TU intern - Dezember 1999 - Forschung
Können die Gewerkschaften auf die Frauen verzichten?Geschichte, Gegenwart und Zukunft der Gewerkschaften standen im Mittelpunkt einer Konferenz, die anlässlich des 50. Geburtstags des Deutschen Gewerkschaftsbundes stattfand. Die Veranstaltung dokumentierte unfreiwillig, aber eindeutig die marginale Rolle von Frauen- und Gleichstellungspolitik in den Gewerkschaften. Gewerkschaftspolitik scheint noch immer im Wesentlichen durch Tarifpolitik bestimmt; gesellschaftspolitische Fragestellungen und damit auch die Geschlechterverhältnisse auf dem Arbeitsmarkt und in der Gesellschaft bleiben vielfach unterbelichtet. Oder haben wir es hier mit einem Rollback zu tun: Hat die seit den 80er Jahren steigende Arbeitslosigkeit "Frauen"-Themen wieder ans Ende der gewerkschaftspolitischen Tagesordnung gerückt? Dieser Frage geht ein Forschungsprojekt nach, das seit Anfang 1999 am Zentrum für Interdisziplinäre Frauen- und Geschlechterforschung unter der Leitung von Prof. Dr. Karin Hausen von Dr. Brigitte Kassel bearbeitet wird. Am Beispiel der Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr wird die Entwicklung gewerkschaftlicher Frauenpolitik von 1945 bis 1989 untersucht. Das Projekt wird finanziert von der Hans-Böckler-Stiftung und der Gewerkschaft ÖTV. Gerade die ÖTV hat sich zu einer wichtigen Interessenvertretung für weibliche Beschäftigte entwickelt. Durch den Übergang von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft ist die Zahl der Beschäftigten im öffentlichen Dienst und besonders die Zahl der dort angestellten Frauen stark angestiegen. Dies erhöht nicht nur die generelle Bedeutung der ÖTV, sondern bietet ihr auch die Chance, Gewerkschaftspolitik im Hinblick auf die tatsächliche Gleichstellung von Mann und Frau zu betreiben. Noch bis in die siebziger Jahre standen einer solchen Ausrichtung die Leitvorstellungen vom männlichen Ernährer und der weiblichen Zuverdienerin entgegen. Im Forschungsprojekt wird untersucht, wie in der Geschichte der ÖTV Frauenpolitik als Geschlechterpolitik gestaltet worden ist. Im Mittelpunkt stehen geschlechterpolitisch relevante Fragestellungen, die alle Beschäftigten betreffen. Dazu zählt z.B. die Frage, wie die ÖTV auf das Interesse von Frauen an Teilzeitarbeit reagiert (hat). Am Themenfeld Paragraph 218, Mutterschaft und Familie soll außerdem untersucht werden, wie die Gewerkschaft gesellschaftspolitische Fragen, die für Frauen von elementarem Interesse sein können, verhandelt hat. Erste Ergebnisse des Projekts sollen auf der Tagung "Geschlechterverhältnisse im Dienstleistungssektor und gewerkschaftliche Interessenvertretung" Ende Februar in Berlin-Wannsee präsentiert werden. Brigitte Kassel
© 12/'99 TU-Pressestelle |