TU intern - April 1999 - Studium

Polnische Lebenswelten und Integration - ein polnisch-deutsches Studienseminar

Stettin - seit 1991 finden regelmäßig Begegnungen zwischen dem Pädagogischen Institut der dortigen Universität und dem TU-Fachbereich Erziehungs- und Unterrichtswissenschaften statt
Seit 1991 finden regelmäßig Begegnungen zwischen dem TU-Fachbereich Erziehungs- und Unterrichtswissenschaften sowie dem Pädagogischen Institut der Universität Stettin statt. In diesem Rahmen trafen sich im Wintersemester 1998/99 Studierende beider Universitäten zum 7. Polnisch-Deutschen Workshop. Ziel der Veranstaltung war es, "polnische Lebenswelten und Integration" in Berlin zu erkunden.

Den Auftakt des Workshops bildete der informationsgeladene Vortrag von Prof. Dr. Wolfgang Wippermann "Zur Geschichte der Polen in Berlin bis 1945". Wippermanns These zufolge hatte die polnische Einwanderung eher sozialgeschichtliche als nationalgeschichtliche Gründe: Obwohl neben Juden (1671), Hugenotten (1685), Tschechen (1738) auch viele Polen seit dem 17. Jahrhundert in den melting pot Berlin einwanderten, wurde dieser Bevölkerungsgruppe wenig Beachtung geschenkt. Ein Hauptgrund bildete sicherlich zunächst die tolerante Einwanderungspolitik Preußens, die 1830 mit der Präsidentschaft Eduard von Flottwells in Posen ein jähes Ende fand. Auch im 19. Jahrhundert emigrierten ca. 100000 Polen, die jedoch preußische Staatsbürger waren, aus den Provinzen Schlesien, Ostpreußen und Posen nach Berlin. Polnisches Leben in Berlin war demzufolge eher durch Assimilationsbestrebungen der Polen als durch Integration charakterisiert, da sich die Einwanderer in erster Linie als preußische Staatsbürger bzw. Berliner fühlten. Eine negative Polenpolitik in Preußen begann 1870 mit antipolnischen Maßnahmen, wie beispielsweise dem 1886 erlassenen Ansiedlungsverbot. Den Höhepunkt in der antipolnischen Politik bildete jedoch das 3. Reich, mit seinen rassistisch motivierten Maßnahmen.

Um herauszufinden, wie sich polnisches Leben heute in Berlin abspielt, wurden Begegnungen mit verschiedenen polnischen Institutionen, der deutsch-polnischen Europaschule sowie eines Gymnasiums mit Polnisch als dritter Fremdsprache in Berlin organisiert. Im Laufe dieser Begegnungen, den zahlreichen Interviews und Diskussionen wurde uns sehr schnell deutlich, daß die Polen in Berlin nicht nur die zahlenmäßig zweitgrößte Gruppe der ausländischen Mitbürger darstellt, sondern auch über ein weitgefächertes soziales und kulturelles Netz verfügen. Dazu zählen beispielsweise Vereine, Gaststätten und Geschäfte, die sich auf landestypische Produkte spezialisiert haben, Chöre, Kirchengemeinden, ein Kulturinstitut, aber auch soziale Anlaufstellen, wie der polnische Sozialrat.

Durch die Auseinandersetzung mit diesem Thema wurden wir für die Probleme polnischer Mitbürger in Berlin sensibilisiert. Hierzu gehören neben Diskriminierung im Alltag z. B. die oftmals fehlende Altersversorgung polnischer Rentner, die mangelnde Integration polnischer Jugendlicher sowie meist durch ungeregelte Arbeitsverhältnisse auftretende familiäre Schwierigkeiten.

Daß eine Integration unter diesen Rahmenbedingungen nur schwer möglich, aber dennoch nötig ist, wurde uns und den polnischen Studenten und Studentinnen aus Stettin bewußt. Wir bedanken uns auf diesem Wege für die Unterstützung durch die verantwortlichen HochschullehrerInnen Prof. Helga Marburger, Prof. Norber H. Weber sowie Prof. Alexander Bialawiecz.

Ute Jochinke, André Morawski


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