TU intern - November 1998 - Aktuelles
Die ganze Demokratie - oder was kommt nach der Quote?
Der Zeitpunkt hätte günstiger kaum sein können. Pünktlich zum Gerangel um Ministerposten, Fraktionsvorsitz und Frauenquoten erschien unter dem Titel Die ganze Demokratie. Zur Professionalisierung von Frauen für die Politik" das Buch zu einer Studie der TU Berlin, die sich mit Fragen der Durchsetzungskraft von Frauen in der Politik und möglichen Maßnahmen zur Verbesserung ihrer Situation beschäftigt. Prof. Dr. Barbara Schaeffer-Hegel, wissenschaftliche Leiterin des Projektes, und Helga Lukoschat hatten hochrangige Politikerinnen zur Diskussionsrunde in den Bonner Presseclub geladen, um dort die Studie der Öffentlichkeit vor- und den Bezug zum aktuellen Geschehen herzustellen. Über Frauen in der Politik sprach TU intern mit Helga Lukoschat: Frau Lukoschat, Zur Professionalisierung von Frauen für die Politik" lautet der Untertitel ihres Buches. Das klingt ein wenig so, als ob Frauen erst mühsam lernen müßten, was Männer anscheinend schon in die Wiege gelegt wird? Es ist in der Tat so, daß es Männern leichter fällt, sich in der Politik erfolgreich und effizient durchzusetzen. Das hat mit der Wiege relativ wenig zu tun, es ist eine Frage der Erziehung und der Sozialisation, der Selbstbilder und natürlich auch der gesellschaftlichen und kulturellen Muster, die für Männer und Frauen immer noch unterschiedlich sind. Was sagt Ihre Studie dazu? Es gibt verschiedene Gründe, warum Frauen es in der Politik schwerer haben als Männer. Das sind zum Teil innere Barrieren, Frauen halten sich z.B. eher im Hintergrund und arbeiten sehr sachorientiert. Was wir aber für zentraler halten ist die Tatsache, daß Frauen in der Politik mit einer Vielzahl von äußeren Behinderungen konfrontiert sind. Zeitmangel wird als eines der größten Probleme angegeben. Die Dreifachbelastung von Familie, Beruf und Planung eines politischen Engagements, die Frauen bewältigen, verlangt außergewöhnliches Engagement. In unserer Befragung gab nur eine einzige Spitzenpolitikerin an, von einem Hausmann unterstützt zu werden. Da spiegelt sich natürlich ein gesellschaftliches Muster der traditionellen Arbeitsverteilung zwischen Mann und Frau wider. Zurück zur Praxis, fünf Frauen gehören dem Kabinett von Gerhard Schröder an. Das sind mehr als je zuvor. Die Zahl liegt aber auch deutlich unter der in diesen Parteien angestrebten Quote. Sehen Sie darin einen Fortschritt, oder ist das Klassenziel" Quote nicht erreicht? Es ist beides. Es ist mit Sicherheit ein Fortschritt gegenüber allen anderen Kabinetten, die wir in der Bundesrepublik haben. Bis weit in die 80er Jahre hinein stagnierte der Anteil von Frauen um die 10% im Bundestag und stieg erst mit der Quote auf heute rund 30%. Ich glaube es ist auch ein Erfolg, daß über die Frauenmacht in der Politik so stark diskutiert wird. Aber es ist sicher nicht gut genug. Auf der Pressekonferenz wurde auch deutlich, daß es strategische Unterlassungssünden gab bei der Regierungsbildung. Wenn man Personalpolitik machen will, darf man nicht allgemein sagen, jetzt wollen wir die Frauen, sondern man muß ganz gezielt eine bestimmte Person fordern und das ist eine Frau. Die Frauen kamen zu spät und möglicherweise nicht pointiert genug. Heißt das, daß Politik nicht nur eine Frage der Kompetenz, sondern auch eine Frage des Taktierens und der Seilschaften ist? Ja, Frauen legen ungeheuren Wert auf Fachkompetenz, was insofern gut ist, als wir ja auch kompetente Leute in der Politik haben wollen. Aber man muß sich bewußt sein, daß in der Politik auch noch andere Dinge gefordert sind, wie strategische Kompetenzen und Bündnisfähigkeit. Unsere Studie deutet darauf hin, daß man schon ganz früh und in vielen verschiedenen Varianten von der Schule an über die Uni mit Frauen solche Bündnisse einüben muß. Dabei darf man nicht davon ausgehen, daß das einfach deshalb klappt, weil Frauen alle in einem Boot sitzen und sich alle einig sind. Das ist mit Sicherheit falsch, weil Frauen ungeheuer verschieden sind, sowohl politisch als auch in ihren Kompetenzen. Sie können aber in bestimmten Punkten gemeinsame Interessen haben und politisch handeln. Wir brauchen einen nüchternen, aber auch einen politischeren Begriff von Bündnissen. Ein weiteres zentrales Ergebnis unserer Studie ist, daß Frauen mit ihrer ganzen Identität in die Politik gehen. Spitzenpolitikerinnen sagen, daß Politik aber auch eine Bühne ist, auf der man eine bestimmte Rolle spielt. Eine stärkere Trennung zwischen Identität und Rolle in der Politik wäre sicher auch eine große Aufgabe politischer Bildungsarbeit, wenn man Frauen für die Erfordernisse der Politik qualifizieren will. In den vergangenen Wochen wurde auch gefragt, ob die Quote die Frauen zwar in die Politik, nicht aber an die Macht gebracht hat, da sie Eigenschaften wie Bündnisfähigkeit und Konkurrenzkampf nicht fördert? Wenn es um die wirklich großen Macht- und Spitzenpositionen geht, kann man sich nicht auf die Quote verlassen. Vielleicht sind die SPD-Frauen durch die Quote auch ein wenig in einer Sicherheit gewiegt worden, die die Quote nicht gibt. Ich halte die Quote aber nach wie vor für ein sehr wichtiges, demokratisches Regelungselement, da sie dazu geführt hat, daß nun überhaupt rund 100 Frauen im Bundestag vertreten sind. Das ist ein Machtfaktor, an dem Schröder und das Kabinett nicht vorbei können. Aber die Quote reicht nicht aus, deshalb haben wir in unserer Studie gefragt, wo stehen wir nach zehn Jahren Quote und was muß darüber hinaus geschehen. Wir haben zum einen festgestellt, daß das Interesse für Politik bereits sehr früh geweckt werden kann. Alle Spitzenpolitikerinnen haben bereits im Elternhaus Politik als ein Lebensthema erfahren. Eine weitere wichtige Strategie ist der Aufbau einer Mentorbeziehung zwischen erfahrenen Politikerinnen und Frauen, die sich überlegen, neu einzusteigen. Nur ein Fünftel der von uns befragten Politikerinnen hatte einen Mentor. Dabei ist das etwas, was die Parteien ohne größeren Aufwand etablieren könnten. Über die Nachwuchsförderung hinaus sollte es auch für Frauen, die schon in der Politik sind, zielgerichtete und spezifische Weiterbildungsangebote geben. Und es muß die bereits erwähnte Kooperations- und Bündnisfähigkeit der Frauen unterstützt werden. Man muß diesen Mythos der Frauensolidarität ad acta legen. Mythen sind gut für den Anfang einer Entwicklung, weil sie etwas in Bewegung bringen, aber wenn etwas schon etabliert ist, braucht man andere Muster der Zusammenarbeit.
© 11/'98 TU-Pressestelle |