TU intern - Oktober 1998 - Aktuelles

Revolutionär oder reaktionär?

Studenten während der Novemberrevolution 1918

Straße ”Unter den Linden" eine Stunde nach Erklärung der Republik in Berlin am 9. November 1918
Achtzig Jahre ist es her, seit der Erste Weltkrieg endete und in Deutschland die Novemberrevolution ausbrach. Die regierungsfeindlichen Kräfte - Arbeiter und Soldaten - gingen auf die Straße und kämpften gegen die reaktionären kaisertreuen Truppen. Auf welchen Seiten standen die Studenten? Schlossen sie sich, wie schon 1848, der Revolution an, oder waren sie eher revolutionsfeindlich?

Aus Meutereien bei der Hochseeflotte entwickelt sich in Deutschland ab Ende Oktober 1918 die Novemberrevolution, die am 9. 11. 1918 zur Abdankung Kaiser Wilhelms II. führt. Radikale sozialistische Gruppen der Arbeiterschaft und der Streitkräfte forderten eine neue Regierung, wobei Berlin zum Brennpunkt der Revolutionsereignisse wurde. Der Sozialdemokrat Philipp Scheidemann ruft aus einem Reichstagsfenster die Republik aus. Zur gleichen Zeit gehen hunderttausende Berliner, unter ihnen Arbeiter und Soldaten, auf die Straße, um in Generalstreik zu treten und sich zum bewaffneten Aufstand zu erheben: Bewaffnete Gruppen besetzen Rathaus, Polizeipräsidium, Haupttelegraphenamt, Zeitungsverlage, Reichstag und Bahnhöfe und befreien etwa 650 politisch Gefangene aus den Gefängnissen. Die Revolutionäre fordern die ”freie sozialistische Republik Deutschland", wie Karl Liebknecht unter begeisterter Zustimmung der Massen vor dem kaiserlichen Schloß ausruft.

Auf welcher Seite standen damals die Studenten? Ihre Beteiligung an den regierungsfeindlichen Aufständen war wohl eher die Ausnahme. ”Die Revolution von 1918 war im Vergleich zu 1848 eine Revolution ohne Studenten", konstatiert der Historiker Konrad H. Jarausch. ”Sie sind kollektiv kaum und individuell nur selten in Erscheinung getreten". Die Mehrheit der Studenten sei monarchistisch und nationalistisch geprägt gewesen. Diese seien ”durch den Umsturz völlig aus der Bahn geschleudert" geworden. Viele traten auf die Seite der kaisertreuen Regierungstruppen, die gegen die Revolutionäre kämpften. Als Zeitfreiwillige sammelten sie sich in den Studentenwehren oder strömten in die Freikorps, um vor allem kommunistische Unruhen niederzuschlagen.

Dr. Reinhard Rürup, Professor für Neuere Geschichte an der TU Berlin, erklärt die Passivität der Studenten bei der Revolution ähnlich: ”Allgemein waren die Studenten nicht revolutionsfreundlich. Sie entstammten überwiegend dem bürgerlichen Milieu und waren durch die Erziehung des Wilhelminischen Deutschlands sozialisiert. Insgesamt gesehen standen die Studenten politisch eher rechts als links."

Daß Studenten in dieser Zeit fest an den Militärapparat des Wilhelminischen Deutschlands gebunden waren, zeigt folgender Umstand: Ein Großteil der Studierenden wurde im Kriegsdienst eingesetzt. Im Zuge der allgemeinen Kriegsbegeisterung und aus patriotischer Überzeugung meldeten sie sich oft freiwillig zur Front. Am Beispiel der Technischen Hochschule Berlin, dem Vorläufereinrichtung der TU Berlin, wird dies deutlich: Rund 70 Prozent der Studierenden konnten nicht am Hochschulbetrieb teilnehmen, da sie den Kriegsdienst leisteten. Auch nach Ende des Krieges war das militärisch-nationale Denken der Kaiserzeit - obwohl eine demokratische Republik geschaffen wurde - noch vorhanden. 1919 verlieh die TH Berlin Generalfeldmarschall Hindenburg, der im Ersten Weltkrieg die Führung der Obersten Heeresleitung übernahm, ”in bewundernder Würdigung seiner unvergänglichen Verdienste (…)", die Ehrenpromotion. Die gleiche Ehre wurde 1924 Admiral Scheer, ”dem Sieger in der Seeschlacht am Skagerrak", zuteil, der ebenfalls von der TH ausgezeichnet wurde.

Gian Hessami


© 10/'98 TU-Pressestelle