TU intern - Oktober 1998 - Aktuelles

Menschen auf einer Baustelle

Studierende bei den Machern vom Potsdamer Platz

Für Herrn Schroepfer, Betonfahrer, ist der Potsdamer Platz in erster Linie sein Arbeitsplatz
Samstag, 3. Oktober 1998, kurz vor 17 Uhr. Draußen ist es kalt, es regnet. In der U-Bahn herrscht Hochbetrieb. Halb Berlin scheint sich auf den Weg gemacht zu haben zum Potsdamer Platz, wo gestern, fast genau fünf Jahre nach dem ersten Spatenstich, die ”Daimler-City" feierlich eröffnet wurde. Einige von denen, die jetzt dorthin fahren, waren auch im Sommer 1997 auf der größten Baustelle Europas unterwegs: Psychologiestudenten der TU Berlin und Photographen der Hochschule der Künste. Sie waren losgezogen, um im Rahmen eines Studienprojektes die ”Macher vom Potsdamer Platz" kennenzulernen. Heute sind sie wiedergekommen, um die Ergebnisse ihrer Arbeiten der Öffentlichkeit vorzustellen. In der Infobox an der Leipziger Straße eröffnen sie die Ausstellung ”Baustellenmenschen am Potsdamer Platz".

Heiner Legewie vom Institut für Sozialwissenschaften der TU und wissenschaftlicher Leiter erklärt, wie das Studienprojekt zustande kam. ”Am Beispiel des Potsdamer Platzes wollten wir der Frage nachgehen, wie wir in der Stadt der Zukunft leben wollen." Was lag da näher, als einfach die Menschen zu fragen, die in irgendeiner Weise mit dem Potsdamer Platz zu tun haben, sei es als Bauarbeiter, Architekt oder Sanitäter.

”Der erste Eindruck war gewaltig, es war nur dieses riesige Loch da.”

Woher kommen die Menschen, die am Potsdamer Platz arbeiten, wie sehen sie den Platz und welche Hoffnungen und Wünsche verbinden sie mit der Zukunft? Das waren die Fragen der Studierenden. Sie führten Interviews mit Menschen der unterschiedlichsten Berufsgruppen, welche anschließend systematisch per Computer ausgewertet wurden. Die Photographinnen und Photographen der HdK hatten Gelegenheit, die Interviewpartner privat und auf der Baustelle aufzunehmen.

Entstanden ist so ein zeitgeschichtliches Dokument der unterschiedlichsten Biographien, Arbeitswelten und Zukunftserwartungen. Herr Wojatsek zum Beispiel, der als Zimmerer dort arbeitete, war beeindruckt von Europas größter Baustelle: ”Der erste Eindruck war gewaltig, es war nur dieses riesige Loch da, und dann war da die Vorstellung soviel müssen wir noch hochziehen. Und es ist geschafft …". Für Herrn Friedrichs, Bauschlosser aus Herten, ist diese Baustelle nichts besonderes. ”Es ist im Prinzip das gleiche", sagt er, ”ob du hier auf die Baustelle gehst oder in jeder anderen Stadt". Ihm machte vor allem die Trennung von zu Hause zu schaffen. ”Als ich das Wohnlager gesehen habe, hatte ich erst mal einen Schock fürs Leben." An den Wochenenden fuhr er nach Hause, um sich dort zu erholen.

”Als ich das Wohnlager gesehen habe, hatte ich erst mal einen Schock fürs Leben.”

Schwierig war für die Studierenden der Anfang ihres Projektes. Es sei gar nicht so einfach gewesen, Interviewpartner zu finden, berichtete Andreas Taglinger von der HdK und künstlerischer Leiter des Projekts. Die Firmen hätten geblockt und manche Bauarbeiter waren unsicher, sagten nach vorheriger Zustimmung doch wieder ab. Erst nach langem Hin und Her kamen die offiziellen Genehmigungen. Trotzdem, für Jörn Töppers, einer der Psychologiestudierenden, ist das Projekt ein Erfolg. ”Es war eine sehr praktische Arbeit, was an der Uni ja nicht unbedingt üblich ist, und es gab einen Schein für Spaß" - auch das wohl eher die Ausnahme. Die Scheine sind nun verteilt, die Baustelle seit dem 3. Oktober ein gutes Stück kleiner geworden, viele der befragten Arbeiter nach Hause zurückgekehrt. Und der Potsdamer Platz? ”In 20 Jahren sehen wir, ob das Experiment geglückt ist, wie er in Berlin eingewachsen ist …", prophezeit Herr Kohlbecker. Er war als Architekt daran beteiligt.

urs
”Baustellenmenschen am Potsdamer Platz" ist noch bis zum 28. Oktober in der Infobox, Leipziger Platz 21, zu sehen. Öffnungszeiten: 9 bis 19 Uhr (donnerstags bis 21 Uhr), der Eintritt ist frei


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