TU intern - Februar 1999 - Aktuelles

Aussteigen, aber wie?

”Ein zukünftiger Kraftwerkspark auf der Basis regenerativer Energien, der die fossilen Kraftwerke unterstützt, ist keine Utopie.”
Rolf Hanitsch

Wegen ihrer großen Sicherheitsrisiken mit der Gefahr unübersehbarer Schäden ist die Atomkraft nicht zu verantworten. Deshalb wird die neue Bundesregierung alles unternehmen, die Nutzung der Atomkraft so schnell wie möglich zu beenden.” So lautet die Theorie, nachzulesen im Kooperationsvertrag zwischen SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Daß sich die praktische Umsetzung dieses Vorhabens deutlich schwieriger gestalten könnte als erwartet, lassen die Ereignisse der letzten Wochen vermuten. Der geplante Ausstieg aus der Wiederaufarbeitung hat nicht nur für Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Regierung gesorgt, sondern auch zu Verstimmungen in England und Frankreich sowie bei Vertretern der Atomindustrie geführt. Neben politischen und wirtschaftlichen Bedenken stellt sich aber auch die Frage nach der technischen Machbarkeit eines Ausstiegs aus der Kernenergie. Wie, beispielsweise, soll der zur Zeit durch die Kernkraftwerke produzierte Strom ersetzt werden?

TU intern sprach mit Rolf Hanitsch vom Institut für Elektrische Energietechnik der TU Berlin.

Herr Hanitsch, wieviel des anfallenden Strombedarfs wird zur Zeit durch Strom aus Kernkraftwerken gedeckt?

Bei der Bruttostromerzeugung entfallen in Deutschland etwa 65 Prozent auf fossile Energieträger (Braunkohle, Steinkohle, Heizöl, Erdgas), 5 Prozent auf Wasserkraft und andere Energieträger wie Photovoltaik und Biomasse, und somit nur 30 Prozent auf die Kernenergie.

Innerhalb welcher Zeit ist ein Ausstieg aus der Atomenergie technisch machbar?

Was technisch machbar ist, ist oft nicht wirtschaftlich. Wir arbeiten am Institut an einer Studie zu dieser Fragestellung. Ein sogenannter regenerativer Kraftwerkspark aus Windenergiekonvertern, Solargeneratoren, Biomasse-Anlagen und Kleinwasserkraftwerken könnte in 2020 nennenswerte Leistungen im Gigawatt-Bereich bereitstellen, realistischer ist jedoch 2050.

Wie soll, bei einem Ausstieg aus der Atomenergie, die Energieversorgung zukünftig sichergestellt werden? Besteht nicht die Gefahr, daß durch einen vermehrten Einsatz fossiler Brennstoffe der Ausstoß von Kohlendioxid wieder steigt?

Es gibt zwei Szenarien. In einem werden verstärkt Erdgas und Braunkohle zur Stromerzeugung genutzt. Die regenerativen Energien spielen im zweiten Szenario die dominierende Rolle. Die bei der Klimaschutzkonferenz von Rio angestrebten Reduktionen der Kohlendioxid-Emissionen können sicherlich nicht eingehalten werden, wenn aus der Kernenergienutzung kurzfristig ausgestiegen wird. Die spezifischen Kohlendioxid-Emissionen aller fossil versorgten Kraftwerke würden von 0,65 kg Kohlenmonoxid pro Kilowattstunde Strom auf einen Wert von 1,0 kg Kohlenmonoxid pro Kilowattstunde Strom ansteigen. Je nach Referenzjahr schwanken diese Werte.

Das heißt ein Ausstieg aus der Kernenergie und eine Senkung der Kohlendioxid-Emission zum Schutz des Klimas sind nicht zu vereinbaren?

Doch, ein zukünftiger Kraftwerkspark auf der Basis regenerativer Energien, der die fossilen Kraftwerke unterstützt, ist keine Utopie. Betrachtet man die heutige Situation im Photovoltaikbereich, so werden aber sicherlich zehn Jahre vergehen, ehe man bei installierten Leistungen aus Solarstromanlagen im Gigawatt-Bereich angekommen ist. Das jährliche Wachstum müßte dazu immerhin über 20 Prozent liegen. Problematisch sind die starken Schwankungen im Leistungsangebot durch die Wind- und Solarenergie, die ja von Wetter und Tageszeit abhängig sind. Es sind daher zusätzliche Speichermöglichkeiten zu schaffen, die diese starken Schwankungen bei der Stromherstellung ausgleichen.

Aufgrund der Altersstruktur im deutschen Kraftwerkspark wird eine Kapazitätsreduktion der Kraftwerke ohnehin ab 2005 einsetzen, zunächst bei den fossil befeuerten Kraftwerken, dann folgen die ersten Atomkraftwerke. Die Weichen über die Art des Zubaus sind noch nicht gestellt.

Was halten sie von einem Import von Strom aus anderen Ländern?

Ein Import von elektrischer Energie im großen Umfang macht uns abhängig, vielleicht erpressbar, und bringt Unsicherheiten. Eine Industrienation ist auf eine sichere und zuverlässige Energieversorgung angewiesen.


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