mußte streng eingehalten werden, für einen zweiten Landeanflug blieb da keine Zeit.

Transportflugzeuge auf dem Flughafen Tempelhof

Die Transportleistungen konnten stetig erhöht werden: Am 30. Juli 1948 konnten pro Tag erstmals mehr als 3000 Tonnen eingeflogen werden, am 25. November waren es sogar 6000 Tonnen. Zwei Drittel der Transporte bestanden aus Kohlen, ein Viertel waren Lebensmittel und der Rest Rohmaterialien oder Versorgungsgüter. Unter anderem wurden Fahrzeuge vor dem Flug zerlegt und in West-Berlin wieder montiert. Auch ein ganzes Kraftwerk, das später den Namen "Ernst Reuter" trug, wurde über die Luftbrücke in die Stadt geschafft. Zum Helden der Kinder wurde der US-Pilot Gail Halvorsen, der "Schokoladen-Flieger". Er band Schokoladentafeln an kleine Fallschirmchen aus Taschentüchern und ließ sie dann kurz vor der Landung in Tempelhof niedergehen. Schokolade war aber nicht das einzige, was die Kinderherzen erfreute. "Shmoos" waren Gummiplastiken, die ebenfalls von den alliierten Fliegern abgeworfen wurde. Gab man ein "Shmoo" an einer bestimmten Ausgabestelle ab, erhielt man ein CARE-Paket mit Zehn-Pfund-Schmalz.

Pilot Gail S. Halvorsen, er warf kleine Fallschirme mit Bonbons, Kaugummis und Schokolade von seiner Maschine ab

Die Leistungsfähigkeit der Luftbrücke erreichte ihren Höhepunkt, als mehr Fracht nach West-Berlin eingeführt wurde als vor der Blockade. Bevor dieser Zustand jedoch erreicht werden konnte, mußte die West-Berliner Bevölkerung einiges an Entbehrungen in Kauf nehmen. Die Kohle- und Essensvorräte schrumpften, der Verkehr mußte eingeschränkt werden, Strom und Gas für Haushalte gab es lediglich für zwei bis vier Stunden täglich. Da die meisten Transporte aus Lebensmitteln und Kohle bestanden, litten die Gütertransporte und damit die Wirtschaft. Die Industrieproduktion Berlins sank drastisch, nachdem sie nach dem Kriegsende schon auf einem Tiefpunkt angelangt war. Die Arbeitslosenzahlen stiegen von Juni 1948 bis Mai 1949 um 250 Prozent. Oberbürgermeister Ernst Reuter hielt in dieser Zeit viele Reden, die die Durchhaltekraft der Menschen beschworen. Die bekannteste ist wohl die Rede vom 9. September 1948 auf dem Platz der Republik: "Völker der Welt!… Schaut auf diese Stadt und erkennt, daß ihr diese Stadt und dieses Volk nicht preisgeben dürft… Und Volk von Berlin, sei dessen gewiß, diesen Kampf, den wollen, diesen Kampf, den werden wir gewinnen."

Kohlezuteilung im Bezirk Reinickendorf

Berlin hungerte und fror im Winter 1948/49. Glücklicherweise gab es einen milden Winter. Aber pro Person standen nur 12,5 kg Holz, Kohlen oder Kohleersatz zur Verfügung. Es wurden Wärmestuben eingerichtet, die jedoch meistens überfüllt waren. Zur Weihnachtszeit schickte die Stanford-Universität aus Kalifornien 10 Tonnen Winterkleidung für die Studenten der Freien Universität, Westdeutsche Fabriken spendeten Reifen für 60 West-Berliner Omnibusse. Ein Kredit von monatlich 43 Millionen DM und die Sondersteuer "Notopfer Berlin" kamen der blockierten Stadt zugute. Ein Zuschlag von zwei Pfennig auf alle innerdeutschen Postsachen und die Einbehaltung von etwa einem Prozent aller Lohn- und Gehaltszahlungen in den Westzonen Deutschlands ergaben eine monatliche Summe zwischen 25 und 40 Millionen DM. Die Gesamtkosten der Luftbrücke von etwa 200 Millionen US-Dollar - jede nach West-Berlin geflogene Tonne Fracht kostete 100 US-Dollar - wurde jedoch von den amerikanischen und englischen Steuerzahlern bezahlt.

Letztendlich ist es dem Durchhaltevermögen der West-Berliner und den unermüdlichen Hilfeleistungen der Alliierten zu verdanken, daß die Luftbrücke funktionierte und West-Berlin dadurch nicht der SBZ einverleibt wurde. Auch die skeptische Haltung zwischen Westmächten und West-Berlin wich im Laufe dieser Zeit gegenseitigem Respekt und Freundschaft. Aus Besatzern wurden im Westteil Schutzmächte.

Gian Hessami

FOTOS: Landesbildstelle Berlin, Bildarchiv der TU Berlin


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