TU intern - April 1999 - Aktuelles

"Opposition selbst backen?"

Zum Rechenschaftsbericht des Präsidenten der TU Berlin

Am 25. März war im Konzil der Universität der Rechenschaftsbericht des Präsidenten für die ersten anderthalb Jahre seiner Amtszeit zu verhandeln. Die Vorlage eines Rechenschaftsberichtes ist im Hochschulgesetz vorgesehen. Wie er aussehen soll sagt das Gesetz nicht. Aber aus der Tatsache, daß er im Konzil zu beraten ist, darf man als allgemeines Qualitätskriterium entnehmen: Er soll tauglich sein als eine Grundlage für eine umfassende Diskussion der Lage der Universität und der aus ihr notwendig folgenden Politik. Was daraus konkret für seine Anlage folgt, bestimmt sich (jedenfalls auch) nach dieser Lage.

Entsprechend bezieht sich der vorliegende Rechenschaftsbericht 1997/1998 auf den Umgestaltungsprozess, dem sich diese Universität gegenwärtig unterzieht - gezwungenermaßen einerseits - nach selbstgesetzten strukturellen und inhaltlich-qualitativen Zielen andererseits. Zwölf strategische Projekte der Strukturreform werden in ihrer Zielsetzung wie ihrem bisherigen Verlauf mit einiger Ausführlichkeit dargestellt: Strukturplan, Verwaltungsreform, Budgetierung, teilautonomer Dienstleistungsbereich WTB, Neustrukturierung der IuK-Dienste, Kennzahlen zur Mittelzuweisung, Akkreditierungsverbund für Ingenieurstudiengänge, Öko-Audit, Gründer-Initiative, Center für Wandel- und Wissensmanagement, Studierendenbefragung, Alumnibetreuung.

Zugleich dokumentiert der Bericht, daß und wie das Leben im Umbruch weitergeht, und zwar erfolgreich. Im Teil Forschung werden die Drittmittel-Erfolge analysiert. Es werden die drei im Berichtszeitraum an der Universität neu eingerichteten Sonderforschungsbereiche vorgestellt. Es werden die "Forschergruppen" und Graduiertenkollegs an der Universität wie die Beteiligung von Wissenschaftlern der Universität an Sonderforschungsbereichen, Forschergruppen und Graduiertenkollegs anderer Hochschulen dargestellt. Einen breiten Raum nimmt die Darstellung der vorhandenen und in Bildung begriffenen Forschungsschwerpunkte der Universität ein. Der Zusammenhang dieser Schwerpunkte mit der Landespolitik wird ebenso reflektiert wie das inneruniversitäre Instrumentarium der Forschungsförderung.

Im Bereich Lehre dokumentiert der Bericht die Entwicklung der Studierendenzahlen in einer so bisher noch nicht praktizierten Detailliertheit. Für die natur- und ingenieurwissenschaftlichen Bereiche werden Vergleiche mit den bundesweiten Entwicklungstrends hergestellt. Die Zahlen belegen: Die Entwicklung hebt sich im ganzen nicht grundsätzlich vom bundesweiten Trend ab.

KEINE INHALTLICHE DISKUSSION

In einzelnen Bereichen der Universität sind jedoch deutlich negativere Entwicklungen der Studierendenzahlen zu verzeichnen, so in den Naturwissenschaften generell, in den Ingenieurwissenschaften bei der Elektrotechnik. Der Bericht stellt die verschiedenen im Berichtszeitraum ergriffenen Initiativen zur Verbesserung der Situation der Lehre dar. Stichworte hierzu: Leitlinien für Studien- und Prüfungsordnungen, Studienreformprojekte, überfachliche Studienanteile, Multimedia in der Lehre, Studienbüros, Allgemeine Studienberatung, Lehrevaluation, "Champion in der Lehre", Indikatoren zur Leistungsbemessung, Internationalisierung des Studiums …

Reichlich Stoff für eine Diskussion im Konzil - könnte man meinen. Reichlich Angriffsfläche für eine kritische "Opposition", der es darum geht, Fehler im Konzept oder in der Umsetzung nachzuweisen und eigene alternative programmatische Ziele zu akzentuieren! Tatsächlich verlief die Diskussion - wieder einmal - anders.

KRITIK AN ÄUSSERLICHKEITEN

Zu keinem der vorstehend benannten Themen wurde inhaltlich diskutiert. Die - reichlich geäußerte - Kritik bezog sich beinahe ausschließlich auf Äußerliches des Berichtes selbst. Die Erregung über eine nicht bis in alle Konsequenzen durchgehaltene geschlechtsneutrale bzw. bisexuelle Schreibweise von Substantiva vermochte bald eine halbe Stunde auszufüllen und darf - ohne besondere Bosheit - vielleicht doch als charakterisierend für die ganze Diskussion verstanden werden: Gerügt wurde, daß der Bericht Daten und ihre Interpretation nicht deutlich voneinander trenne. Zugleich wurde die faktizistische Darstellung bestimmter Zusammenhänge gerügt und mehr Wertung gefordert: Zur Belastung der Mitarbeiter, zum Unrecht an den Frauen, zur glänzenden Bewährung des Tutorenmodells, zur "richtigen" Interpretation von Drittmittelerfolgen einzelner Fachbereiche, zum absehbaren Kollabieren der Lehre im Ergebnis der Sparmaßnahmen etc.

Gerügt wurde auch das Fehlen einer Berichterstattung über "wichtige Bereiche"; ausdrücklich genannt: Außenvertretung der TU durch den Präsidenten, Situation der Tutorien, dezentrale Studienfachberatung, interne Weiterbildung, "Arbeitsstelle sozial-, kultur- und erziehungswissenschaftliche Frauenforschung".

Eine scheinbare Ausnahme von der sonst umfassenden Enthaltsamkeit gegenüber inhaltlichen Fragen stellten die Bemerkungen zur Leistungsbemessung in der Lehre da: "Die Reformfraktion sieht die Schwierigkeiten bei der Erstellung geeigneter Kriterien …" heißt es in einer Protokollerklärung. Über diese Schwierigkeiten diskutiert wurde nicht. Der fragliche Satz der Protokollerklärung geht wie folgt weiter: "(die Reformfraktion) hält es aber für eine zentrale Aufgabe des Präsidenten, diese Kriterien im Rechenschaftsbericht aufzulisten und die Weiterentwicklung der Kriterienkataloge voranzutreiben". Sollte es nicht auch Aufgabe eines Gremiums wie des Konzils sein, über ein derart zentrales Thema wenigstens ansatzweise zu diskutieren?

WO BLEIBT DIE OPPOSITION

Zwei Schlußfolgerungen aus dem Verlauf der Konzilsdiskussion drängen sich auf:

Die erste: Es gibt in der Universität gegenwärtig keine sich substantiell artikulierende Opposition gegen den hochschulpolitischen Kurs der Universitätsleitung. Da aber jede Regierung, um der Gefahr größenwahnsinnig zu werden, nicht zu erliegen, einer Opposition bedarf, fragt sich, ob diese Universitätsleitung sich auch noch ihre Opposition selbst backen muß. Möglicherweise wäre selbst sie damit überfordert.

Die zweite: Eine Institution, die inhaltliche Auseinandersetzungen nicht mehr zu transportieren vermag, ist tot.

Wie geht es weiter? Der Rechenschaftsbericht des Präsidenten jedenfalls wird in gedruckter Fassung in diesen Tagen ausgeliefert. Einzelne Anregungen und Hinweise aus der Konzilsdiskussion sind in dieser Fassung berücksichtigt worden. Für die gendermäßig korrekte Schreibweise kann trotz entsprechender Bemühungen immer noch keine Haftung übernommen werden.

Karl Schwarz


© 4/'99 TU-Pressestelle