TU intern - Mai 1998 - Alumni

Michael Wallmeyer

Der lange Weg in die Apotheke

Wenn Michael Wallmeyer zum Kühlschrank im Keller des Hauses geht, sucht er weder Milch, noch Käse oder Bier. Sein Interesse gilt dann einem Naturstoff. Das ist eine Substanz, die aus Extrakten von Pflanzen, Mikroalgen, Insekten oder Bakterien gewonnen wird, mit dem Ziel, ihre Eignung für neue Medikamente zu untersuchen. Bekanntestes Beispiel für Naturstoffe sind wohl die Antibiotika, Stoffwechselprodukte von Pilzen und Medikamente zur Behandlung von Entzündungen.

Die Kühlschränke des Michael Wallmeyer beherbergen die größte Naturstoffsammlung der Welt. Zu finden sind sie in Hermannswerder in Potsdam, im Keller der Firma Analyticon. Vor mittlerweile 13 Jahren hat Wallmeyer, zusammen mit seinen Kollegen Lutz Müller-Kuhrt und Hubert Suding aus dem Institut für organische Chemie der TU Berlin, das Unternehmen Analyticon gegründet, eine direkte Ausgründung aus der Universität. Heute beschäftigt das Unternehmen rund 150 Mitarbeiter, darunter Pharmazeuten, Ärzte, Chemiker und Biologen. Schwerpunkt der Tätigkeiten sind die Naturstoffe.

"Unsere Arbeit besteht darin", erklärt Wallmeyer, "Naturstoffe verfügbar zu machen, das heißt chemisch definierte Einzelsubstanzen aus der Natur zu gewinnen, sie aus ihren natürlichen Vorkommen zu isolieren und ihre chemische Beschaffenheit aufzuklären". Die Isolierung von Naturstoffen ist der erste Schritt auf einem langen Weg, der vielleicht einmal in einem neuen Medikament endet. Etwa 10 bis 12 Jahre dauert diese Entwicklung. Nach der Isolation eines Naturstoffes wird in Zusammenarbeit mit Kooperationspartnern, wie Pharmakonzerne, Uni-Institute oder Kliniken, geklärt, wie man dessen medizinische Wirkungen testen kann. Sind diese Tests erfolgreich, macht Analyticon sich an die Arbeit, um Stabilität, Haltbarkeit und mögliche Verbesserungen der Substanz systematisch zu prüfen. Mittlerweile hat das Unternehmen acht Substanzen gefunden, die in der Behandlung von krebs- und viruskranken Patienten eingesetzt werden sollen. Sie befinden sich zur Zeit in der vorklinischen Testphase. In zwei Jahren, so hofft Wallmeyer, können die ersten Substanzen an die Pharmaindustrie verkauft werden.

Michael Wallmeyer selbst verbringt seine Tage nicht mehr im Labor. "Ich bin Finanzvorstand der Analyticon AG", sagt er, "zuständig für den gesamten kaufmännischen Apparat, Personal, Recht und Finanzen". Sein Chemiestudium möchte er trotzdem nicht missen. Es war nicht nur Voraussetzung für die erfolgreiche Gründung des Unternehmens, auch die kaufmännische Einschätzung der technischen Vorhaben wird durch Fachkenntnisse erst möglich.

Da sieht er auch deutliche Mängel in der Ausbildung an der Uni. "Man muß schon im Studium lernen, technische Vorhaben nicht nur unter dem Aspekt der Machbarkeit, sondern auch unter kaufmännischen Gesichtspunkten zu beurteilen", sagt Wallmeyer "doch das tut man als forschender Wissenschaftler nicht, nicht in der Vergangenheit und meist auch heute nicht".

Massiven Reformbedarf für die Uni sieht Wallmeyer auch bei der Vernetzung der verschiedenen Fachdisziplinen. "Man muß weg von der tradierten völlig vertikalen Organisationsstruktur, hier die Chemie, da die Biologie oder der Maschinenbau. Das interdisziplinäre, teamorientierte Arbeiten, das Zusammenfinden verschiedener Fachdisziplinen zur Lösung komplexer Probleme, das müßte schon an der Uni anfangen und nicht erst in den Wirtschaftsunternehmen".

Doch es gibt auch Positives zu berichten. Wallmeyer und sein Unternehmen stehen auch heute noch in intensivem Kontakt mit der TU. Es wurden nicht nur viele Absolventen eingestellt, es existieren auch eine Reihe gemeinsamer Forschungs- und Entwicklungsprojekte. In den Jahren 1990 und 1993 konnten zusammen mit Prof. Stahl und Prof. Buchholz zwei Tochterunternehmen gegründet werden.

Den Studierenden von heute rät der gebürtige Spandauer, ruhig auch einmal "links und rechts zu gucken". Da die fachliche Durchlässsigkeit an der Uni oft fehle, müsse man sich eben selbst darum kümmern. Er selbst hat, als Ausgleich zur "trockenen Chmie", noch drei Semester Politologie am Otto-Suhr-Institut der FU Berlin studiert. "Das ließ sich ganz gut vereinbaren", schmunzelt Wallmeyer, "wenn die Chemiker so langsam Feierabend machten, wurden die Politologen gerade erst munter."

Ursula Resch-Esser


© 5/'98 TU-Pressestelle