TU intern - April 1999 - Aktuelles

Lärm, eine unterschätzte Gefahr?

"Lärm gefährdet das Herz-Kreislaufsystem, aber es mehren sich die Hinweise, daß auch das Immunsystem beeinflußt wird"
Christian Maschke

Wer glaubt, daß Lärm nur den Ohren schadet, irrt gewaltig. Neben einer Beeinträchtigung des Hörsystems bis hin zum Hörverlust kann Lärm noch andere gesundheitsschädigende Effekte, die sogenannten extraauralen Wirkungen, hervorrufen. In verschiedenen Studien haben Wissenschaftler herausgefunden, daß andauernde Lärmbelastung zu Herz-Kreislauferkrankungen führen und das Risiko, einen Herzinfarkt zu erleiden, signifikant erhöhen kann. TU intern sprach mit Dr. Christian Maschke über lärmbedingte Gesundheitsgefahren. Christian Maschke arbeitet am Robert-Koch-Institut und lehrt als Privatdozent am Institut für Technische Akustik der TU Berlin im Fachgebiet für physiologische und psychologische Akustik.

Herr Maschke, was ist Lärm?

Lärm ist Schall, der unerwünscht ist, oder der zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen führt.

Es gibt zwar Grenzwerte, die Hörschäden und Gesundheitsbeeinträchtigungen durch extraaurale Wirkungen vorbeugen sollen, aber bei letzteren hängt die Beeinträchtigung der jeweiligen Person stark von deren subjektiver Bewertung ab. Ein Schutz jedes Einzelnen durch Grenzwerte ist daher nicht möglich. Wenn man zum Beispiel nach Hause kommt und sich laut seine Lieblingsmusik anhört, kann das durchaus eine positive Wirkung haben. Der Nachbar, der vielleicht gerade geistig arbeiten will, wird jedoch genau dieses Geräusch als Lärm empfinden und sich belästigt fühlen. Eine andauernde Belästigung des Nachbarn stellt dann eine Gesundheitsgefährdung dar.

Durch welche Geräusche fühlen die Menschen sich am meisten beeinträchtigt?

Jährlich durchgeführte Befragungen zeigen, daß dies der Straßenverkehrslärm ist. In den neuen Bundesländern geben bis zu 80 Prozent der Personen an, durch den Verkehrslärm beeinträchtigt oder stark beeinträchtigt zu sein. In den westlichen Bundesländern liegt die Zahl etwas darunter, aber immer noch weit über 50 Prozent.

Inwieweit wirkt sich dieser Lärm auf die Gesundheit aus?

Wir wissen heute, daß insbesondere das Herz-Kreislaufsystem gefährdet ist, aber es mehren sich die Hinweise, daß auch das Immunsystem beeinflußt wird, d. h. daß durch die dauernde Belärmung die Abwehrmechanismen des Körpers geschwächt werden. Diese Ergebnisse sind allerdings noch in der wissenschaftlichen Diskussion, sie sind aber nicht auszuschließen.

2700 Lärmtote soll es pro Jahr in Deutschland geben. Wie kommt diese Zahl zustande?

Diese Zahl bezieht sich auf Ergebnisse epidemologischer Untersuchungen. Dort sind Herzkrankheiten in Abhängigkeit vom Verkehrslärmpegel untersucht worden. Man hat beispielsweise festgestellt, daß bei Lärm von 65 Dezibel an der Wohnadresse das Risiko, an Herz-Kreislaufstörungen zu erkranken, um 20 Prozent höher ist, als in einer Kontrollgruppe, die mit 50-55 Dezibel belastet war. Aus diesem erhöhten Risiko kann man eine Anzahl an lärmbedingten Todesfällen berechnen. Diese Zahl sagt allerdings wenig darüber aus, wie viele Lebensjahre die Betroffenen durch den Lärm verloren haben. Eine verläßliche Angabe darüber ist zur Zeit noch nicht möglich.

Wie kann man verstehen, daß Lärm Herz und Kreislauf belastet?

Durch den Lärm findet eine Aktivierung statt, die zur verstärkten Ausschüttung von Streßhormonen führt, unter anderem Adrenalin und Kortisol. Eine kurzfristig erhöhte Streßhormonausschüttung ist in bestimmten Situationen durchaus sinnvoll. Kommt es aber zu einer langfristig erhöhten Kortisolproduktion, sind damit auch negative Effekte verbunden. Ein Beispiel ist die vermehrte Einlagerung an Fett. Das wiederum ist ein Risikofaktor für Bluthochdruck und dieser erhöht wiederum die Gefahr für Arteriosklerose oder Herzinfarkt. So entsteht eine Reaktionskette vom Lärm bis hin zu den Herz- Kreislauferkrankungen.

Kann man sich denn auf Dauer nicht an den Lärm gewöhnen?

Subjektiv ist das unter Umständen möglich, physiologisch nicht. Auch bei langandauernder Lärmbelastung produziert der Körper zu viele Steßhormone.

Wie lange muß eine Lärmbelastung vorliegen, daß mit ernsthaften Gesundheitsschäden zu rechnen ist?

Das hängt stark von der individuellen Konstitution ab. Das Umweltbundesamt geht heute davon aus, daß ein Verkehrslärmpegel von 65 Dezibel oder höher am Tag als Grenze für eine Gesundheitsgefährdung anzusehen ist. Untersuchungen zeigen aber, daß Latenzzeiten von etwa fünf bis zehn Jahren bestehen, d. h. daß erst nach dieser Zeit mit Gesundheitsbeeinträchtigungen zu rechnen ist. Das gilt allerdings nur für den "gesunden Erwachsenen". Alte Menschen, Kinder und Risikogruppen sind gesondert zu betrachten.

Wie sind die Gesundheitsgefahren durch Lärm gegenüber anderen Umweltbelastungen einzuordnen?

Dazu gibt es Berechnungen von Herrn Neus (Hamburger Bundesbehörde für Arbeit, Gesundheit und Soziales). Danach ist das Risiko, während des gesamten Lebens aufgrund von Lärmbelastung (Verkehrslärm größer 65 Dezibel) einen Herzinfarkt zu erleiden, um das Zehnfache größer als das Lebenszeitrisiko für kanzerogene, also krebsauslösende, Luftschadstoffe.

Wie laut sind 65 Dezibel?

Das ist die Lautstärke eines ganz normalen Gesprächs, mit dem Unterschied, daß ein Gespräch nicht dauernd geführt wird und daß es kein Lärm darstellt, sondern eine gewünschte akustische Information.

Was kann man tun, um Lärmbelastung zu reduzieren?

Ein Problem ist, daß die technischen Maßnahmen, die ergriffen werden können, insbesondere in Ballungsgebieten durch die steigende Zahl von Fahrzeugen kompensiert oder sogar überkompensiert werden. Möglichkeiten gibt es z. B. bei der Verminderung von Rollgeräuschen durch leisere Reifenprofile und durch die Lenkung von Verkehrsströmen, damit Bereiche der Ruhe existieren können. Das größte Minderungspotential liegt aber bei den Fahrzeugführern selbst, Beispiele sind auf der einen Seite der Kavaliersstart und auf der anderen Seite vorausschauendes, niedertouriges Fahren. Man kann die gleichen Strecken mit einem Lärmpegelunterschied von bis zu zehn Dezibel zurücklegen. Die Rücksicht aufeinander wäre die beste Möglichkeit, Lärm zu vermeiden.


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