TU intern - November 1998 - Medien

Herr Kiepert, was wird aus dem Sortimentsbuchhandel?

Das Buch, so scheint es, hat die Einführung der neuen Medien gut überstanden. Doch was wird aus der Branche? Die Verlage und Buchhandlungen stehen vor einer Umstrukturierung
Als eine ”Branche im Umbruch" sahen viele Beobachter der Frankfurter Buchmesse im Oktober dieses Jahres den Buchhandel. Das Buch, so scheint es, hat allen Unkenrufen zum Trotz die Einführung der neuen Medien überstanden. Die Verlage und Buchhandlungen jedoch stehen vor einer Umstrukturierung. Verlage werden aufgekauft, andere steigen in den Internetbuchhandel ein oder tun sich mit Vertriebsfirmen zusammen. Das Buch, so könnte das Fazit lauten, hat überlebt, aber was wird aus der traditionellen Sortimentsbuchhandlung? TU intern sprach mit Andreas Kiepert. Die Buchhandlung Kiepert ist nicht nur eine der traditionsreichsten Buchhandlungen Berlins, sondern als Mitglied der Gesellschaft von Freunden der TU Berlin auch mit unserer Universität verbunden.

Herr Kiepert, der Blick nach Amerika zeigt, daß der online Buchhandel im Kommen ist. Beginnt damit das Ende des klassischen Sortimentsbuchhandels?

Der e-Commerce im Buchhandel entwickelt sich auf niedrigem Niveau zur Zeit kräftig. Dennoch kann das Internet in keiner Weise die Vielfalt und Qualität des Buchangebotes vermitteln. Nicht zuletzt wird nur eine verschwindend geringe Quote der ca. 800000 lieferbaren Titel in deutscher Sprache im Internet beworben. Auch erfordert es nach wie vor eine gewisse Geschicklichkeit und sehr genaue Vorstellungen von dem was gesucht wird, damit die Buchhandels-Internet-Kunden bei der Bibliographie und Bestellung zum Ziel kommen. Die Bedrohung für den klassischen Sortimentbuchhandel liegt nicht im online-Internet oder virtuellen Handel, sondern im starken Anwachsen von Buchhandelsketten, Boulevardbuchhandlungen, Großflächen und dem Vertrieb von Büchern auf Nebenmärkten sowie im immer stärker wachsenden Direkt-Marketing der Verlage.

Die Ereignisse der letzten Monate, wie zum Beispiel der Einstieg von Bertelsmann ins Internetbuchgeschäft oder der Zusammenschluß der Holtzbrinck-Gruppe mit dem Vertriebsgiganten Weltbild, machen den Umbruch in der Branche deutlich. Welche Auswirkungen wird das für Verlage, den Buchhandel und den Leser langfristig haben?

In der Bundesrepublik gibt es etwa 4800 Buchhandlungen, die Filialen und Ketten-Niederlassungen nicht mitgerechnet. Meiner Ansicht nach können die großen Publikumsverlage auf das engmaschige Verteilernetz allgemeiner Sortimentsbuchhandlungen auch in Zukunft nicht verzichten. Die Verlagsbranche ist zur Zeit unter großem Zeit- und Kostendruck. Die Konzentrations- und Rationalisierungsprozesse sollen natürlich zu Synergie- und Einsparungseffekten führen. Die Vielfalt des Angebots auf dem Buchmarkt wird sich verringern. Angebot und Nachfrage werden immer stärker aus immer weniger Verlagshäusern gesteuert.

Wie reagiert der Buchhandel, wie reagieren Sie, auf diese Veränderungen?

Nur größere Buchhandelsunternehmen werden im verstärkten Wettbewerb auf diese Veränderungen reagieren können. Eine der wenigen Möglichkeiten ist hier, die Position am Markt zu verbessern, Einkaufsquoten und Konditionen zu erhöhen. Daneben müssen zukünftig erhebliche finanzielle Mittel für den Marketingbereich aufgebracht werden. Immer weniger Unternehmen des Buchhandels ist es aber möglich, ausreichende Mittel für den werblichen und Investitionsbereich zu erbringen. Insofern stellen sich auch für die Sortimente die Möglichkeiten des ”wirtschaftlichen Arbeitens" als immer schwieriger dar.

Welche Rolle spielt in diesem Zusammenhang die Frage nach der Buchpreisbindung?

Die Buchpreisbindung stellt eine Garantie für den Kunden dar und unterstützt die Vielfalt und hohe Zahl der Unternehmen in der Verlags- und Buchhandelsbranche. Der Wegfall der Buchpreisbindung würde zweifellos zu einem Wettbewerbs- bzw. Konkurrenzkampf über Preisnachlässe führen. In kurzer Frist würden z. B. kleine Sortimente und solche in der Nähe größerer Buchhandlungen um existenzwichtige Anteile ihrer Handelsspanne gebracht werden (diese Entwicklung läßt sich zur Zeit in England sehr gut mitverfolgen). Das deutsche Buchhandelsangebot wird dann, allein wegen der Schließung vieler Läden, ganz erheblich zusammenschrumpfen. Ein solcher negativer Effekt ist meiner Ansicht nach weder unter dem Aspekt des kulturellen Angebots noch für die Lebensqualität in Deutschland wünschenswert.


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