TU intern - Januar 1999 - Aktuelles

Aquarius X-Ratos macht der Raumfahrt Dampf

Neue Starthilfe für Weltalltransport an der TU Berlin entwickelt

Kein Senkrechtstarter: Aquarius beschleunigt, anders als herkömmliche Trägerraketen, seine Last parallel zum Boden. Beim Start können so aerodynamische Antriebskräfte ausgenutzt werden. Dadurch wird die beim Start zu hebende Masse geringer und der Treibstoffverbrauch sinkt

Billiger, umweltschonender und sicherer sollen Trägersysteme der Zukunft ins All fliegen. Mit ”Aquarius X-RATOS", einer an der TU Berlin entwickelten Starthilfe, könnte das bald möglich sein. Das wiederverwendbare System läuft mit einem Heißwasserantrieb und kann sekundenschnell von Null auf Hundert durchstarten. Im Gegensatz zu den konventionellen Trägerraketen beschleunigt es seine Last parallel zum Boden und startet nicht senkrecht.

Ein lauter Knall, dann ein heftiges Zischen - mit ohrenbetäubendem Getöse schießt das raketenangetriebene Gefährt einen hellen Strahl nach hinten wegspuckend los. Keine zwei Sekunden später hat es das andere Ende der fünf Meter langen, waagerechten Testschiene erreicht. Noch Minuten nach der Fahrt strömt Dampf aus der Düse, während die Schiene von einem Tau kleiner Wassertropfen überzogen ist.

So ähnlich könnten in Zukunft die Starts von Raumfahrtmissionen ablaufen. Bei dem raketenangetriebenen Gefährt handelt sich um eine neue Starthilfe mit dem Namen ”Aquarius X-RATOS (eXperimental Rocket-Assisted Take-Off System)", die vom TU-Absolventen Harry Adirim und dem Bochumer Studenten Martin Schwarz unter Mithilfe der Institutswerkstatt am Institut für Luft- und Raumfahrt der TU Berlin entworfen und gebaut wurde.

WASSER ALS TREIBSTOFF

Es ist eine Weiterentwicklung der Heißwasserrakete ”Aquarius", an der die 1991 auf studentische Initiative hin gegründete Arbeitsgemeinschaft Thermische Wasserrakete (AGTWR) am TU-Institut seit sieben Jahren erfolgreich forscht. Als Treibstoff benötigt das Antriebssystem lediglich Wasser. Die Funktionsweise des Antriebs ist einem Dampfkochtopf nicht unähnlich. In einem geschlossenen Tank wird das Wasser so lange erhitzt, bis es den gewünschten Druck von 50 bar erreicht hat. Wird der hinten am Tank befindliche Verschluß geöffnet, strömt das überhitzte Wasser durch eine Düse aus, wobei es teilweise verdampft und beschleunigt wird. Die Folge: Der Schlitten, auf dem das Antriebssystem montiert ist, setzt sich mit rasantem Tempo in Bewegung. Dabei kann der Schlitten entweder auf einer Schiene oder frei auf Rollen laufen. Wenn eine bestimmte Geschwindigkeit erreicht ist, löst sich der Raumtransporter vom Schlitten ab und steigt mit Hilfe seines eigenen Antriebs gen Himmel.

Die horizontale Zusatzbeschleunigung ist das Besondere an dieser Entwicklung. Bisher wurden senkrecht startende Transportsysteme bevorzugt, um Gegenstände in den Orbit zu bringen, zum Beispiel die europäische Trägerrakete Ariane. Solche konventionellen Systeme sind teuer und nicht ohne Risiko. Für jeden Start einer Ariane muß zum Beispiel eine neue Rakete gebaut werden, denn nachdem die Ariane ihr ”Gepäckstück" im Orbit abgesetzt hat, verglüht sie beim Wiedereintritt in die Erdatmosphäre. Pro Weltraummission werden daher alleine 275 Millionen Mark für den Transport fällig. Fehlfunktionen des Trägersystems können zudem den milliardenschweren Verlust der Satelliten bedeuten oder gar zu Tragödien wie die vom 28. Januar 1986 führen. Kurz nach dem Start explodierte damals in 16 Kilometern Höhe das amerikanische Space-Shuttle ”Challenger", alle sieben Besatzungsmitglieder kamen bei dem Unglück ums Leben.

Ziel der europäischen Raumfahrtbehörde ESA ist es, die Raumfahrt im kommenden Jahrtausend sicherer und billiger zu machen. Die Lösung, die im Rahmen des ”Future European Space Transportation Investigations Programme" (FESTIP) angestrebt wird, lautet wiederverwendbare Trägersysteme. Die meisten der FESTIP-Konzepte sehen geflügelte Raumtransporter vor, die vertikal oder horizontal wie Flugzeuge gestartet werden. Horizontal startende Systeme nutzen mit dem Abheben aerodynamische Auftriebskräfte aus. Die beim Start zu hebende Masse wird dadurch geringer, der Treibstoffverbrauch sinkt. Durch die Verwendung einer Starthilfe, die nach Erreichen der Startgeschwindigkeit am Boden verbleibt, ließe sich dieser Effekt noch verstärken.

NICHT NUR FÜR DIE RAUMFAHRT

Genau diesem Modell entspricht die ”Aquarius"-Starthilfe. Und sie erfüllt alle wichtigen Anforderungen: Das Antriebssystem kann wiederverwendet werden, da es am Boden bleibt. Der Aufwand für Anschaffung und Betrieb ist gering und als Treibstoff wird lediglich Wasser benötigt. Daher ist die Neuentwicklung nicht nur extrem kostengünstig, sondern auch sehr umweltfreundlich. Auch in Sachen Sicherheit hat der Heißwasserantrieb ganz entscheidende Vorteile. Selbst wenn der Druckbehälter beim Aufheizen des Wassers platzen sollte, würde das austretende Wasser sofort verdampfen und auf Umgebungstemperatur abkühlen. Ein ausreichender Sicherheitsabstand zur Strecke reicht aus, um vor Verletzungen sicher zu sein. Eine Explosionsgefahr wie bei chemischen Treibstoffen gibt es nicht.

Harry Adirim und Martin Schwarz hoffen nun, daß ihre Entwicklung sowohl bei der ESA als auch bei der Raumfahrtindustrie auf Interesse stößt. ”Wir sind offen für alle", sagt Harry Adirim, denn das System ist nicht ausschließlich für die Raumfahrt entwickelt worden. Denkbar ist auch ein Einsatz in anderen schubintensiven Anwendungen, wie beispielsweise beim Start von Segelflugzeugen oder bei Crashversuchen von Pkw, wie sie mit Heißwasserantrieben in den 60er Jahren bereits durchgeführt wurden.

cho


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