TU intern - Januar 1999 - Umwelt

Wunschpartner oder Fremde?

Fachleute diskutieren über das Verhältnis von Wissenschaft und Agenda 21

Wissenschaft trifft Praxis: Am Beispiel eines ehemaligen Militärgeländes in Berlin Lichterfelde-Süd diskutierten die Teilnehmer des Workshops darüber, wie autofreies Wohnen mit Mobilität und Urbanität vereinbart werden kann
Obwohl die UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung in Rio bereits 1992 ein grundlegendes Dokument mit dem Titel ”Agenda 21" verabschiedete, in dem Vorschläge und Aufträge für eine weltweite zukunftsfähige Entwicklung in allen Bereichen der Gesellschaft festgeschrieben sind, ist dieser Begriff in Deutschland weit weniger bekannt als z. B. Airbag, Server oder Millennium. Dabei handelt es sich bei der Agenda 21 durchaus um eine Aufgabe für das neue Jahrtausend, frei übersetzt um die ”Tagesordnung für das 21. Jahrhundert". Auf Grundlage dieser Selbstverpflichtung sollen Staaten, Regionen und Kommunen ihre ökologischen, wirtschaftlichen und sozialen Zielsetzungen im Sinne einer menschenwürdigen und auch für kommende Generationen tragfähigen Entwicklung zusammenführen. Der für diesen Prozeß verwendete englische Begriff ”Sustainable Development" wird im Deutschen meist mit ”Nachhaltige Entwicklung" übersetzt. Neben anderen gesellschaftlichen Bereichen ist auch die Wissenschaft ausdrücklich angesprochen, ihr Know-how aktiv in diesen Prozeß einzubringen.

Wo und wie das geschehen kann, wurde kürzlich im Rahmen einer Arbeitstagung an der TU Berlin diskutiert. Eingeladen hatte die Kooperations- und Beratungsstelle für Umweltfragen in der Zentraleinrichtung Kooperation der TU Berlin (kubus), unterstützt von Aktiven aus verschiedenen Agenda-Gruppen in Berlin. Neben der Präsentation vorhandener Ergebnisse stand der Dialog zwischen Fachleuten aus Theorie und Praxis im Mittelpunkt der Veranstaltung. Der Bedarf an wissenschaftlicher Unterstützung sollte definiert und Ansätze für die Projektentwicklung erarbeitet werden.

”Welchen Beitrag kann Wissenschaft zum Berliner Agendaprozeß leisten - was erwartet die Stadt von der Wissenschaft ?" lautete die Frage, die von Vertretern/innen aus Politik, Verwaltung, Agendagruppen und Wissenschaftlern/ innen der TU Berlin im Rahmen einer Podiumsdiskussion besprochen wurde. Weitgehender Konsens bestand darin, daß auch bei umweltrelevanten Themen die Interdisziplinarität in Forschung und Lehre verstärkt zu fördern sei. Insbesondere sollen die Sozial- und Wirtschaftswissenschaften intensiver mit einbezogen und neue Vermittlungsformen in Forschung, Projektentwicklung, Lehre und Weiterbildung entwickelt werden. Die Diskussionsteilnehmer warnten davor, Interdisziplinarität lediglich als Nebeneinander von Fachgebieten zu verstehen. Sie wiesen darauf hin, daß auch die anstehende Umstrukturierung der TU Berlin eine Chance für neue Vernetzungen im Sinne der Nachhaltigkeit bieten könne. Die in diesem Zusammenhang bereits geplanten Maßnahmen wurden aber von mehreren Diskutierenden als häufig ”nicht nachhaltig" bzw. kontraproduktiv eingeschätzt.

Während der Diskussion heftig umstritten war u.a. die Frage nach der Gewichtung verschiedener Interessen. Während häufig die Vorstellung geäußert wurde, die wirtschaftlichen Belange neben den sozialen und ökologischen Interesse gleichermaßen zu berücksichtigen, gab es auch Forderungen nach einer klaren Prioritätensetzung auf ökologische oder soziale Aspekte. Angesprochen wurde auch die Frage, ob die Art der Erzeugung von Wissen und die Kommunikation mit der Wissenschaft zum Agendaprozeß passen.

VIELFÄLTIGER BEDARF AN WISSENSCHAFTLICHER UNTERSTÜTZUNG

In Projektbeispielen aus den Themenfeldern ”Autofreies Wohnen", ”Indikatoren nachhaltiger Entwicklung", ”Nachhaltiger Konsum" sowie ”Konfliktmanagement" wurde im Laufe der Tagung eine Annäherung zwischen Wissenschaft und Agenda 21 geprobt. Zum Beispiel untersuchte die Arbeitsgruppe ”Autofreies Wohnen in Berlin" für ein ehemaliges Militärgelände in Lichterfelde-Süd mit Hilfe eines Planspiels an einem großen Modell, wie die unterschiedlichen Ansprüche an Mobilität und Urbanität in einem solchen Stadtviertel verknüpft werden könnten.

Die Arbeit in den Projektgruppen zeigte ebenso wie die Abschlußdiskussion, daß ein vielfältiger Bedarf an wissenschaftlicher Unterstützung besteht. Dies gilt für die gemeinsame Entwicklung interdisziplinärer Projekte, aber auch für die Weiterbildung Erwachsener und die Begleitung und Förderung von Kommunikationsprozessen von Agendagruppen. Die Tagung, die nicht nur fachliche Erkenntnisse, sondern vor allem auch neue Kontakte und erste Vorschläge für weitere Treffen gebracht hat, könnte ein erster Schritt zu einer besseren Zusammenarbeit zwischen Wissenschaftlern und Agenda-Aktiven in Berlin sein.

Wolfgang Endler


© 1/'99 TU-Pressestelle