TU intern - Oktober 1998 - Wissenschaft

Die Natur überlisten

Medizinische, ethische und soziale Dimensionen der Reproduktionsmedizin

Die Befruchtung menschlicher Eizellen in der Petrischale hat sich schnell als Routineverfahren in der Sterilitätsbehandlung durchgesetzt
Vorbei sind die Zeiten, wo die Zeugung eines Kindes ausschließlich etwas mit Lust und Liebe zu tun hatte. Wissenschaftler haben sich daran gemacht, auch die Entstehung menschlichen Lebens in die eigenen Hände zu nehmen. Daß sie dabei erfolgreich waren, hat sich seit Louise Brown, dem ersten ”Baby aus der Retorte", herumgesprochen. Unumstritten sind ihre Arbeiten nicht. Was den einen die Erfüllung des langgehegten Kinderwunsches verspricht, betrachten andere schlicht als ”dem lieben Gott ins Handwerk gepfuscht". Trotz aller Diskussionen: die Reproduktionsmedizin, so der nüchterne Name der entsprechenden Fachrichtung, hat sich weiterentwickelt. Ein neues Verfahren ist die ”Intrazytoplasmatische Spermieninjektion", kurz ICSI, bei der eine Samenzelle in die Eizelle injiziert wird. An der TU Berlin beschäftigen sich Wissenschaftlerinnen in einem DFG-geförderten, interdisziplinären Forschungsprojekt unter Leitung von Prof. Dr. Renate Fuchs vom Institut für Ökologie und Biologie mit dieser Thematik.

Nachdem die erfolgreiche Befruchtung menschlicher Eizellen in der Petrischale, die In-Vitro-Fertilisation (IVF), erstmals vor 20 Jahren erfolgreich durchgeführt wurde, hat sie sich weltweit schnell als Routineverfahren in der Sterilitätsbehandlung durchgesetzt. Dabei wird durch eine hormonelle Vorbehandlung der Frau zunächst die Entwicklung von mehr als einer Eizelle stimuliert. Nach deren Punktion werden die Eizellen in einer Petrischale mit Spermien zusammengebracht, um so eine Verschmelzung zu ermöglichen. Nachdem die IVF anfänglich für Frauen mit undurchlässigen Eileitern gedacht war, kommt das Verfahren mittlerweile auch dann zum Einsatz, wenn Unfuchtbarkeit beim Mann vorliegt. Dies ermöglicht die Kombination mit ICSI, einer Technik, bei der eine einzelne Samenzelle in die Eizelle injiziert wird. Die Samenzellen sind entweder frischem Ejakulat oder, in besonders gravierenden Fällen der Unfruchtbarkeit, operativ den Hoden bzw. Nebenhoden des Mannes entnommen. Die Natur wird so quasi überlistet, da auch solche Samenzellen zum Einsatz kommen, die aus ”eigener Kraft" die Eihülle nicht durchdringen könnten, etwa weil sie unreif oder zu wenig beweglich sind. Diese künstliche Überwindung der Barriere, welche die Eihülle darstellt, wird von vielen als Manipulation empfunden, bis vor wenigen Jahren selbst im Kreise der IVF-Arbeitsgruppen.

NICHT OHNE RISIKEN

Ohne Risiken ist das Verfahren nicht. Neben den gesundheitlichen Risiken der IVF für die Frau, bestehen durch die ICSI-Methode weitere Risiken für das Kind. Solche ergeben sich zum einen aus der Methode selbst, es existiert zum Beispiel die Gefahr der Verletzung der Keimzellen. Zum anderen können einige spezifische Erbkrankheiten weitergegeben werden, da ja Samenzellen mit genetischen Abweichungen zur Befruchtung gelangen, deren Träger sonst unfruchtbar sind.

Um künftig genetischen Risiken zu begegnen, hat die Medizin ein Verfahren entwickelt, das es erlaubt, den Embryo bereits vor seiner Einpflanzung in die Gebärmutter auf solche Erkrankungen hin zu testen. Liefern die Tests Hinweise auf eine Krankheit, wird der Embryo nicht eingepflanzt. Diese Präimplantationsdiagnostik wird bereits in verschiedenen Ländern praktiziert. Vertreter der Reproduktionsmedizin in Deutschland streben sie, trotz noch bestehender rechtlicher Grenzen wie dem Embryonenschutzgesetz, an. Neben den medizinischen Bedenken, ob bei der Diagnose der Embryo durch die Zellentnahme geschädigt werden könnte, werden in diesem Kontext vor allem Machbarkeitsvorstellungen und Probleme der besonders in Deutschland sensiblen Debatte von ”wertem und unwertem Leben" angesprochen.

Der Anwendungspraxis von lCSI und den Perspektiven der Präimplantationsdiagnostik in Deutschland gilt das Interesse unserer Forschungsgruppe. In einer zweijährigen Studie soll herausgefunden werden, inwieweit die oben genannten Risiken von Arzt und Patientinnen wahrgenommen werden.

ETHISCHE UND SOZIALE DIMENSIONEN

Durch Interviews mit Experten, Reproduktionsmedizinern und Paaren vor und nach dem Behandlungsprozeß soll herausgefunden werden, wie beide Seiten damit umgehen. Darüber hinaus soll die Anwendung dieser neuen reproduktionsmedizinischer Methoden im Hinblick auf medizinische, rechtliche, ethische, politische und soziale Dimensionen untersucht werden. Wissenschaftlerinnen aus Medizin, Medizinsoziologie und Politologie werden gemeinsam diesen Fragen nachgehen. Die Arbeiten knüpfen an die mittlerweile veröffentlichten Ergebnisse vorangegangener Projekte zur Reproduktionsmedizin sowie zu Fragen der Versorgung während Schwangerschaft und Geburt im Rahmen der Public Health Forschung an.

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