TU intern - Mai 1998 - Luftbrücke
Die TU Berlin während der LuftbrückeDie Studierenden waren "Meister im Organisieren"
| |
Ausgebrannte Gebäude, zerstörte Fassaden, herumliegende Trümmer - Die TU Berlin, damals hieß sie noch Technische Hochschule, sah nach Kriegsende genauso schlimm aus wie die meisten Gebäude der zerstörten Stadt. Von den knapp 38000 m2 Fläche an Hörsälen, Zeichensälen, Labors und Büros der Hochschule waren im Februar 1946 nur noch 18500 m2 benutzbar. Am schlimmsten war das Hauptgebäude betroffen, das bei dem Brand nach dem Luftangriff vom 23./24. November 1943 erheblich beschädigt worden war. Doch das Leben in der von den Alliierten besetzten Stadt begann sich allmählich wieder zu regen. Auch an der TH Berlin, wo sich ehemalige Studierende, Angestellte und Lehrende einfanden, um die Hochschule wiederaufzubauen. Zunächst ging es vor allem darum, Aufräum- und Absperrarbeiten zu leisten und noch vorhandene Räumlichkeiten instandzusetzen. AUFNAHME DES REGULÄREN LEHRBETRIEBS Zum Sommersemester 1946 konnte der reguläre Lehrbetrieb wieder aufgenommen werden. 1556 Studierende von 3000 Bewerbern konnten sich nach einer strengen Aufnahmeprüfung einschreiben. 124 Hochschullehrer und knapp 500 sonstige Mitarbeiter bildeten das Personal der Hochschule. Der Name Technische Universität Berlin stand für ein neues Programm: Angetrieben von dem Ideal einer universalen Bildung des Menschen sollten nun Ingenieure so ausgebildet werden, daß sie ihrer Verantwortung gegenüber der Gesellschaft stärker als zuvor gerecht würden. Das wollte man durch ein "Humanistisches Begleitstudium" erreichen, das zum Wintersemester 1948/49 eingeführt wurde und geistes- und kulturwissenschaftliche Fächer wie Geschichte oder Literatur beinhaltete. Im Sommer 1948 eskalierte das angespannte Verhältnis zwischen den Alliierten: In der Nacht zum 24. Juni 1948 sperrten die sowjetische Besatzungsmacht die Verkehrsverbindungen und die Energiezufuhr nach West-Berlin. Die West-Alliierten antworteten mit der Einrichtung der "Luftbrücke".
| |
Studierendendemonstration gegen die Währungsreform im März 1949 |
BLOCKADE UND LUFTBRÜCKE Für den Westteil der Stadt bedeutete die Blockade trotz der Versorgung mit Kohlen und Lebensmitteln aus der Luft noch größere Einschränkung als zuvor. Es fehlte insbesondere an Brennmaterial, Lebensmittel und Unterkünften. Der Schwarzmarkt blühte. Diebstähle waren fast an der Tagesordnung. Die TU blieb davon nicht verschont: Unter anderem wurden im August 1948 die Felgen samt Reifen vom Dienstwagen des Rektors entwendet. Da die TU frei zugänglich war, konnten sich immer wieder unbefugte Personen Zutritt verschaffen. Der Dekan der Fakultät für Maschinenwesen bemängelte in einem Brief an den Rektor vom 29. September 1948 das Verhalten der Pförtner und Reinemachefrauen. Diese würden Schlüssel für Räume aushändigen bzw. diese aufschließen, ohne die betreffenden Personen zu überprüfen, ob sie überhaupt ein Zugangsrecht hätten bzw. überhaupt zur Hochschule gehören würden. Die Blockade bescherte der TU Berlin aber auch ungewöhnliche Gäste. Nachdem Demonstranten am 6. September die Sitzung der Berliner Stadtverordnetenversammlung im Bezirk Mitte sprengten, wichen die nichtkommunistischen Abgeordneten in die Räumlichkeiten der TU aus. Es war allerdings nur ein kurzes Gastspiel: Ihre neue Heimat sollten die Abgeordneten im Rathaus Schöneberg finden. SCHWIERIGE VERSORGUNGSLAGE Um Frostschäden an Heizungs- und Be- bzw. Entwässerungsanlagen zu vermeiden, mußten die TU-Gebäude besonders sorgfältig winterfest gemacht werden. Ein Schreiben des Rektors vom 18. Oktober schloß alle nicht winterfesten Räume von der Beheizung aus. Da die TU ein eigenes Kraft- und Heizwerk besaß, das den Krieg relativ unbeschadet überstanden hatte, produzierte sie Strom und Heizwärme größtenteils selbst. Ein Notplan der TU sah zunächst nur die Beheizung von Verwaltung, Studentenhaus plus Küche, Physik-, Chemie- und eines Teils des Ergänzungsgebäudes vor. Der Leiter des Kraft- und Heizwerks schätzte die Bedarfsmenge auf 2000 Tonnen. Im milden Winter 1947/48 hatte die TU für Heizung und Strom 3100 Tonnen Steinkohle verbraucht. Die Kohlenlieferungen blieb jedoch zunächst aus. Das TU-Kraftwerk mußte stillgelegt werden. Eine spätere Zuteilung von 100 Tonnen Kohlen war binnen vierzehn Tagen aufgebraucht. Dafür erhielt die TU ein Stromkontigent aus dem städtischen Netz der BEWAG. Nur zwei Stunden am Tag und zwei Stunden in der Nacht Strom reichten jedoch nicht aus. Die Bitte, dauernd an das Netz angeschlossen zu werden, wurde der TU nicht erfüllt. Die Hochschulleitung stellte daraufhin Pläne für Stromschaltzeiten der einzenen Institute auf. Die Benutzung von elektrischen Heiz- und Kochapparaten wurde strengstens verboten. So konsequent hielt man sich allerdings nicht an das Verbot. Die TU-Verwaltung führte das Ansteigen des Stromverbrauchs bei sinkender Temperatur im Oktober 1948 in erster Linie auf die Nutzung dieser Geräte zurück. Ende November mußte man einräumen, daß die TU ihr monatliches Stromkontigent von 35000 Kilowattstunden um etwa 15000 Kilowattstunden überziehen würde. Die Befürchtung, die BEWAG würde nun der TU den Strom abstellten, bewahrheitete sich aber nicht. Die Energieknappheit blieb weiter. Noch im Mai 1949 gab es wegen des Kohlenmangels kein warmes Duschwasser für die Studierenden. STUDENTISCHER ALLTAG Ein weiteres Problem war die Raumnot. Zwar waren 22 von 47 Hörsälen wieder nutzbar, ebenso die Zentralwerkstatt, das Studentenhaus und die Maschinenbauinstitute, aber das Hauptgebäude lag immer noch in Trümmern. Der Lehrplan zwang die Studierenden häufig, von 8.00 bis 18.00 Uhr in der Universität zu bleiben. Wobei die freie Zeit zwischen den Lehrveranstaltungen mangels Zeichen- und Übungsräumen kaum sinnvoll genutzt werden konnte. Besonders gemütlich war es auch nicht: "Die Fenster waren vernagelt, es war manchmal so kalt, daß die Studenten in Mänteln dasaßen", erinnert sich Peter Grunow, damals Student an der TU. Im großen und ganzen ging es für die Studierenden weiter wie bisher. Die Universität war für viele Lebensmittelpunkt. Studierende kannten sich aufgrund der geringen Zahl, das Verhältnis untereinander, aber auch zu den Professoren, war persönlicher. Ein großer Teil der Studierenden kam aus dem Umland und dem Ostteil der Stadt. Etwa 70 Prozent, schätzt Peter Grunow. Nicht wenige finanzierten das Studium durch einem Stipendium. 1948/49 waren von 2860 TU-Studierenden 743 Stipendiaten des Magistrats. Andere bekamen einen Zuschuß von daheim. Oder die Frauen und Mütter arbeiteten, um Lebensunterhalt sowie Studien- und Vorlesungsgebühren bezahlen zu können. Der Rest mußte für sich selber sorgen. MEISTER IM ORGANISIEREN Wer in dieser Zeit überleben wollte, mußte erfinderisch sein. Die Studierenden waren "Meister im Organisieren". Zum Beispiel gab es damals eine florierende Schuhwerkstatt in der Universität. Während der Mittagspause in der alten Mensa übertrugen bzw. kommentierten Studierende die Nachrichten aus dem RIAS. "RTU, Radio TU nannten wir das", schmunzelt Peter Grunow, "so konnte wir unsere Kommilitonen aktuell über die Einschränkungen bei der BVG informieren". HAMSTERFAHRTEN INS UMLAND Beliebt waren die "Hamsterfahrten" ins Umland. Auf dem Schwarzmarkt konnte Schreibzeug oder Papier eingetauscht werden. Alles Lebensnotwendige wie Miete oder Lebensmittel konnte in Ostgeld bezahlt werden. Für Besonderes wurde Westgeld oder Zigaretten verlangt. Nach der zweiten Währungsreform im März 1949 galt im Westteil jedoch nur noch die Westmark als einziges Zahlungsmittel. Beim einem Kurs von 1:4 waren die im Ostteil Wohnenden benachteiligt, für sie wurde schlagartig alles teurer. Die Studierenden protestierten. Daraufhin wurde ein Währungsreferat an der TU geschaffen, wo die im Ostteil wohnenden Studierenden günstig tauschen konnten. Daneben gab es weitere Selbsthilfe- und Sozialeinrichtungen der Studierenden. 1948 wurde der "Verein Studentenhaus" als Sozialwerk der TU gegründet. Später wurde daraus das "Studentenwerk Charlottenburg e. V." Immer wieder trafen Spenden ein. Das Hilfswerk "Rettet Berlin" stiftete der TU-Studentenvertretung Lebensmittel für 600 kranke und unterernährte Studierende zur Verfügung. Doch nicht nur Lebensmittel auch Schreibmaterial wurde zum Beispiel vom schwedischen Roten Kreuz für bedürftige Studierende gespendet.
|
Mitten in die Blockadezeit fiel die 150-Jahr-Feier aus Anlaß der Gründung der Bauakademie, eine der Vorgängereinrichtungen der TU Berlin. Auf der Veranstaltung am 18. März 1949 sprach auch der britische Stadtkommandant General Bourne, links mit Amtskette der Rektor Professor Kurt Apel |
FU STATT "VOLLUNIVERSITÄT" TU Viele Studierenden aus dem Westteil der Stadt gingen auf Distanz zu Kommunisten und deren Symphatisanten. Sie verstanden sich als Vertreter eines kämpferischen idealistischen Antikommunismus. Im Ostteil waren repressive Maßnahmen der Behörden gegen mißliebige und oppositionelle Studierende - die bis hin zu Verhaftungen reichten - an der Tagesordnung. Aus der Kritik an den Verhältnissen an der Humboldt-Universität, die auschließlich den sowjetischen bzw. ostdeutschen Behörden unterstand, entwickelte sich die Idee einer "freien" Universität in Westteil. Anfang 1949 machte die Berliner SPD auf Anregung der sozialdemokratischen Studierendengruppe den Vorschlag, die TU zu einer "Volluniversität" auszubauen. Danach hätte die TU eine juristisch-staatswissenschaftliche, eine philosophische und eine medizinsiche Fakultät erhalten sollen. Die für die TU zuständige Britischen Militäregierung reagierte abweisend. Sie sah zu viele praktische Schwierigkeiten, insbesondere finanzielle. Der Verstoß der amerikanischen Besatzungsmacht zugunsten einer zusätzlichen Universität vom 19. Juni 1946 macht dem SPD-Vorschlag ein Ende, bevor er überhaupt ernsthaft erörtert wurde. Auch die TU-Studentenschaft schloß sich dem Plan einer Universitätsgründung an und beteiligte sich an der Arbeit des vorbereitenden Ausschusses. Die Freie Universität Berlin nahm am 15. November 1948 ihren Betrieb auf. Für Aufsehen sorgte der Fall des TU-Professors Heinrich Franck. Der Chemie-Professor hatte sich durch sein Engagement beim Wiederaufbau der TU und bei der TU-Studienreform Anerkennung verschafft. Als aktives SED-Mitglied und durch seine Tätigkeit als Dozent an der Humboldt-Universität sowie für ostdeutsche Behörden und Einrichtungen geriet er jedoch in die Kritik. Nachdem er 1950 als Leiter der FDGB-Betriebsgruppe der TU Berlin bei der Ostberliner Maikundgebung an der DDR-Staats- und Parteiführung vorbeimarschierte, erhielt er seine Kündigung. Die studentische Vollversammlung der TU begrüßte mit großer Mehrheit die Entfernung von der Hochschule. SED-Mitglieder oder Sympathisanten gab es an der TU sowohl in der Verwaltung als auch unter den Studierenden. "Allerdings wechselten die sehr bald an die Humboldt-Universität oder gingen weg", erinnert sich Gudrun Grunow, damals Sekretärin bei der TU-Studentenschaft. Besser als die Beziehungen zu den kommunistischen Verbänden oder Einrichtungen war das Verhältnis zu der britischen Besatzungsmacht. "Wir erfuhren so einiges von unseren britischen Hochschuloffizieren", verrät Frau Grunow, "Ende März, Anfang April konnten wir aus den Gesprächen mit Hochschuloffizieren erkennen, daß sich die Blockade dem Ende neigt". Wie schnell die Normalität dann wieder einkehrte, zeigte sich an den fallenden Preisen. Ein neuer Satz Reifen für den Dienstwagen des Rektors war schon zu "normalen" Preisen zu bekommen, berichtete die TU Verwaltung im Mai 1949. Am 1. Juni 1949 kehrte ein weiteres Stück "Alltag" ein: die TU Berlin wurde von der Britischen Besatzungsmacht dem West-Berliner Magistrat unterstellt. Christian Hohlfeld FOTOS: Landesbildstelle Berlin, Bildarchiv der TU Berlin © 5/'98 TU-Pressestelle |