TU intern - April 1999 - Alumni
Nur Kollegen …

Dorothea Wagner

Nein, Professorin zu werden, das hatte sie sich eigentlich nicht vorgenommen. Zu Anfang ihres Studiums war das Diplom das Ziel ihrer Wünsche. Vielleicht gab es da ein klein wenig den Traum vom Doktortitel, aber Professorin … nein. "Diesen Plan hatte ich zu Beginn meines Studiums gewiß nicht, ganz im Gegenteil, das war etwas, das weit, weit weg war" erklärt Dorothea Wagner. Doch dann kam alles ganz anders. Schritt für Schritt nahm die wissenschaftliche Karriere ihren Lauf. Nach Abschluß der Diplomarbeit an der RWTH Aachen bot der betreuende Professor ihr eine Promotionsstelle an. Dorothea Wagner akzeptierte, im Glauben, nach Abschluß der Promotion die Uni zu verlassen und in die Industrie zu gehen. Doch wieder hatte sie sich geirrt. Sie blieb an der Uni und entschloß sich zur Habilitation. Mit diesem Schritt, so sagt Dorothea Wagner rückblickend, sei aus dem vagen Traum vom Doktortitel tatsächlich der Plan entstanden, Professorin zu werden.

1988 wechselte Dorothea Wagner an die TU Berlin zur Arbeitsgruppe "Algorithmische Diskrete Mathematik" von Prof. Dr. Rolf Möhring. Dort beendet sie 1992 im Rahmen des C1/C2-Programmes zur Förderung von Frauen in den Wissenschaften ihre Habilitation. Zwei Jahre später, im Sommersemester 1994, folgt sie einem Ruf an die Universität Konstanz. Die gebürtige Triererin nimmt die Herausforderung an, dort einen neuen Lehrstuhl für Praktische Informatik aufzubauen. Sie gehört damit nicht nur zu den wenigen Frauen, die in Deutschland eine C4-Professur innehaben, sondern mit 36 Jahren wohl auch zu den Jüngsten, die eine solche Position antreten. Mittlerweile besteht ihre Forschungsgruppe aus rund 20 Mitarbeitern, darunter drei Doktorandinnen, ein Doktorand, sechs Diplomanden und Diplomandinnen, ein habilitierter Mitarbeiter sowie weitere studentische Hilfskräfte.

Der wissenschaftliche Schwerpunkt ihrer Arbeiten liegt, allgemein gesprochen, in der Optimierung von Problemen, die in irgendeiner Weise strukturiert sind, denen also ein Netzwerk zugrunde liegt. Konkret geht es zum Beispiel um die Verarbeitung von Bahnverkehrsdaten. "Die Fahrpläne der Bahn sind in dem Sinne strukturiert, daß den danach verkehrenden Zügen ein Schienennetz zugrunde liegt", erklärt Dorothea Wagner. Auch wenn nach ihrer Meinung die Fahrplanauskunft der Bahn schon "sehr gut" ist, gibt es noch viel zu optimieren. So steigt beispielsweise der Datenumfang, wenn die Auskünfte sich nicht nur auf Verbindungen innerhalb Deutschlands beziehen, sondern auch für ganz Europa gelten sollen, oder wenn der Kunde Zusatzinformationen wünscht. Doch Dorothea Wagner beschäftigt sich nicht ausschließlich mit Bahnverbindungen. Sie arbeitet zum Beispiel auch mit Kollegen aus den Politikwissenschaften zusammen, wo es um die Visualisierung sozialer Netzwerke geht. Im Bereich des CAD (computer aided design) dienen Gitterliniennetze als Gerüst, mit dessen Hilfe die Form neuer Maschinen-Bauteile berechnet werden kann.

Obwohl Dorothea Wagner in ihrer Fakultät die einzige Professorin ist, fühlt sie sich fachlich anerkannt. "Vom ersten Tag an bin ich in dieser Fakultät sehr gut aufgenommen worden", berichtet sie und verweist darauf, daß das zu Beginn ihrer Karriere nicht immer der Fall war. "Damals bin ich als Nachwuchswissenschaftlerin keineswegs immer so ernst genommen worden, wie es eigentlich angebracht gewesen wäre" sagt sie heute.

Schwierigkeiten mit den Kollegen kann es aber auch jetzt noch geben. Nämlich dann, wenn Dorothea Wagner in ihrem "Zweitjob" unterwegs ist, als Frauenbeauftragte der Universität Konstanz. Wenn es um die Umsetzung der Frauenförderpläne oder die Schaffung von Anreizsystemen zur Förderung von Frauen in der Wissenschaft geht. Anders als in Berlin sieht das Universitätsgesetz in Baden-Württemberg vor, daß die Frauenbeauftragte eine Professorin ist. Das hält Wagner für sehr wichtig und sinnvoll. "Es ist ein Riesenunterschied, wer diese Arbeit macht", kommentiert sie und berichtet von einer Kollegin, die "nur" eine C2-Stelle hatte. Für sie war es wesentlich schwieriger, sich gegenüber ihren Kollegen durchzusetzen. Das C1/C2-Programm zur Förderung von Frauen in den Wissenschaften, aus dem auch ihre Stelle an der TU Berlin finanziert wurde, hält sie für ein wirksames Förderinstrument. "Ich denke, daß damals die überwiegende Mehrheit der Wissenschaftlerinnen ohne dieses Programm nicht problemlos eine Stelle bekommen hätte." Die Gefahr des "Zugewinns" lasse sich aber wohl kaum verhindern. Damit meint Dorothea Wagner die Tatsache, daß Frauen aus solchen Förderprogrammen finanziert werden, während die Planstellen dann doch wieder Männern zugute kommen.

Ein Grund dafür, daß Frauen in den höheren Positionen der Wissenschaft weniger präsent sind als Männer, ist Professorin Wagner mittlerweile klar geworden. "Frauen betreiben ihre Zukunftswünsche und Berufsvorstellungen weniger offensiv. Zum Beispiel fragen sie Professoren nicht direkt nach einer Promotionsstelle. Das machen die Männer, die Frauen machen das so gut wie nicht."

Ursula Resch-Esser


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