TU intern - Oktober 1998 - Aktuelles

Der Crashtest und die Zukunft des Automobils

”Zu Beginn der siebziger Jahre wurden dreimal mehr Menschen im Straßenverkehr getötet als heute"

26 Jahre lehrte und forschte Hermann Appel als Professor des Fachgebietes Kraftfahrzeuge an der TU Berlin. Schwerpunkte seiner Arbeit waren die Unfallforschung, Fahrzeugsicherheit und Schadstoffreduktion. Ende September verabschiedete er sich von der TU Berlin, standesgemäß mit einem Crashtest. TU intern nahm dies zum Anlaß, um mit dem ”Papst der Fahrzeugsicherheit" über die Gefahren im Straßenverkehr und die Zukunft des Autos zu sprechen.

Herr Appel, wohl jeder kennt die beeindruckenden Bilder der bei Crashtests zerstörten Autos. Welche Verbesserungen in der Sicherheit der Autofahrer sind direkt auf den Crashtest zurückzuführen und wie lange wird uns der Crashtest noch erhalten bleiben, in einer Zeit, in der nahezu alles per Computer berechnet und simuliert werden kann?

Zu Beginn der siebziger Jahre wurden dreimal mehr Menschen im Straßenverkehr getötet als heute. In dieser Zeit begannen gezielte Unfalluntersuchungen, um daraus Forderungen an die Automobilindustrie abzuleiten. Die gefährlichen, steifen Lenkspieße wurden durch nachgiebige Lenksäulen ersetzt, die beim Seitenaufprall und Überschlag sich selbst öffnenden Türen wurden mit crashsicheren Schließungen versehen, der Fahrzeugvorbau wurde nicht mehr steif, sondern nachgiebig gehalten, die Fahrgastzelle durfte nicht zusammenbrechen, Brandgefahr wurde minimiert, der Innenraum entschärft und der Sicherheitsgurt eingeführt. All diese Maßnahmen konnten nur durch Crashtests erprobt, bewertet und überprüft werden. Im Prinzip hat sich daran bis heute nichts geändert. Mit Hilfe des Rechners gelingt es zwar, schon in der frühen Entwicklungsphase die Vorauslegung der Automobile relativ genau zu gestalten und Varianten zu vergleichen. Die endgültige Überprüfung bleibt aber dem realen Crashversuch vorbehalten.

Nach den Sicherheitsgurten soll der Airbag die Insassen eines Autos vor Verletzungen schützen. Sein Einsatz für Beifahrer ist heute umstritten. Was sagt die Wissenschaft zum Einsatz des Airbags?

Der Airbag selbst hat tatsächlich in der Vergangenheit in Einzelfällen zu schweren und auch tödlichen Verletzungen geführt. Dies geschah immer dann, wenn sich der Insasse beim explosionsartigen Austritt des Luftsacks aus der Abdeckung direkt mit dem Kopf vor der Abdeckung befand. Direkt heißt ca. 5 cm und weniger. Besonders nichtangegurtete Beifahrer oder Kinder in Sitzen, die direkt vor der Armaturentafel montiert sind, sind deshalb gefährdet. Die Industrie arbeitet an sogenannten adaptiven Airbags, die eine Gefährdung auch für Haltungen, die von der normalen Sitzposition abweichen, ausschließen, dann allerdings unter Verzicht auf die hohe Schutzwirkung des Airbags.

Sie haben sich auch mit der Sicherheit der Menschen außerhalb des Autos, wie Fußgänger und Radfahrer, beschäftigt, die einen großen Teil der Verkehrstoten in Deutschland ausmachen. Inwieweit ist es überhaupt möglich, bei der Konstruktion eines Autos etwas für die Sicherheit der Menschen außerhalb zu tun? Welche dieser Möglichkeiten werden heute von der Autoindustrie tatsächlich berücksichtigt?

Gegenüber früheren Zeiten, als die Pkw eckige Formen und messerscharfe Haubenvorderkanten aufwiesen, hat sich beim Schutz der ”äußeren Verkehrsteilnehmer" viel verbessert. Heute haben Personenkraftwagen glatte, abweisende Formen, die Scheibenwischer sind durch die Fronthaube abgedeckt, die Frontscheibe besteht aus Verbundglas. Begünstigt durch das Streben nach geringem Luftwiderstand hat sich, bezogen auf die Kollision mit Fußgängern oder Radfahrern, der ”Formschutz" deutlich verbessert, der ”Nachgiebigkeitsschutz" steht noch aus. Einige Zentimeter Deformationsweg im Fronthauben und -scheibenbereich würden viel helfen. Entsprechende gesetzliche Vorschriften sind in Vorbereitung.

Stichwort Partnerschutz. Fahrzeuge, die auch bei hohen Geschwindigkeiten für ihre Insassen sicher sind, können besonders für kleinere Verkehrsgegner zur Gefahr werden, da sie diese, ähnlich einem Panzer, einfach ”platt" fahren. Verkehrt sich hier die Absicht nicht in ihr Gegenteil?

Der Trend zu immer höheren Aufprallgeschwindigkeiten beim Crashtest (jetzt bald 64 km/h) führt in der Tat zu steiferen großen Pkw, die bei Kollisionen mit kleineren Pkw aggressiv wirken und bei diesen die gefährlichen ”Intrusionen", d. h. Eindringen von Massen in den Fahrgastraum, bewirken. Es wird unter den Beteiligten nach dem richtigen Kompromiß zwischen Selbstschutz und Partnerschutz gerungen. 64km/h als Testgeschwindigkeit gegen eine deformierbare Barriere dürften bereits zu hoch sein.

Das Auto ist den einen Sinnbild für selbstbestimmtes Leben und Freizügigkeit, den anderen ist es eine Gefahr für Umwelt und Mitmenschen, wie sehen sie die Zukunft des Autos ?

Die Zukunft des Automobils liegt auf absehbare Zeit in seinem Einsatz als Komponente im Gesamtverkehrssystem. Wie kein anderes Verkehrsmittel ist es anpassungsfähig an veränderte äußere Bedingungen, kommt es den individuellen Bedürfnissen der Menschen entgegen und ermöglicht Arbeitsteilung und Wohlstand. Durch sein massenhaftes Auftreten bedeutet es andererseits Gefährdung, Umweltbelastung, Flächenverbrauch, Belästigung. Einerseits ist an der ständigen Verbesserung der Automobiltechnik zu arbeiten. Andererseits muß das Auto der Zukunft sinnvoll mit den anderen unverzichtbaren Verkehrsträgern verknüpft werden. Die Verkehrspolitik und andere Einflußbereiche können hier viel bewirken, das meiste wird jedoch vom individuellen Verhalten des Einzelnen und von seinem Umgang mit dem Auto abhängen.


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