TU intern - Dezember 1999 - Internationales

Erziehung in multikultureller Gesellschaft

Erfahrungen von einer Studienreise nach Israel

TU-Studierende besuchen das Grab von Oskar Schindler in Jerusalem
Trotz Zeiten knapper Kassen konnten 17 Studentinnen und Studenten der TU Berlin in der Zeit vom 9. bis 20. Oktober 1999, unter Leitung von Prof. H. Marburger und Prof. N. H. Weber, an einer Studienreise nach Israel teilnehmen. Die Exkursion stand unter dem Motto "Israel - Erziehung in einer multikulturellen Gesellschaft".

Ein Schwerpunkt der Reise galt der Frage, wie Nationalsozialismus und NS-Völkermord in israelischen und palästinensischen Schulbüchern dargestellt und im Unterricht vermittelt werden. Finanziert wurde die Exkursion unter anderem durch den Deutschen Akademischen Auslandsdienst (DAAD), die Gesellschaft von Freunden der TU Berlin, den Fachbereich 02 und das Institut für Erziehungswissenschaften. In Vorbereitung der Exkursion fanden unter Leitung von Professor Weber im Sommersemester 1999 zwei Seminare zur Holocaust-Education und zur Geschichte und Gegenwart Israels statt.

Neugierig und mit der Vorstellung, einem bunten Nationengemisch zu begegnen, das bemüht ist, in einem Miteinander seine aktuellen Konflikte zu bewältigen, begannen wir unsere Reise in den Orient. Wir wussten, Israel ist seit seiner Unabhängigkeit ein Einwanderungsland. Hatte es doch erst vor kurzem noch alle österreichischen Juden - nach dem Wahlsieg der FPÖ - zur Ausreise aufgefordert. Die Integration, so erfuhren wir, funktioniert zumindest für jüdische Neueinwanderer gut. Es gibt obligatorischen Hebräischunterricht ebenso wie Einweisungen in religiöse Riten, Fest- und Feiertage und selbstverständlich finanzielle Unterstützung für die Neu-Israelis. Der arabische Teil der Bevölkerung ist jedoch, so stellten wir fest, trotz Friedensverhandlungen und Autonomiebestrebungen auch heute nicht in die israelische Gesellschaft integriert: Araber wohnen in ihren eigenen Dörfern und schicken ihre Kinder in arabische Schulen. Seit 1994 können die Palästinenser ihr Bildungssystem autonom verwalten. Noch immer unterrichten palästinensische Schulen im Gazastreifen mit ägyptischen, Schulen in der Westbank mit jordanischen Schulbüchern. Lehrer und Erziehungswissenschaftler entwickeln zur Zeit Lehrbücher, nach denen ab 2001 in palästinensischen Schulen unterrichtet werden soll. Bis 2004 ist vorgesehen, alle arabischen Schulen mit eigenen Lehrbüchern auszustatten. Problematisch jedoch, so erfuhren wir an der Bethlehem University, ist die Behandlung von Nationalsozialismus und Völkermord in arabischen Schulbüchern. Der Holocaust wird als "Massaker an Juden in Hitlerdeutschland" gekennzeichnet und findet nur kurz Erwähnung in Zusammenhang mit dem Leid des palästinensischen Volkes.

Im Gegensatz dazu ist die Shoah eine wichtige Komponente im kollektiven Gedächtnis der jüdischen Menschen. So früh wie möglich wird begonnen, mit den Kindern über die Shoah zu sprechen. Im "Haus der Ghetto-Kämpfer" werden Kinder und Jugendliche mit den Lebensbedingungen jüdischer Kinder zur Zeit des Nationalsozialismus bekannt gemacht. Anders als bei uns werden die Kinder zunächst emotional angesprochen, bevor sie mit Filmen, Dokumentations- und Quellenmaterial konfrontiert werden: Sie malen Bilder, spielen Rollenspiele in authentischer Kleidung oder hören Erlebnisberichte von Zeitzeugen. Die Pädagogen im "Haus der Ghetto-Kämpfer" erzählen den Kindern von der Schwierigkeit des Lebens im Versteck. Um nachempfinden zu können, was es bedeutet, über Stunden, ja Tage mucksmäuschenstill zu sein, bitten sie die Kinder für nur fünf Minuten zu schweigen. Dieses Schweigen ermöglicht den Kindern einen anderen Zugang zur Thematik der Shoah.

Zwischen den Vorträgen und Besichtigungen hatten wir selbstverständlich immer wieder Kontakt zu Studentinnen und Studenten der Universitäten in Haifa, Jerusalem und Bethlehem, die uns eine Vorstellung vom studentischen Leben in Israel vermittelten. Israelische Studentinnen und Studenten beginnen ihr Studium erst nach einem zwei- bzw. dreijährigen Pflichtwehrdienst. Da staatliche Unterstützungen, wie das Bafög bei uns, generell fehlen, sind die Studierenden darauf angewiesen, ihren Lebensunterhalt selbst zu finanzieren, was längere Studienzeiten zur Folge hat. Einzig das Leben in Studentenwohnheimen ist für alle erschwinglich. Dort, wie an den Universitäten, lernen und leben Christen, Moslems und Juden miteinander, was im Schulsystem leider noch nicht vorgesehen ist.

Die Erlebnisse und Erfahrungen dieser Studienreise werden in einer Print- und Videodokumentation zusammengefasst und intern im Fachbereich veröffentlicht.

Naomi Betke, Matthias Wenninger


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